«Ja, das sind Ihre wahren Gefühle. Nein, nein, Mr. Clarke, kein bequemer und leichter Tod für Sie. Sie haben Mr. Cust erzählt, dass Sie zweimal beinahe ertrunken wären. Sie wissen doch, was das bedeutet? Dass das Schicksal etwas anderes mit Ihnen vorhat.»
«Sie…»
Die Worte fehlten ihm. Sein Gesicht war schneeweiß, und er ballte drohend die Fäuste.
Zwei Detektive von Scotland Yard kamen aus dem angrenzenden Zimmer. Einer von ihnen war Crome. Er trat näher und äußerte die althergebrachte Formeclass="underline" «Ich gebe Ihnen zu bedenken, dass alles, was Sie sagen, als Beweis gegen Sie verwendet werden kann.»
«Er hat schon genug gesagt», beruhigte Poirot ihn, und zu Clarke gewandt, fügte er noch bei: «Sie sind zwar unbändig stolz darauf, ein Bewohner dieser Insel zu sein – aber ich persönlich finde, dass Ihre Verbrechen gänzlich unenglisch waren – nicht offen, nicht sportlich…»
35
Ich schäme mich, eingestehen zu müssen, dass ich, kaum dass die Tür hinter Franklin Clarke ins Schloss gefallen war, hysterisch zu lachen begann.
Poirot sah mich mild erstaunt an.
«Es ist nur… weil Sie ihm sagten, dass seine Verbrechen nicht sportlich gewesen seien», keuchte ich.
«Das stimmt doch. Sie waren scheußlich – nicht einmal so sehr der Mord an seinem Bruder – aber die Grausamkeit, mit der er einen Unschuldigen zu lebenslänglicher Gefangenschaft hätte verurteilen lassen… Fang einen Fuchs, und sperr ihn ein, und lass ihn nie mehr frei!… Das ist kein Sport mehr!»
Megan Barnard seufzte tief auf.
«Ich kann es nicht glauben… ich kann nicht! Ist das alles wahr?»
«Ja, Mademoiselle. Der Albdruck ist vorüber.»
Sie sah ihn an und errötete.
Poirot wandte sich Fraser zu.
«Mademoiselle Megan hat nämlich von allem Anfang an gefürchtet, Sie hätten das zweite Verbrechen begangen.»
«Das habe auch ich eine Zeit lang befürchtet», gab Donald Fraser ruhig zur Antwort.
«Ach, wegen Ihres Traums?» Poirot rückte vertraulich etwas näher an den jungen Mann heran. «Ihr Traum ist ganz leicht zu erklären. Das Bild der einen Schwester beginnt in Ihrem Herzen zu verblassen, wo die andere Schwester einen immer breiteren Platz für sich beansprucht. Aber da Sie es nicht ertragen, der Toten so bald schon treulos zu werden, bemühen Sie sich, dieses Gefühl in sich zu ersticken. So deute ich Ihren Traum.»
Frasers Augen glitten zu Megan hinüber.
«Fürchten Sie sich nicht vor dem Vergessen», sprach ihm Poirot freundlich zu. «Sie war der Erinnerung nicht so sehr wert. In Mademoiselle Megan bekommen Sie das Hundertfache – un cœur magnifique!»
Donald Frasers Gesicht erhellte sich. «Ja, da haben Sie bestimmt Recht!»
Wir umringten Poirot, fragten durcheinander, wollten Auskünfte aller Art.
«Diese Fragen, Poirot, die Sie uns allen neulich stellten – hatten die eigentlich einen tieferen Sinn?»
«Einige von ihnen waren einfach une blague. Aber etwas Wichtiges erfuhr ich trotzdem dabei: nämlich dass Franklin Clarke in London war, als der erste Brief aufgegeben wurde. Ferner lag mir sehr daran, sein Gesicht zu beobachten, sobald ich Mademoiselle Thora meine Frage stellte. Da beherrschte er sich sekundenlang nicht. Ich sah Bösartigkeit und Wut in seinen Augen.»
