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«Ich bin sehr erleichtert, muss ich gestehen», sagte Poirot.

«Die Sache ist Ihnen anscheinend wirklich in die Knochen gefahren, wie?» Japp sah Poirot fast liebevoll an. «Sie Guter! Wir kriegen täglich solche Briefe, zu Dutzenden sogar! Menschen, die nichts Gescheiteres zu tun haben und ein bisschen verdreht im Oberstübchen sind, setzen sich hin und schreiben solches Zeug. Sie meinen es gar nicht böse. Es bedeutet ihnen einfach eine spannende Abwechslung.»

«Ich war bestimmt sehr dumm, die Geschichte so tragisch zu nehmen», gab Poirot zu. «Glaubte, meine Nase in ein Welpennest zu stecken.»

«Sie verwechseln Welpen und Wespen, mein Lieber.»

«Pardon?»

«Ach, nichts weiter! – Ja, nun muss ich gehen. Habe in der Nebenstraße einen Juwelendiebstahl aufzuklären. Ich wollte nur schnell vorbeikommen und Ihr Gemüt beruhigen. Es wäre ein Jammer, die kleinen grauen Zellen unnötig in Bewegung zu halten!»

Mit diesen Worten und einem herzhaften Lachen verabschiedete sich Japp.

«Er verändert sich auch nicht mehr, der gute Japp», bemerkte Poirot.

«Er ist ziemlich gealtert», murmelte ich rachsüchtig, «und grau geworden wie ein Dachs.»

Poirot hüstelte und schien nach Worten zu suchen.

«Wissen Sie, Hastings», murmelte er schließlich, «ich möchte Ihnen einen Rat geben… Mein Friseur ist ein ungewöhnlich geschickter Mann… Man befestigt es auf dem Kopf und bürstet dann die eigenen Haare darüber… Es ist keine Perücke, verstehen Sie, sondern ein…»

«Poirot!», rief ich. «Ich möchte ein für alle Mal nichts zu tun haben mit den Fertigkeiten Ihres verdammten Friseurs! Was ist denn überhaupt los mit meinem Kopf?»

«Nichts, durchaus nichts.»

«Ich bin doch schließlich nicht glatzköpfig!»

«Natürlich nicht.»

«In heißen Sommern verliert man zwangsläufig ein paar Haare, aber ich werde jetzt ein sehr gutes Haartonikum anwenden…»

«Précisément!»

«Und überhaupt – was geht Japp das an? Aber er war eben von jeher boshaft! Und humorlos! Von der Sorte, die lacht, wenn man einem Menschen den Stuhl wegzieht, auf den er sich eben setzen will.»

«Darüber würden viele Menschen lachen.»

«Dabei ist es so unsäglich dumm!»

«Vom Standpunkt desjenigen aus, der sich dann auf den Boden setzt – bestimmt.»

Ich versuchte, mich zu beherrschen. (Zugegeben: Ich bin in Bezug auf meine Haare sehr empfindlich.) «Jedenfalls tut es mir Leid, dass dieser anonyme Brief zu keinem Superfall geführt hat.»

«Ja, da scheine ich mich tatsächlich geirrt zu haben», meinte Poirot nachdenklich. «Ich hatte den Eindruck, dass mit diesem Brief irgendetwas nicht stimmte. Und jetzt stellt sich die Sache als blöder Scherz heraus. Ach ja! Ich werde alt und misstrauisch wie ein Kettenhund, der auch bellt, wenn gar nichts los ist.»

«Wenn wir also zusammenarbeiten sollen, dann müssen wir nach einem anderen ‹Crème-Verbrechen› Ausschau halten», sagte ich lachend.

«Sie haben diesen Ausdruck nicht vergessen? Nun, wenn Sie ein Verbrechen bestellen könnten wie ein Menü – was würden Sie auswählen?»

«Lassen Sie mich nachdenken. Raub? Falschmünzerei? Nein. Zu vegetarisch. Nein, es müsste ein Mord sein, blutiger Mord – mit pikanten Beilagen natürlich.»

«Natürlich.»

«Wer müsste das Opfer sein, Frau oder Mann…? Mann! Irgendein großes Tier – amerikanischer Millionär, Ministerpräsident, Pressemagnat. Schauplatz? Die gute alte Bibliothek, nicht wahr? Hat am meisten Atmosphäre. Und die Waffe, die müsste meines Erachtens ein merkwürdig geformter Dolch sein – oder ein stumpfes Instrument, vielleicht ein in Stein gehauenes Idol…»

Poirot seufzte.

«Oder möglicherweise auch Gift», fuhr ich fort, «aber das sind sozusagen technische Morde. Oder ein Schuss, der durch die Nacht gellt… Und selbstverständlich müssen mindestens zwei schöne Mädchen eine Rolle spielen…»

«Mit kastanienbraunen Haaren», warf mein Freund ein.

