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«Miss Merrion hat mich hergeschickt», verkündete sie mit erstickter Stimme.

«Miss Higley? – Sie kannten Elizabeth Barnard?»

«Ja, ich kannte Betty. Ist es nicht schrecklich? Es ist zu schrecklich! Ich kann einfach nicht glauben, dass es wahr ist. Ich habe den anderen den ganzen Morgen gesagt, dass ich es einfach nicht glauben kann! ‹Wisst ihr›, habe ich gesagt, ‹das kommt mir unwirklich vor!› Betty! Betty Barnard, die immer da war… ermordet! ‹Ich kann das nicht glauben›, habe ich gesagt. Fünf- oder sechsmal habe ich mich selber gekniffen, um zu sehen, ob ich nicht vielleicht aufwache. Betty ermordet… Das ist – nun, Sie verstehen schon, wie ich es meine –, das kann einfach nicht sein.»

«Kannten Sie die Tote gut?», fragte Crome.

«Ja, sehen Sie, sie hat länger hier gearbeitet als ich. Ich bin erst im März hergekommen. Sie war schon seit letztem Jahr hier. Betty war ziemlich still, wenn Sie verstehen, wie ich es meine. Sie lachte nicht oft, und einen Scherz machte sie fast nie. Ich will damit nicht sagen, dass sie eigentlich still war – sie konnte sehr lustig sein und so, aber sie war nicht… Eben, sie war still… oder nicht still, sondern eher… Ach, Sie wissen schon, was ich sagen will.»

Ich muss zugeben, dass Inspektor Crome eine Lammsgeduld entwickelte. Als Zeugin war die dralle Higley eine Nervensäge. Was immer sie äußerte, wiederholte sie ein Dutzend Mal, stellte es richtig, verbesserte sich, und das Ergebnis dieser Befragung war unsäglich mager.

Sie war nicht befreundet gewesen mit der Ermordeten. Elizabeth Barnard hatte sich, soviel aus dem Gerede hervorging, immer ein wenig über Miss Higley erhaben gefühlt. Während der Arbeitszeit war sie freundlich gewesen, aber während der Freizeit hatten die anderen Angestellten kaum Kontakt mit ihr. Elizabeth Barnard hatte einen Freund gehabt – einen Angestellten der Grundstücksmakler beim Bahnhof. Court & Brunskill. Nein, er war weder ein Mr. Court noch ein Mr. Brunskill, sondern nur ein Angestellter. Seinen Namen wusste Miss Higley nicht, aber vom Sehen kannte sie ihn sehr gut. Ein gut aussehender Mensch – ein sehr gut aussehender Mensch, und immer so elegant gekleidet. Es war klar, dass in einem Winkel von Miss Higleys Herzen die Eifersucht nistete.

Der langen Rede kurzer Sinn war, dass Elizabeth Barnard niemandem anvertraut hatte, was sie für den gestrigen Abend geplant hatte, aber nach Miss Higleys Ansicht traf sie sich selbstverständlich mit ihrem Freund. Sie hatte ein neues weißes Kleid getragen, «… ein süßes Kleid mit einem ganz modernen Ausschnitt…»

Wir unterhielten uns noch mit den beiden anderen Mädchen, aber ebenso ergebnislos. Betty Barnard hatte niemandem gesagt, was sie für den Abend vorhatte, und niemand in ganz Bexhill hatte sie gesehen. 

10

 Elizabeth Barnards Eltern wohnten in einem kleinen Einfamilienhaus, einem von fünfzig, die ein geschäftstüchtiger Bauunternehmer an der Stadtgrenze erbaut hatte. Das Haus hieß Llandudno.

Mr. Barnard, ein stämmiger Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, der völlig verstört aussah, hatte uns schon von weitem bemerkt und erwartete uns an der Haustür.

«Kommen Sie herein, meine Herren», sagte er.

Kelsey übernahm die Vorstellung.

«Das ist Inspektor Crome von Scotland Yard, Mr. Barnard. Er ist hergekommen, um uns bei der Aufklärung dieses Falles zu helfen.»

«Scotland Yard?», wiederholte Mr. Barnard hoffnungsvoll. «Das ist gut. Dieser Teufel muss geschnappt werden. Mein armes kleines Mädchen…» Sein Gesicht verkrampfte sich.

«Und das hier ist Mr. Hercule Poirot, auch aus London, und das ist – hm –»

«Captain Hastings», fiel Poirot ein.

«Ich freue mich, Sie kennen zu lernen», sagte Mr. Barnard mechanisch. «Kommen Sie bitte ins Wohnzimmer. Ich weiß nicht, ob meine arme Frau sich zeigen wird. Sie ist vollkommen gebrochen.»

Als wir jedoch alle im Wohnzimmer Platz genommen hatten, erschien auch Mrs. Barnard. Sie hatte verweinte Augen und bewegte sich unsicher, wie halb ohnmächtig von dem Schlag, der sie getroffen hatte.