«Auf meine Gefühle haben Sie recht wenig Rücksicht genommen», sagte Thora Grey.
«Ich glaube auch nicht, dass Sie mir die Frage wahrheitsgemäß beantwortet haben, Mademoiselle», gab Poirot trocken zurück. «Und jetzt wird auch Ihre zweite Hoffnung zunichte. Franklin Clarke wird den Reichtum seines Bruders nicht erben.»
Sie warf den Kopf zurück.
«Besteht irgendeine Notwendigkeit, dass ich noch länger hier bleibe und mich beleidigen lasse?»
«Nicht die leiseste», antwortete Poirot rasch und machte höflich die Tür für sie auf.
«Die Sache mit den Fingerabdrücken hat seinen Widerstand gebrochen», stellte ich fest. «Sobald Sie das erwähnten, fiel er richtiggehend in sich zusammen.»
«Ja, die Fingerabdrücke sind immer sehr nützlich.» Verträumt fügte er noch hinzu: «Diese Wendung habe ich mit hineingenommen, um Ihnen eine kleine Freude zu machen, Hastings.»
«Poirot!» Ich war starr. «Poirot, war das denn nicht wahr?»
«Natürlich nicht, mein Freund.»
Hercule Poirot lächelte.
Ich muss noch von dem Besuch berichten, den uns Alexander Bonaparte Cust wenige Tage später abstattete. Nachdem er Poirots Hand minutenlang geknetet und gequetscht und erfolglos immer wieder versucht hatte, etwas zu stammeln, riss Mr. Cust sich zusammen.
«Heute hat mir eine Zeitung hundert Pfund angeboten – hundert Pfund! –, nur für einen kurzen Bericht über mein Leben und meine Vergangenheit», erzählte er eifrig. «Ich weiß wirklich nicht, was ich darauf antworten soll.»
«Ich würde mich nicht mit hundert begnügen», riet Poirot ihm. «Ich würde den Leuten sagen, unter fünfhundert sei nichts zu machen. Und außerdem sollten Sie sich nicht auf eine einzige Zeitung festlegen.»
«Was?… Ja, glauben Sie denn… Meinen Sie, ich könnte…?»
«Sie müssen bedenken», lächelte Poirot, «dass Sie jetzt eine Berühmtheit sind. Wahrscheinlich der berühmteste Mann von ganz England!»
Mr. Cust schien zu wachsen. Ein glückliches Lachen flog über sein Gesicht.
«Ich glaube, Sie haben Recht. Ausgezeichnet! In allen Zeitungen. Das werde ich machen, Monsieur Poirot. Das Geld kommt mir gelegen – sehr gelegen. Ich werde mir Ferien leisten… Und dann möchte ich Lily Marbury ein hübsches Hochzeitsgeschenk kaufen… Ein liebes Mädchen, wirklich… ein sehr liebes Mädchen, Monsieur Poirot.»
Poirot klopfte ihm ermutigend auf die Schultern.
«So ist es recht. Freuen Sie sich Ihres Lebens. Und – hören Sie: Wie wäre es mit einem Besuch beim Augenarzt? Diese Kopfschmerzen rühren vermutlich daher, dass Sie eine neue Brille brauchen.»
«Glauben Sie wirklich? Dass dieses Kopfweh schon lange nur daher kam?»
«Das glaube ich, jawohl.»
Mr. Cust schüttelte ihm wieder die Hand.
«Sie sind ein großer Mann, Monsieur Poirot!»
Poirot nahm dieses Kompliment wie immer gelassen entgegen. Es gelang ihm nicht einmal, bescheiden auszusehen.
Als Mr. Cust, geschwellt vom Gefühl seiner Wichtigkeit, hinausstolziert war, sah mein alter Freund mich lachend an.
«Nun, Hastings – wir haben also doch wieder zusammen gejagt, nicht wahr? Vive le sport!»