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Mir kam diese Erklärung unendlich dehnbar und vage vor.

«Verstehen Sie mich nicht, Hastings? Ist Ihr Verstand weniger scharf als der eines einfachen Hausmädchens?»

Er schob mir einen Brief hin. Die auffallend schräge Schrift erinnerte mich an Schönschreibübungen in der Volksschule.

Sehr geehrter Herr.

Verzeihen Sie mir die Freiheit, dass ich Ihnen schreibe. Ich habe viel über die beiden entsetzlichen Morde seit Tantes Tod nachgedacht. Mich dünkt, jetzt sitzen wir alle im gleichen Boot. Ich habe das Bild der jungen Dame in den Zeitungen gesehen – ich meine, der jungen Dame, die die Schwester des Mädchens ist, das ermordet wurde. Ich habe mich erkühnt, ihr zu schreiben, dass ich jetzt nach London übersiedeln will, um eine Stellung zu suchen, und ich fragte bei ihr an, ob vielleicht sie oder ihre Mutter ein Mädchen brauche, und schrieb, dass ich nicht viel Lohn verlangen würde. Aber zwei Köpfe seien immer besser als einer, und dieser Bösewicht müsse doch gefasst werden, und vielleicht könnten wir uns gegenseitig sagen, was wir wissen, so dass wir möglicherweise darauf kämen, wer der Mörder ist.

Die junge Dame hat mir sehr nett geantwortet. Da sie in einer Pension wohne, brauche sie niemanden, aber sie rate mir, Ihnen zu schreiben, und sie habe auch schon etwas Ähnliches gedacht wie ich. Und sie fügte noch bei, natürlich seien wir alle in der gleichen unangenehmen Lage und sollten zusammenhalten. Also schreibe ich Ihnen jetzt, Sir, um Ihnen mitzuteilen, dass ich nach London komme, und unten stehend meine Adresse. Hoffend, dass ich Ihnen nicht lästig gefallen bin,

grüße ich Sie achtungsvollst

Mary Drower.

«Mary Drower», stellte Poirot fest, «ist ein kluges Mädchen.» Er hielt einen anderen Brief in der Hand. «Lesen Sie.»

Die kurze Nachricht stammte von Franklin Clarke und besagte, dass er nach London komme und Poirot, falls es ihm recht sei, anrufen wolle.

«Verzweifeln Sie nicht, mon ami, denn nun hebt rege Geschäftigkeit an.» 

18

 Franklin Clarke traf am folgenden Nachmittag um drei Uhr bei uns ein und äußerte sich, ohne lange um den heißen Brei herumzureden, entschlossen zur Sache.

«Monsieur Poirot, ich bin nicht zufrieden.»

«Nein, Mr. Clarke?»

«Ich zweifle nicht daran, dass Crome ein fähiger Beamter ist, aber er bringt mich offen gestanden zur Raserei. Diese überhebliche Besserwisserei! Ich habe Ihrem Freund hier seinerzeit in Churston angedeutet, was mir vorschwebte, aber da ich alle geschäftlichen Dinge für meinen verstorbenen Bruder erledigen musste, hatte ich bis heute einfach noch keine freie Stunde. Meine Idee geht dahin, Monsieur Poirot, dass wir erstens kein Gras über die Sache wachsen lassen dürfen…»

«Genau das sagt Hastings mir auch immer!»

«… sondern unbeirrt vorgehen sollten. Wir müssen uns auf das nächste Verbrechen vorbereiten.»

«Sie glauben also, dass es ein nächstes Verbrechen geben wird?»

«Sie nicht?»

«Doch.»

«Also! Ich möchte, dass wir uns organisieren.»

«Bitte, erklären Sie mir Ihre Vorstellung etwas ausführlicher.»

«Ich möchte vorschlagen, dass wir eine Art Sonderbrigade bilden – bestehend aus den Verwandten und Freunden der drei Toten –, die unter Ihrem Oberbefehl stehen soll.»

«Ausgezeichnete Idee!»

«Ich freue mich, dass Sie mir zustimmen. Wenn wir unsere Kräfte vereinigen, könnten wir doch zu greifbaren Resultaten gelangen, so scheint mir wenigstens. Wenn wir alle auf Pikett stehen, sobald die nächste Warnung erfolgt, dann wäre es doch möglich, dass jemand von uns jemanden erkennt, der bereits an einem der früheren Tatorte auftauchte. Ich sage nicht, dass dies wahrscheinlich sei, aber es wäre immerhin möglich.»

