Выбрать главу

Clarke begann plötzlich schallend zu lachen.

«Ausgezeichnet! Und was ist mit unserem Freund Cust, den man auf frischer Tat ertappt hat? Wie erklären Sie das Blut auf seinem Mantel? Und das Messer, das in seiner Wohnung gefunden wurde? Er mag freilich leugnen, diese Morde begangen zu haben…»

Poirot fiel ihm ins Wort.

«Sie irren sich! Er hat alles zugegeben.»

«Was?» Clarke sah ihn vollkommen verblüfft an.

«Gewiss», sagte Poirot freundlich. «Ich habe mit Cust gesprochen, und er hält sich selber für den Täter.»

«Und nicht einmal das vermochte Monsieur Poirot zu befriedigen?», fragte Clarke ironisch.

«Nein. Weil ich auf den ersten Blick erkannte, dass er gar nicht schuldig sein konnte! Er hat weder die Nerven noch den Mut, noch – das muss ich hinzufügen! – den Verstand, um derart kaltblütig zu planen! Ich habe diese Diskrepanz schon lange gespürt. Nun erkannte ich auch, worin sie bestand. Zwei Menschen waren in den Fall verwickelt: der wirkliche Mörder, ein kluger, selbstsicherer und verwegener Mann – und der Pseudomörder, nicht sehr intelligent, unsicher und ungemein beeinflussbar.

Beeinflussbar! In diesem einen Wort ist das ganze Geheimnis um Mr. Cust enthalten! Es genügte Ihnen nicht, Mr. Clarke, eine Reihe von Morden zu planen, um den einen, Ihnen wichtigen zu vertuschen. Sie brauchten darüber hinaus noch einen Sündenbock!

Ich vermute, dass Ihnen diese Idee zum ersten Mal kam, als Sie diesem merkwürdigen Menschen mit den bombastischen Taufnamen zufällig in einer Teestube der Stadt begegneten. Zu diesem Zeitpunkt dachten Sie unablässig darüber nach, wie Sie Ihren Bruder möglichst unauffällig umbringen könnten.»

«Tatsächlich? Und weshalb?»

«Weil Sie sich ernstlich Sorgen um Ihre Zukunft machten. Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber klar waren, Mr. Clarke, wie sehr Sie mir in die Hände spielten, als Sie mir jenen Brief zeigten, den Ihr Bruder Ihnen geschrieben hatte. In jenem Schreiben machte er aus seiner Liebe und Zuneigung für Thora Grey kein Hehl. Seine Gefühle mögen rein väterlicher Natur gewesen sein – oder er kann sich das eingeredet haben. Jedenfalls bestand die Gefahr, dass er sich nach dem Tod seiner Frau diesem schönen Mädchen immer mehr zuwandte, bei ihr Trost und Mitgefühl suchte, und dass all das, wie so oft, damit endete, dass der ältere Mann diese junge Frau heiratete. Diese Befürchtung erhielt noch ein besonderes Gewicht durch Ihre ausgezeichnete Menschenkenntnis. Sie beurteilen die Menschen ziemlich gut, wenn auch sehr zynisch.

Sie setzten voraus – zu Recht oder zu Unrecht –, dass Thora Grey recht genau wusste, was sie wollte, und Sie zweifelten keinen Augenblick daran, dass sie die Möglichkeit, Lady Clarke zu werden, mit beiden Händen ergreifen würde. Ihr Bruder war ein sehr gesunder, starker Mann. Es hätten Kinder kommen und Ihre Erbschaft in Frage stellen können.

Sie waren, meiner Ansicht nach, Ihr Leben lang ein enttäuschter, ein unsteter Mensch, der es zu nichts gebracht hat. Um so bitterer quälte Sie die Eifersucht, der Neid auf die Stellung und den Reichtum Ihres Bruders.

Und damals, wiederhole ich, als Ihnen plötzlich dieser Mr. Cust über den Weg gelaufen war, kam Ihnen eine Idee. Seine hochtrabenden Taufnamen, seine Schilderung von epileptischen Anfällen und häufigen Kopfschmerzen, seine ganze gebückte, farblose Erscheinung überzeugte Sie davon, in diesem unscheinbaren Menschen das Werkzeug gefunden zu haben, dessen Sie bedurften. Und damit stand auch der alphabetische Plan plötzlich klar vor Ihren Augen: Custs Initialen – die Fügung, dass der Name Ihres Bruders mit C begann und dass er in Churston wohnte – das waren die Kernpunkte Ihres Programms. Sie gingen sogar so weit, Cust sein mutmaßliches Ende vorauszusagen…