«Und eines der jungen Mädchen würde zu Unrecht verdächtigt und sie hätte irgendeinen Streit mit ihrem Freund. Aber natürlich müssten noch andere Verdächtige vorkommen: eine ältere Frau, dunkel, gefährlicher Typ – und ein Freund oder Rivale des toten Mannes – ein schweigsamer Sekretär und ein herzlicher, offener Mann, und eine Reihe von entlassenen Dienstboten, Bruder, Haushälterin oder so etwas – und schließlich ein ziemlich blöder Detektiv, in der Art von Japp ungefähr und – das wäre so ziemlich alles.»

«So also stellen Sie sich ein außergewöhnliches Verbrechen vor?» Poirot sah mich traurig an. «Das ist ja eine Zusammenfassung von so ziemlich allen Kriminalromanen, die in den letzten Jahren geschrieben worden sind.»

«Nun, was würden denn Sie sich aussuchen?»

Poirot schloss die Augen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Seine Stimme klang wie das behagliche Schnurren einer Katze.

«Ein ganz einfaches Verbrechen. Eines ohne Komplikationen. Ein Verbrechen im Familienkreise sozusagen… leidenschaftslos… intim.»

«Intim? Ein Verbrechen – intim?»

«Stellen Sie sich vor», murmelte Poirot, «dass sich vier Menschen an einen Tisch setzen, um Bridge zu spielen, und dass sich ein fünfter ruhig beim Kaminfeuer niederlässt. Am Ende des Abends ist dieser fünfte Mann tot. Einer der vier Spieler ist, während er Strohmann war, hingegangen und hat ihn ermordet, und die drei anderen, ins Spiel versunken, haben nichts davon bemerkt. Das, mein Lieber, wäre ein Verbrechen für Sie! Wer von den vier Bridgespielern ist der Verbrecher?»

«Nun», maulte ich, «überaus spannend kommt mir das nicht vor.»

Poirot sah mich vorwurfsvoll an.

«Nein! Weil weder merkwürdig geformte Dolche noch Erpressung, noch ein aus dem Auge eines Götzenbildes gestohlener Smaragd, noch irgendein unbekanntes orientalisches Gift darin vorkommen! Sie sind ein melodramatisches Gemüt, Hastings. Ihnen genügt ein Mord nicht, Sie möchten ganze Reihen von Morden haben.»

«Ich gebe zu, dass ein zweiter Mord manchmal ein Buch sehr zu beleben vermag. Wenn das Verbrechen nämlich im ersten Kapitel geschieht und man dann jedermanns Alibi verfolgen soll bis zur letzten Seite, das – nun, das wird auf die Dauer ziemlich langweilig.»

Das Telefon klingelte. Poirot hob den Hörer ab.

«Allô! Allô, oui! Ja, hier spricht Hercule Poirot.»

Er hörte eine Minute lang zu, und dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck.

«Mais oui… selbstverständlich werde ich kommen… Ja, natürlich… Sie könnten Recht haben… Gewiss, ich werde ihn mitbringen…A tout à l’heure.»

Er kam an den Tisch zurück.

«Japp hat eben angerufen, Hastings.»

«So?»

«Er ist in diesem Moment in den Yard zurückgekommen und hat eine Nachricht aus Andover vorgefunden… Eine alte Frau, die einen kleinen Tabakladen führte, ist ermordet aufgefunden worden.»

Ich glaube, dass mir ein bisschen seltsam zu Mute war. Mein Interesse, das beim Wort «Andover» hell aufgeflammt war, erlosch wieder. Ich hatte mir etwas Außergewöhnliches vorgestellt! Der Mord an einer alten Ladenbesitzerin schien mir irgendwie uninteressant und langweilig. Poirot sprach langsam und ernst weiter: «Die Polizei von Andover glaubt, den Mörder verhaften zu können…»

Ein neuerlicher Dämpfer auf alle meine Erwartungen.

«… weil die Frau mit ihrem Mann Streit gehabt hat. Er ist ein Trinker und ein ziemlich roher Geselle. Er hat sie schon wiederholt bedroht. Trotzdem möchte die dortige Polizei noch den Brief einsehen, den ich erhalten habe. Ich habe zugesagt, dass wir beide sofort nach Andover kommen werden.»

Das gab mir wieder etwas Auftrieb. Schließlich war es doch ein Verbrechen, wenn auch vielleicht ein belangloses und wenig aufregendes, und es war so lange her, seit ich mit Mord und Mördern zu tun gehabt hatte. Die nächsten Worte, die Poirot sprach, überhörte ich fast, doch sollten sie später eine lastende Bedeutung bekommen.