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«Mr. Fraser, auch Sie bitte ich, ihre Gedanken zurückschweifen zu lassen. Sie gingen also laut Ihrer Aussage am fraglichen Abend zum Café. Ihre Absicht war ursprünglich, zu warten, bis Betty Barnard herauskommen würde. Können Sie sich an irgendjemanden erinnern, der Ihnen aufgefallen wäre, während Sie dort warteten?»

«Es gingen so viele Menschen vor dem Café auf und ab… Mir ist niemand Bestimmtes aufgefallen.»

«Verzeihen Sie, Mr. Fraser, aber haben Sie sich wirklich bemüht, sich an etwas zu erinnern? Mag der Geist noch so sehr beschäftigt sein – die Augen nehmen ganz mechanisch manches wahr, gedankenlos vielleicht, aber scharf…»

Der junge Mann wiederholte steif: «Ich erinnere mich an niemanden.»

Poirot seufzte und wandte sich Mary Drower zu. «Ich nehme an, dass Sie Briefe von Ihrer Tante bekommen haben.»

«O ja, Sir.»

«Wann kam der letzte?»

Mary dachte kurz nach. «Zwei Tage vor ihrem Tod, Sir.»

«Und was schrieb sie Ihnen?»

«Dass der alte Teufel wieder bei ihr gewesen sei und dass sie ihm wieder einmal die Läuse heruntergemacht habe – entschuldigen Sie den Ausdruck, Sir – und dass sie mich am Mittwoch erwarte – das war mein freier Tag, wissen Sie – und dass wir dann ins Kino gehen wollten. Es war nämlich gerade mein Geburtstag, Sir.»

Die Erinnerung an das geplante kleine Fest ließ Mary die Tränen in die Augen schießen. Sie schluckte ein Aufweinen hinunter. Dann entschuldigte sie sich dafür.

«Verzeihung, Sir. Ich will nicht dumm sein. Weinen hilft nichts. Ich musste nur eben daran denken, dass sie und ich uns auf meinen Geburtstag freuten…»

«Das kann ich Ihnen sehr gut nachfühlen», sagte Franklin Clarke. «Es sind doch meist die kleinen Dinge, die einen rühren, und ganz besonders natürlich die Freundlichkeiten – ein Geschenk, eine Einladung –, etwas Liebevolles und manchmal auch etwas ganz Alltägliches. Ich war einmal Zeuge, als eine Frau überfahren wurde. Sie hatte eben Schuhe gekauft. Ich sah sie daliegen, daneben das zerrissene Paket, aus dem die lächerlichen kleinen Schuhe mit den hohen Absätzen hervorschauten – das hat mich gepackt… Es sah so unendlich rührend aus.»

Megan schien sich plötzlich zu erwärmen.

«Ja, das stimmt, das ist wirklich wahr. Genau das gleiche ist nach Bettys Tod passiert. Mutter hatte Strümpfe für sie gekauft, um sie ihr zu schenken. Am Tag – an dem es geschah, hatte sie diese Strümpfe gekauft. Arme Mutter, sie war so außer sich! Ich hörte, wie sie weinte und immer vor sich hin sagte: ‹Ich habe sie für Betty gekauft – ich habe sie doch für Betty gekauft, und jetzt hat sie sie nicht einmal gesehen.›»

Nun schwankte auch ihre Stimme ein wenig. Sie beugte sich vor und sah Franklin Clarke fest ins Gesicht. Zwischen den beiden Menschen sprang plötzlich ein Funke von Sympathie über – eine Verbrüderung im Schmerz.

«Ja, gerade solche Dinge sind die traurigsten Erinnerungen», stimmte er ihr bei.

Donald Fraser rutschte unbehaglich hin und her.

Thora Grey lenkte das Gespräch in sachlichere Bahnen.

«Wollten wir nicht irgendwelche Pläne für die Zukunft machen?», fragte sie.

«Doch, sicherlich.» Franklin Clarke schüttelte die weiche Stimmung ab. «Ich denke, dass wir, sobald der vierte Brief eintrifft, unsere Kräfte vereinigen sollten. Bis dahin muss jeder von uns auf eigene Faust sein Glück versuchen. Ich weiß nicht, ob Monsieur Poirot besondere Punkte im Auge hat, die noch einer Klärung bedürfen?»

«In dieser Hinsicht kann ich einige Vorschläge machen», sagte Poirot.

«Gut. Ich werde sie notieren.» Clarke zog ein Notizbuch hervor. «Also bitte, Monsieur Poirot. Ad A…?»

«Ich vermute, dass die Kellnerin Milly Higley einiges weiß, was uns nützlich sein könnte.»

«A: Milly Higley», schrieb Franklin Clarke auf.

«Dafür möchte ich zwei Methoden der Annäherung vorschlagen. Sie, Miss Barnard, könnten die aggressive Methode übernehmen.»

