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Thompson nickte.

Der Commissioner dachte über diese Ansicht nach.

«Also sind Sie dafür, dass wir ihn ignorieren? Dass wir ihm den Ruhm, nach dem er strebt, verweigern? Und Sie, Monsieur Poirot?»

Poirot antwortete nicht sofort. Als er schließlich sprach, setzte er seine Worte ungemein sorgfältig.

«Eine Entscheidung ist schwer für mich, Sir Lionel», sagte er. «Ich bin schließlich sozusagen ein Hauptakteur, da die brieflichen Herausforderungen an mich gerichtet wurden. Wenn ich nun sage: Unterschlagen Sie diese Tatsache, machen Sie sie nicht publik – wird man mir diese Stellungnahme nicht als Eitelkeit auslegen? Wird man nicht denken, dass ich um meinen Ruf besorgt sei? Es ist recht schwierig! Alles zu sagen, aus nichts ein Hehl zu machen – das bietet viele Vorteile. Zumindest kommt es einer Warnung gleich… Aber auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass Inspektor Crome ganz Recht hat, dass der Mörder nach dieser traurigen Berühmtheit lechzt.»

«Hm, ja», murmelte der Commissioner und rieb sich das Kinn. Er sah Dr. Thompson an. «Wenn wir dem Wahnsinnigen die Publizität verweigern, nach der er zu dürsten scheint, Doktor, was wird er dann tun?»

«Einen weiteren Mord begehen», antwortete der Arzt sofort.

«Und wenn wir die ganze Affäre in dicken Schlagzeilen veröffentlichen?»

«Ebenfalls. Das eine würde seinem Größenwahn schmeicheln, das andere käme einer Beleidigung seiner Person gleich, und das Ergebnis wäre in jedem Fall ein neues Verbrechen.»

«Eine Zwickmühle, wie? Und wie viele Morde plant dieser Verrückte noch Ihrer Ansicht nach?»

Dr. Thompson sah Poirot an.

«Vermutlich von A bis Z», antwortete er lachend, wurde aber gleich wieder ernst. «Das wird ihm natürlich niemals gelingen. Sie werden ihn lange vorher gefasst haben. Mich hätte allerdings interessiert, wie er beim Buchstaben X verfahren wäre.» Fast schuldbewusst fiel ihm ein, dass eine solche Spekulation eigentlich grausig klang, und er korrigierte sich selber, indem er rasch einwarf: «Aber Sie werden den Mann vorher fangen, sagen wir beim G oder H.»

Der Commissioner ließ plötzlich die Faust auf die Tischplatte sausen.

«Herrgott, wollen Sie damit sagen, dass wir mit fünf weiteren Morden zu rechnen haben?»

«So viele werden es nicht sein, Sir», sagte Crome. «Verlassen Sie sich auf mich!»

Das klang selbstbewusst und überzeugend.

«Auf welchen Buchstaben des Alphabets tippen Sie, Inspektor?», fragte Poirot, und es klang Ironie in seiner Stimme mit. Crome sah ihn mit so viel deutlicher, empörter Abneigung an, dass es seinem sonst so überlegenen Gehabe ein bisschen Abbruch tat.

«Vielleicht erwische ich ihn schon beim nächsten Mal, Monsieur Poirot. Auf jeden Fall spätestens beim Buchstaben F.»

Er wandte sich wieder seinem Vorgesetzten zu.

«Ich bilde mir ein, Sir, die psychologische Seite des Falles so ziemlich erfasst zu haben. Dr. Thompson wird mich korrigieren, falls ich mich geirrt haben sollte. Ich stelle mir vor, dass jedes geglückte neue Verbrechen die Selbstsicherheit dieses Menschen um hundert Prozent erhöht. Jedes Mal, wenn er sich sagen kann: ‹Ich bin gerissen, sie erwischen mich nicht› – wächst sein Selbstvertrauen, und er wird so übermütig, dass er eines Tages zu unvorsichtig werden wird. Er überschätzt seine eigene Intelligenz und die Dummheit aller anderen. Bald wird er es überhaupt nicht mehr für nötig halten, irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Ist das richtig, Doktor?»

Thompson nickte. «Das ist meistens der Fall. In nichtmedizinischen Ausdrücken hätte man den Fall nicht besser darlegen können. Sie sind doch in diesen Dingen ebenfalls sehr bewandert, Monsieur Poirot. Sind Sie nicht auch meiner Meinung?»

Ich glaube, dass Crome diese Frage an Poirot seitens des Arztes nicht sonderlich schätzte. Er hielt sich – und nur sich – für den Sachverständigen in diesen Fragen.

«Doch, Inspektor Crome hat vollkommen Recht», sagte Poirot.