«Na, Mutter, fein, dass du gekommen bist», sagte Mr. Barnard. «Geht es dir doch einigermaßen?»

Er klopfte ihr liebevoll auf die Schulter und führte sie zu einem Stuhl.

«Der Superintendent war sehr nett zu uns», berichtete Mr. Barnard. «Nachdem er uns die Nachricht übermittelt hatte, ließ er uns allein, stellte keine Fragen und sagte, wir sollten uns erst einmal ein wenig erholen.»

«Es ist zu grausam», schrie Mrs. Barnard tränenerstickt auf. «Es ist zu grausam – es ist das Grausamste, was ich je erlebt habe.»

Ihre Stimme hatte einen leicht singenden Tonfall, und im ersten Moment hielt ich den Anklang für einen fremdländischen; aber dann fiel mir der Name des Hauses wieder ein, und ich erkannte den walisischen Akzent ihrer Aussprache.

«Gewiss, es ist entsetzlich, Madam, und wir können Ihnen Ihren Schmerz nachfühlen», sagte Inspektor Crome behutsam. «Aber wir möchten alle irgendmöglichen Auskünfte von Ihnen und Ihrem Mann, damit wir uns so rasch, wie es geht, an die Arbeit machen können.»

«Das sehe ich ein», nickte Mr. Barnard.

«Ihre Tochter war dreiundzwanzig Jahre alt. Sie wohnte hier bei Ihnen und war im ‹Ginger Cat Café› in Stellung, nicht wahr?»

«Jawohl.»

«Dieses Haus ist ganz neu. Wo haben sie früher gewohnt?»

«Ich hatte eine Eisenwarenhandlung in Kennington. Habe mich vor zwei Jahren zurückgezogen. Wollte schon immer irgendwo am Meer leben.»

«Sie haben zwei Töchter?»

«Ja. Meine ältere Tochter arbeitet in London in einem Büro.»

«Waren Sie sehr besorgt, als Ihre Tochter gestern Abend nicht nach Hause kam?»

«Wir wussten gar nicht, dass sie nicht heimgekommen war», sagte Mrs. Barnard schluchzend. «Wir gehen immer früh zu Bett. Neun Uhr meistens. Wir hatten nicht bemerkt, dass Betty noch nicht da war, bis der Inspektor kam und uns sagte… uns sagte…» Sie konnte nicht weitersprechen.

«Ist Ihre Tochter oft spät nach Hause gekommen?»

«Sie wissen doch, wie die Mädchen heutzutage sind, Inspektor», antwortete Barnard. «Unabhängig, das wollen sie sein. An schönen Sommerabenden kommt keine sofort heim. Doch Betty war fast immer spätestens um elf Uhr da.»

«Und wie kam sie ins Haus? Ließen Sie die Tür offen?»

«Wir legten ihr den Schlüssel unter die Fußmatte, so haben wir das immer gemacht.»

«Man hat mir gesagt, dass Ihre Tochter verlobt war.»

«Ja, nun… Nicht offiziell, aber heutigentags sind die jungen Leute nicht mehr so förmlich», sagte Mr. Barnard.

«Donald Fraser heißt er, und ich habe ihn sehr gern gemocht. Sehr gern!», stellte Mrs. Barnard fest. «Armer Junge, es muss schrecklich sein für ihn – dieses Unglück. Ob er es wohl schon erfahren hat?»

«Er arbeitet bei Court & Brunskill, wenn ich recht unterrichtet bin?»

«Jawohl, Grundstücksmakler.»

«Hat er Ihre Tochter fast jeden Abend getroffen?»

«Nicht so oft – ein oder zweimal in der Woche.»

«Wissen Sie, ob die beiden gestern Abend auch verabredet waren?»

«Sie – Betty – sagte nichts davon, sie hat uns nie viel gesagt von dem, was sie tat oder wohin sie ging. Aber sie war ein braves Mädchen, Betty, das war sie. Ich kann einfach nicht fassen…»

Mrs. Barnard begann wieder zu schluchzen.

«Nun, nun, komm, nimm dich zusammen. Wir müssen das durchstehen, Mutter», redete Barnard seiner Frau gut zu. «Wir müssen den Herren alle Auskünfte geben…»

«Donald hätte nie, niemals hätte Donald…», stammelte Mrs. Barnard.

«Ruhig, Mutter, ruhig», wiederholte Barnard. Er wandte sich wieder den beiden Polizeibeamten zu. «Ich wünsche bei Gott, dass ich Ihnen helfen könnte – aber tatsächlich weiß ich nichts, gar nichts, was auf den Schuft hinweisen könnte, der das getan hat. Betty war ein junges, fröhliches Mädchen, hatte einen netten, anständigen jungen Mann, mit dem sie – was wir in unserer Jugend ‹gehen› nannten –, ja, mit dem sie ging. Warum irgendjemand sie hätte umbringen sollen, ist mir einfach unbegreiflich, und ich kann es nicht verstehen, wirklich nicht.»