«A. Ascher… Oui, c’est peut-être là…»
Hier stockte er.
«Kommen Sie, Hastings, wir wollen hineingehen.»
Wir drängten uns durch die Leute und erreichten mühsam den jungen Polizisten. Poirot zeigte seine Vollmacht, der Mann nickte und schloss die Tür auf, um uns eintreten zu lassen. Die Zuschauer verfolgten jede unserer Bewegungen mit ungeheurem Interesse.
Im Innern des Hauses herrschte durch die verschlossenen Fensterläden ein trübes Zwielicht. Der Polizist fand jedoch den Schalter und drehte das Licht an. Da die Birne sehr schwach war, blieb es auch jetzt noch ziemlich düster. Ich sah mich um.
Eine trostlose Umgebung. Ein paar billige Illustrierte lagen herum, die Zeitungen von gestern, und auf allem befand sich eine Staubschicht. Hinter dem Ladentisch stand ein hohes Gestell, das bis zur Decke reichte und mit Tabak- und Zigarettenpäckchen voll gestopft war. Auch einige Röllchen Pfefferminz und ein paar Stangen Gerstenzucker standen zum Verkauf feil. Ein gewöhnliches kleines Geschäft, wie es Tausende anderer gibt.
Der Polizist schilderte uns die Situation bei Entdeckung der Tat.
«Hinter dem Ladentisch lag sie, ganz zusammengesunken. Der Doktor sagte, sie habe bestimmt nicht geahnt, was gleich geschehen würde. Muss gerade etwas vom Gestell genommen haben.»
«Hielt sie etwas in der Hand?»
«Nein, Sir, aber neben ihr auf dem Boden lag ein Päckchen Players.»
Poirot ließ seine Augen beobachtend, aufmerksam durch den kleinen Raum schweifen.
«Und wo lag der Fahrplan?»
«Hier, Sir.» Der Polizist bezeichnete die Stelle auf dem Ladentisch ganz genau. «Es war die Seite mit den Zügen ab Andover aufgeschlagen, er lag aber mit dem Rücken nach oben da. Jemand muss die Züge nach London nachgesehen haben. In diesem Fall kann es aber kein Einwohner von Andover gewesen sein. Und schließlich könnte der Fahrplan auch irgendjemand ganz Fremdem gehört haben und gar nicht mit dem Mord in Verbindung stehen, sondern einfach vergessen worden sein.»
«Fingerabdrücke?», fragte ich.
Der Mann schüttelte den Kopf.
«Wir haben alles danach abgesucht, Sir, aber nicht einen einzigen gefunden.»
«Auch auf dem Ladentisch nicht?», wunderte sich Poirot.
«Viel zu viele, Sir! Alle durcheinander und verwischt.»
«Welche von Ascher darunter?»
«Zu früh, das einwandfrei festzustellen, Sir.»
Poirot nickte und fragte dann, ob die alte Frau über dem Geschäft gewohnt habe.
«Jawohl, Sir. Sie können durch jene Tür dort hinten hinaufgehen. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich nicht mitkomme, aber ich muss hier unten bleiben…»
Poirot ging durch die bezeichnete Tür, und ich folgte ihm. Hinter dem Laden befand sich ein winziger Raum – eine Kombination von Küche und Wohnzimmer –, sehr sauber und aufgeräumt, aber unsäglich armselig möbliert. Auf dem Kaminsims entdeckte ich verschiedene Fotografien. Ich trat näher, gefolgt von Poirot, um sie von nahem zu betrachten.
Drei Bilderrahmen. Im ersten steckte eine Aufnahme von Mary Drower, offensichtlich die Arbeit eines billigen Ateliers. Miss Drower trug ihre besten Kleider, und ihr Gesicht wurde durch das festgefrorene, hölzerne Lächeln verzerrt, das so oft die gestellten Aufnahmen unnatürlich erscheinen lässt.
Das zweite Bild war die etwas bessere Aufnahme einer älteren Frau mit weißen Haaren. Ein Pelzkragen umrahmte das sorgfältig retuschierte Gesicht. Wahrscheinlich war dies Miss Rose, die Dame, die Mrs. Ascher durch ein kleines Legat zur Eröffnung dieses Tabakgeschäfts verholfen hatte.
Die dritte Fotografie war sehr alt, gelb geworden und verblasst. Ein junger Mann und eine junge Frau in altmodischen Kleidern standen Arm in Arm da. Der Mann trug ein Sträußchen im Knopfloch, und über dem Paar lag eine irgendwie festliche Stimmung.
«Wahrscheinlich ein Hochzeitsbild. Sehen Sie, Hastings! Ich habe doch gesagt, dass sie eine schöne Frau gewesen sein muss.»