«Paranoia», murmelte der Arzt.

«Haben Sie schon rein materielle Anhaltspunkte in diesem Bexhill-Mord eruieren können, Inspektor?», fragte Poirot.

«Nichts Bestimmtes. Ein Kellner im ‹Splendide› von Eastbourne erkannte anhand der Fotografie des toten Mädchens eine junge Dame, die mit einem Herrn mittleren Alters, der eine Brille trug, in dem Lokal speiste. Auch in einem Gasthaus, auf halbem Weg zwischen Bexhill und London, konnte man sich dem Bild nach an sie erinnern. Dort behauptet man allerdings, sie sei mit einem Herrn gekommen, der wie ein Marineoffizier ausgesehen habe. Beide Versionen können nicht stimmen, aber eine wird sicher zutreffen. Natürlich liegen noch eine ganze Menge anderer Identifizierungen vor, aber die meisten taugen überhaupt nichts. Auf die Spur des ABC hat uns nicht eine einzige davon gebracht.»

«Nun, Sie scheinen jedenfalls alles getan zu haben, was getan werden konnte», sagte der Commissioner anerkennend. «Sind Sie nicht auch meiner Ansicht, Monsieur Poirot? Oder fällt Ihnen vielleicht noch eine Linie ein, die zu verfolgen man bisher versäumte?»

«Meines Erachtens gibt es hier überhaupt nur eine wirklich wichtige Frage zu lösen», antwortete Poirot nachdenklich, «und das ist die Frage nach dem Motiv für die Morde!»

«Liegt das denn nicht auf der Hand? Ein alphabetischer Komplex. So nannten Sie es doch, nicht wahr, Doktor?»

«Bien sûr, oui», stimmte Poirot ihm bei. «Ein alphabetischer Komplex. Gerade Verrückte haben ja immer besonders stichhaltige Gründe für die Verbrechen, die sie begehen.»

«Aber, aber, Monsieur Poirot», mischte Crome sich ins Gespräch. «Denken Sie an Stoneman Anno 1929! Der versuchte doch schließlich, jeden Menschen umzubringen, der ihm nur im Entferntesten auf die Nerven ging.»

«Gewiss.» Poirot wandte sich dem Inspektor zu. «Aber wenn Sie ein großer und wichtiger Mann sind, dann ist es nur richtig, dass Ihnen auch die kleinsten Belästigungen erspart bleiben. Wenn sich eine Fliege mit unbezwinglicher Hartnäckigkeit immer und immer wieder auf Ihrer Stirn niederlässt – was tun Sie dann? Sie versuchen diese Fliege totzuschlagen, und zwar ohne die geringsten Gewissensbisse. Sie sind wichtig – die Fliege ist es nicht. Also töten Sie die Fliege, und die Belästigung hört auf. Ihre Handlungsweise erscheint Ihnen durchaus richtig und berechtigt. Ein anderer Grund für das Töten von Fliegen ist der Hang zur Hygiene. Die Fliege ist eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle für die menschliche Gemeinschaft, also muss sie vernichtet werden. Und genauso folgert das Gehirn eines geistesgestörten Verbrechers. Aber betrachten Sie nun einmal diesen besonderen Fall. Wenn die Opfer nach alphabetischen Gesichtspunkten ausgewählt wurden, dann können sie nicht beseitigt worden sein, weil sie dem Täter lästig fielen. Diese beiden Möglichkeiten zu kombinieren, würde denn doch zu viel zufälliges Zusammentreffen heißen.»

«Das ist ein Gesichtspunkt», warf Dr. Thompson ein. «Ich erinnere mich an eine Frau, deren Mann zum Tode verurteilt worden war und die daraufhin die Geschworenen einen nach dem anderen tötete. Es dauerte eine ganze Weile, bis man die verschiedenen Morde miteinander in Verbindung brachte, so zufällig kamen sie einem vor. Aber wie Monsieur Poirot sehr richtig bemerkte: Es gibt keinen Mörder, der grundlos mordet. Entweder schafft er Leute beiseite, die ihm (wenn auch in absolut bedeutungslosen Dingen) im Wege stehen, oder er tötet aus irgendeiner Überzeugung heraus, bringt lauter Pfarrer oder Polizisten oder Prostituierte um, weil er fest daran glaubt, dass diese Menschen umgebracht werden müssen. Auch diese Variante trifft aber in unserem Fall nicht zu, soweit ich die Lage zu überblicken vermag. Mrs. Ascher und Betty Barnard können ihrer Herkunft nach unmöglich miteinander in Verbindung gebracht werden. Vielleicht handelt es sich auch um einen Geschlechtskomplex. Beide Opfer waren Frauen. Nach dem nächsten Mord werden wir klarer sehen…»