Ihre Vorbereitungen waren mustergültig! In Custs Namen ließen Sie sich einen großen Posten Strümpfe schicken – das heißt, Sie verfügten, dass diese Sendung direkt an seine Adresse gehen sollte. Ferner schickten Sie selber ihm eine Anzahl ABC-Fahrpläne, ganz ähnlich verpackt wie die Strümpfe. Dann schrieben Sie ihm – wohlweislich mit Maschine – einen Brief, der angeblich ebenfalls von der Strumpffabrik stammte und in dem man Cust ein festes Gehalt und Provision von seinen Verkäufen zusagte. So bis ins kleinste waren Ihre Pläne vorbedacht, dass Sie auch alle Briefe, die Sie späterhin abzuschicken beabsichtigten, auf dieser selben Maschine schrieben, die Sie ihm dann zur Verfügung stellten.

Nun mussten Sie nach zwei Opfern Ausschau halten, deren Namen mit A und B begannen und die in Orten wohnten, die ebenfalls diese zwei Anfangsbuchstaben hatten. Auf Andover verfielen Sie vermutlich, weil Ihnen das Städtchen für Ihre Pläne günstig schien, und ein erster Augenschein vor Ort ließ Ihre Wahl auf Mrs. Ascher fallen, deren Name groß und deutlich über der Eingangstür stand und von der Sie mühelos erfahren konnten, dass sie immer allein im Geschäft war. Immerhin erforderte dieser Mord Kaltblütigkeit, Mut und eine gehörige Portion Glück.

Für Buchstaben B mussten Sie notgedrungen Ihre Taktik ändern. Alleinstehende Frauen mit kleinen Läden mochten nun auf ihrer Hut sein. Ich stelle mir vor, dass Sie in vielen Kaffeehäusern und Tearooms verkehrten, dort mit den Serviermädchen lachten und scherzten, bis Sie herausgefunden hatten, wessen Name mit dem gewünschten Buchstaben begann und Ihnen für Ihre Zwecke dienlich schien. In Betty Barnard fanden Sie genau den Mädchentyp, den Sie suchten. Sie luden sie ein- oder zweimal ein, wobei Sie ihr erzählten, dass Sie verheiratet seien und dass deshalb Ihre Zusammenkünfte ziemlich verstohlen stattfinden müssten.

Damit waren Ihre Vorbereitungen abgeschlossen, und Sie konnten endlich zu Taten schreiten! Sie schickten die Liste von Andover an Cust, befahlen ihm, an einem bestimmten Tag dort einzutreffen, und schrieben dann den ersten Brief an mich. Am festgelegten Tag fuhren Sie nach Andover, töteten Mrs. Ascher, und nichts und niemand trat Ihnen hindernd in den Weg.

Mord Nummer eins war also glänzend gelungen!

Bei Ihrem zweiten Verbrechen ließen Sie große Vorsicht walten! Sie begingen es einen Tag zu früh! Denn ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass Betty Barnard am vierundzwanzigsten Juli lange vor Mitternacht starb.

Und damit kommen wir zum dritten Mord – zum eigentlichen, wichtigen, von Ihrem Standpunkt aus!

In diesem Zusammenhang muss ich meinem Freund Hastings einen Ruhmeskranz winden, der eine ganz einfache und logische Bemerkung machte, der niemand Beachtung schenkte. Er gab zu bedenken, ob der dritte Brief nicht vielleicht absichtlich ungenau adressiert worden sei!

Und er hatte Recht!

In dieser einen simplen Tatsache liegt die Antwort auf eine Frage, die mich so lange quälte. Warum wurden diese Briefe an Hercule Poirot gerichtet, an einen Privatdetektiv, und nicht an die Polizei? Irrigerweise glaubte ich an persönliche Gründe.

Keineswegs! Diese Briefe wurden an mich gesandt, weil ein Hauptpunkt in Ihrem Programm der war, einen Brief falsch zu adressieren und auf diese Weise zu verzögern! Aber ein Schreiben mit der Anschrift Scotland Yard hätte nie und nimmer verloren gehen oder verspätet abgegeben werden können! Es war also wichtig, dass Sie an eine Privatadresse schreiben konnten. Mich wählten Sie deshalb aus, weil ich erstens kein ganz Unbekannter bin und weil Sie zweitens genau wussten, dass ich diese Briefe unverzüglich der Polizei zeigen würde. Und außerdem genossen Sie, Ihrer insularen Einstellung entsprechend, den Gedanken, einen Ausländer aufs Glatteis zu führen. So schrieben Sie denn sehr raffiniert ‹Whitehorse› statt ‹Whitehaven› – ein Versehen, das durchaus möglich und natürlich schien. Nur Hastings war scharfsinnig genug, beschönigende Argumente beiseite zu schieben und klar zu erkennen, wo der Ursprung dieses Irrtums lag!