«Sie denken, das entspräche meinem Naturell, nicht wahr?»

«Fangen Sie einen Streit mit dem Mädchen an. Sagen Sie ihr, Sie wüssten genau, dass sie Ihre Schwester nie habe leiden können und dass Ihre Schwester Ihnen alles über sie gesagt habe. Wenn ich nicht sehr irre, wird das eine Flut von Anschuldigungen zur Folge haben. Sie wird Ihnen ihre wirkliche Meinung über Ihre Schwester an den Kopf werfen, und dabei könnte etwas Aufschlussreiches ans Tageslicht kommen.»

«Und die zweite Methode?»

«Darf ich vorschlagen, dass Sie, Mr. Fraser, sich angeblich für Miss Higley zu interessieren beginnen?»

«Ist das nötig?»

«Nein, nötig ist es nicht. Aber es ist eine mögliche Linie, Miss Higley auszuhorchen.»

«Soll ich das vielleicht versuchen?», fragte Franklin. «Ich habe eine – hm – ziemlich ausgedehnte Erfahrung, Monsieur Poirot. Möglicherweise würde ich mit der jungen Dame ganz gut zu Rande kommen.»

«Sie haben mit der Erledigung Ihrer eigenen Geschäfte momentan genug zu tun», warf Thora Grey scharf ein.

Franklins Gesicht sah plötzlich verschlossen aus.

«Ja, da haben Sie Recht.»

«Tout de même – viel gibt es doch wahrscheinlich gerade jetzt dort nicht für Sie zu tun. Mademoiselle Grey ist bestimmt bedeutend tüchtiger und so gut eingearbeitet, dass…»

Thora Grey unterbrach ihn.

«Ich bin nicht mehr in Devon, Monsieur Poirot.»

«Ach? Das wusste ich nicht.»

«Miss Grey war so liebenswürdig, mir bei der Sichtung und beim Ordnen des Nachlasses behilflich zu sein. Aber natürlich sagt ihr eine Stellung in London weit mehr zu.»

Poirot sah sehr aufmerksam von einem zum anderen.

«Wie geht es Lady Clarke?», fragte er.

Ich war so entzückt über das Aufflammen einer zarten Röte in Thora Greys blassem Gesicht, dass ich Clarkes Antwort fast überhörte.

«Sehr schlecht. Übrigens, Monsieur Poirot, wollte ich Sie fragen, ob Sie es möglich machen könnten, ihr einen Besuch abzustatten? Sie äußerte den Wunsch, Sie zu sehen, bevor ich wegfuhr. Manchmal kann sie zwar tagelang keinen Menschen empfangen, aber wenn Sie dieses Risiko auf sich nehmen wollten – auf meine Kosten selbstverständlich…»

«Gewiss, Mr. Clarke. Vielleicht übermorgen?»

«Gut. Ich werde die Krankenschwester sofort verständigen, damit sie die Spritzen entsprechend einteilt.»

«Ihnen, mein Kind», wandte sich Poirot an Mary Drower, «möchte ich die Arbeit in Andover zuteilen. Versuchen Sie vor allem, die Kinder auszuhorchen.»

«Die Kinder?»

«Ja. Kinder sprechen nicht gern mit Unbekannten. Aber Sie sind ja in der Straße, wo Ihre Tante lebte, keine Fremde. Und die vielen Kinder, die dort immer spielen, könnten doch bemerkt haben, wer im Geschäft Ihrer Tante ein und aus ging.»

«Und was sollen Miss Grey und ich selber tun?», fragte Clarke. «Das heißt, falls Sie mich nicht doch nach Bexhill schicken wollen.»

«Monsieur Poirot, wie lautete der Poststempel auf dem dritten Brief?», fragte Thora Grey.

«Putney – Mademoiselle.»

«S. W. 15, Putney, das stimmt, nicht wahr?»

«Ja, wundersamerweise haben die Zeitungen das einmal richtig gedruckt.»

«Das weist daraufhin, dass ABC ein Londoner sein muss.»

«Auf den ersten Blick schon, gewiss.»

«Es müsste doch festzustellen sein», murmelte Clarke nachdenklich. «Monsieur Poirot, wie wäre es, wenn ich ein Inserat aufgäbe… ungefähr des Inhalts: ‹ABC. Dringend! H. P. auf Ihrer Spur! Ein Hunderter für mein Schweigen! XYZ.› Nicht ganz so marktschreierisch – aber Sie verstehen, was ich meine? Das könnte ihn vielleicht aufscheuchen.»

«Das wäre eine Möglichkeit – ja.»

«Es könnte ihn dazu verführen, mich ausfindig machen zu wollen.»

«Ich halte diesen Vorschlag für gefährlich und dumm», fuhr Thora Grey auf. «Was sagen Sie dazu, Monsieur Poirot?»