Er hatte Recht. Obwohl durch altmodische Frisur und Kleidung entstellt, nahm die Schönheit des jungen Mädchens auf dem Bild, der lebendige Ausdruck des klaren, fein geschnittenen Gesichts, den Betrachter sofort gefangen. Ich sah mir auch die zweite Figur genau an. Es war fast unmöglich, in dem hübschen, militärisch straffen, jungen Menschen die Jammergestalt des heutigen Ascher wieder zu erkennen.
Die Erinnerung an den betrunkenen, kreischenden alten Mann und an das stille, erloschene, zerfurchte Gesicht der toten Frau brachte mir die Unbarmherzigkeit der verrinnenden Zeit so deutlich zum Bewusstsein, dass ich erschauerte.
Von diesem Wohnzimmer aus führte eine Treppe zu zwei Räumen im oberen Stock. Einer war leer und unmöbliert; der andere war das Schlafzimmer der Toten gewesen. Die Polizei hatte eine Durchsuchung vorgenommen, aber sonst war das Zimmer unberührt geblieben. Alte, brüchige Leintücher im Bett – ein Stoß abgetragener Unterwäsche in einem Kasten – Kochrezepte in einer Schublade – ein Buch, in Packpapier eingeschlagen: The Green Oasis – ein Paar neue Strümpfe, unsäglich rührend in ihrem billigen Glanz – ein ziemlich angeschlagener und oft geleimter Meißner Porzellanschäfer und ein dito blau und gelb getupfter Hund – ein schwarzer Regenmantel und eine Wolljacke, die auf Kleiderbügeln hingen… das waren die weltlichen Besitztümer der verstorbenen Alice Ascher.
Wenn irgendwelche persönlichen Papiere vorhanden gewesen waren, dann hatte die Polizei sie wahrscheinlich mitgenommen.
«Pauvre femme», murmelte Poirot. «Kommen Sie, Hastings, es gibt hier nichts für uns zu tun.»
Als wir wieder im Freien standen, zögerte Poirot eine Minute lang; dann überquerte er die Straße. Fast genau gegenüber von Mrs. Aschers Laden war ein Obst- und Gemüsegeschäft.
Poirot gab mir leise einige Verhaltensmaßregeln, dann trat er ins Innere des Ladens. Nach ein, zwei Minuten ging ich ihm nach. Er war gerade dabei, einen Salatkopf zu erstehen. Ich kaufte ein Pfund Erdbeeren.
Poirot unterhielt sich angeregt mit der dicken Frau, die ihn bediente.
«Gerade hier gegenüber ist doch dieser Mord geschehen, nicht wahr? Eine entsetzliche Sache! Sie müssen sich unsagbar aufgeregt haben!»
Die dicke Frau war es offensichtlich müde, über diesen Mord zu sprechen. Vermutlich hatte sie den ganzen Tag nichts anderes getan. So bemerkte sie nur:
«Es wäre gut, wenn die Gaffer da draußen endlich gehen wollten. Was gibt es denn schon zu sehen, möchte ich wissen!»
«Ja, gestern Abend war das natürlich etwas ganz anderes», stimmte Poirot ihr zu. «Möglicherweise haben Sie ja sogar den Mörder hineingehen sehen – ein großer, blonder Mann mit einem Bart, ein Russe – wenn ich recht gehört habe.»
«Was?!» Die Frau sah ihn scharf an. «Ein Russe war es?»
«Ich glaube, die Polizei hat ihn bereits verhaftet.»
«Was Sie nicht sagen!» Die Frau war nun plötzlich sehr gesprächig. «Ein Ausländer?»
«Mais oui. Und da dachte ich eben, er wäre Ihnen vielleicht gestern aufgefallen.»
«Ja, sehen Sie, ich habe nicht viel Zeit, zum Fenster hinauszusehen, das können Sie mir glauben. Am Abend haben wir am meisten zu tun, und da gehen sowieso immer viele Leute vorbei, wenn sie von der Arbeit kommen. Ein großer Blonder mit einem Bart…? Nein, so einen habe ich meines Wissens nicht gesehen.»
Hier hatte ich mich einzumischen.
«Entschuldigen Sie», sprach ich Poirot an, «aber ich glaube, dass man Sie da nicht richtig informiert hat. Mir wurde der Mann klein und dunkel geschildert.»
Woraufhin sich eine lebhafte Diskussion entspann, an welcher sich die dicke Frau, ihr schmächtiger Mann und ein kleiner Lehrjunge im Stimmbruch eifrig beteiligten. Nicht weniger als vier kleine, dunkle Männer waren beobachtet worden, und der gicksende Knabe versicherte, auch einen großen Blonden gesehen zu haben, der aber keinen Bart gehabt habe, wie er bedauernd hinzufügte.