«Ich verstehe sehr genau, wie Sie es meinen. Aber Sie dürfen nicht vergessen, Mr. Franklin, dass Freunde und Verwandte der anderen Opfer keineswegs Menschen aus Ihren Kreisen sind. Es sind ausnahmslos Angestellte, und selbst wenn man ihnen einen kurzen Urlaub zubilligen würde…»

«Darüber wollte ich eben sprechen», unterbrach Franklin Clarke ihn. «Nicht dass ich selber besonders begütert wäre, aber mein Bruder starb als reicher Mann, und es ist möglich, dass ich einst sein Haupterbe sein werde. Deshalb schlage ich, wie gesagt, die Bildung dieser Spezialgruppe vor, deren Mitglieder für ihre Dienste bezahlt werden sollen, und zwar entsprechend ihren sonstigen Einnahmen, wozu selbstverständlich die Begleichung ihrer Extraausgaben käme.»

«Und wer soll in diese Gruppe aufgenommen werden?»

«Auch darüber habe ich bereits eingehend nachgedacht. Ich habe nämlich mit Miss Megan Barnard korrespondiert, und mein Vorschlag ist auf eine Anregung zurückzuführen, die sie machte. Also: Unserer Vereinigung würden angehören – ich selber, Miss Barnard, Mr. Donald Fraser, der mit dem ermordeten Mädchen verlobt war, und eine Nichte der Frau aus Andover – Miss Barnard kennt ihre Adresse. Der Mann dieser Mrs. Ascher würde vermutlich keine große Hilfe bedeuten, da er, wie man mir sagte, fast immer betrunken ist. Ebenso glaube ich, dass die Eltern Barnard schon zu alt sind für einen wirklichen Feldzug.»

«Und sonst niemand?»

«Nun – äh – doch. Miss Grey.»

Er errötete leicht, als er den Namen aussprach.

«Aha! Miss Grey!»

Kein Mensch auf der ganzen Welt konnte eine so delikate Nuance feiner Ironie in drei Worte legen wie Hercule Poirot! Plötzlich schienen fünfunddreißig Jahre von Franklin Clarke abzufallen. Er sah aus wie ein verlegener kleiner Schuljunge.

«J-ja. Sehen Sie, Miss Grey war zwei Jahre lang bei meinem Bruder. Sie kennt die Gegend, die Leute und alles. Ich selber war über ein Jahr verreist, fast eineinhalb Jahre…»

Poirot erbarmte sich seiner und wechselte das Thema.

«Sie waren in Ostasien, nicht wahr? In China?»

«Ja. Ich war quasi für meinen Bruder unterwegs, um Sachen für ihn einzukaufen.»

«Das muss ja ungemein interessant gewesen sein… Nun, Mr. Clarke, ich stimme Ihrem Vorschlag voll und ganz zu. Erst gestern habe ich Hastings auseinandergesetzt, dass eine Fühlungnahme zwischen den Betroffenen unbedingt notwendig sei. Erinnerungen müssen aufgefrischt, Entdeckungen ausgetauscht, die Begebenheiten gründlich besprochen – wieder und wieder besprochen – und erörtert werden. Ein ganz harmloser Satz könnte plötzlich die Erleuchtung bringen.»

Wenige Tage später traf sich die neu gebildete Sonderbrigade in Poirots Zimmer.

Als alle rund um den Tisch saßen und Poirot – der wie ein Vorsitzender im Unterhaus auf seinem Platz thronte – ergeben ansahen, betrachtete ich jedes einzelne der Gesichter, um die ersten Eindrücke, die ich von ihnen bekommen hatte, bestätigt zu sehen oder einer Korrektur zu unterziehen.

Die drei Mädchen sahen jedes auf seine Weise anziehend aus. Die außerordentlich blonde Schönheit Thora Greys – die dunkle Intensität Megan Barnards mit ihrem undurchdringlichen Gesicht, das mich an das eines Indianers gemahnte – Mary Drower, in ordentliches Schwarz gekleidet, mit dem hübschen, intelligenten Gesicht… Die beiden Männer, der sonnenverbrannte, große und redselige Franklin Clarke und der beherrschte, ruhige Donald Fraser, bildeten einen denkbar großen Gegensatz.