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Endlich hatten wir unsere Einkäufe getätigt und verließen das Geschäft, ohne unsere Falschmeldungen richtig zu stellen.

«Was war eigentlich der Zweck des Ganzen?», fragte ich Poirot ein wenig vorwurfsvoll.

«Parbleu! Ich wollte wissen, welche Chance ein Fremder hatte, ungesehen, unbeobachtet in das gegenüberliegende Geschäft zu gelangen!»

«Hätten Sie das nicht ganz einfach fragen können – ohne dieses Lügengespinst?»

«Nein, mon ami! Wenn ich nur ‹ganz einfach gefragt› hätte, wie Sie sich ausdrücken, dann hätte ich überhaupt keine Antwort bekommen. Sie selber sind doch Engländer, aber Sie scheinen trotzdem nicht zu wissen, wie Ihre Landsleute auf eine direkte Frage reagieren, nämlich unweigerlich mit Misstrauen und einer sich daraus logischerweise entwickelnden Zurückhaltung. Wenn ich diese Leute um eine Auskunft gebeten hätte, dann wären sie verschlossen wie Austern gewesen. Aber durch eine Behauptung (noch dazu eine so ausgefallene und unwahrscheinliche) und durch Ihren Widerspruch wurden die Zungen unverzüglich gelöst. Jetzt wissen wir, dass die fragliche Zeit jene war, während welcher ‹am meisten zu tun› ist, das heißt, dass jeder mit seiner Arbeit beschäftigt war und dass viele Leute die Straße entlanggingen. Unser Mörder hat den Zeitpunkt recht geschickt gewählt, Hastings.»

Er sah mich an und setzte mit ehrlichem Tadel hinzu:

«Haben Sie eigentlich gar keinen gesunden Menschenverstand, Hastings? Ich habe Ihnen gesagt: ‹Kaufen Sie irgendetwas› – und Sie nehmen ausgerechnet Erdbeeren! Und schon beginnen sie durch die aufgeweichte Tüte zu kleckern und Ihren guten Anzug ernstlich zu gefährden!»

Unangenehm berührt, musste ich feststellen, dass dem tatsächlich so war.

Ich schenkte die Erdbeeren dem erstbesten kleinen Buben, der sie höchst erstaunt und ein bisschen unsicher in Empfang nahm. Und als Poirot ihm auch noch seinen Salatkopf überreichte, stand dem Kleinen die pure Fassungslosigkeit ins Geschieht geschrieben. Poirot fuhr in seiner Strafpredigt fort.

«In einem billigen Obst- und Gemüseladen kauft man doch keine Erdbeeren! Erdbeeren, die nicht erstklassig und nicht ganz frisch gepflückt worden sind, werden leicht matschig und verlieren den Saft. Eine Banane – Apfel – sogar ein Kohlkopf… Aber Erdbeeren…»

«Es ist mir im Augenblick nichts anderes eingefallen», versuchte ich eine lahme Entschuldigung.

«Das ist Ihrer Vorstellungsgabe unwürdig», wies Poirot mich streng zurecht.

Er blieb auf dem Trottoir stehen.

Das Haus und der Laden rechts von Mrs. Aschers Tabakgeschäft standen leer. «Zu vermieten» hieß es an der Tür. Links schien jemand zu wohnen. Jedenfalls hingen ziemlich rußgeschwärzte Vorhänge an den Fenstern.

Auf dieses Haus schritt Poirot zu und ließ in Ermangelung einer Klingel den Klopfer einige Male energisch gegen die Tür donnern.

Nach einigen Augenblicken wurde die Tür von einem sehr schmutzigen Kind, dessen Nase dringend einer Reinigung bedurft hätte, aufgemacht.

«Guten Abend», grüßte Poirot freundlich. «Ist deine Mutter zu Haus?»

«Was?», fragte das Kind.

Es starrte uns böse und misstrauisch an.

«Deine Mutter», wiederholte Poirot.

Es dauerte ungefähr zwölf Sekunden, bis die Frage in dem Gehirn Platz gefunden hatte; dann wandte sich das Kind um und trompetete in Richtung Treppe: «Mam, es ist jemand da!», worauf es sich wieder in die Dunkelheit des Hausinnern zurückzog.

Eine Frau mit scharfem, knochigem Gesicht beugte sich über das Treppengeländer und kam dann langsam herunter.

«Sie vergeuden nur Ihre Zeit…», begann sie, aber Poirot fiel ihr sofort ins Wort.

Er nahm seinen Hut ab und verbeugte sich förmlich.

«Guten Abend, Madame. Ich gehöre zur Redaktion des Evening Flicker und komme, um Ihnen ein Honorar von fünf Pfund anzubieten, wenn Sie uns zu einem interessanten Artikel über Ihre verstorbene Nachbarin, Mrs. Ascher, verhelfen wollen.»

Die unliebenswürdigen Worte der Abwehr erstarben auf den Lippen der Frau. Sie kam die Treppe ganz herunter, strich sich das Haar zurecht und zupfte an ihrem Rock.

«Bitte, treten Sie ein, Sir – gleich hier links. Wollen Sie sich nicht setzen?»

Der winzige Raum war zwar voll gepfropft mit schweren Möbeln in jakobinischem Stil, aber es gelang uns doch einzutreten, uns zwischen den Möbeln durchzudrücken und endlich auf einem harten Sofa Platz zu nehmen.

«Sie müssen mir verzeihen, dass ich ein wenig scharf gesprochen habe vorhin, aber Sie können sich nicht vorstellen, wie einem diese Kerle, die etwas verkaufen wollen, das Leben sauer machen – dauernd stehen sie da mit Staubsaugern, Strümpfen, Lavendelsäckchen und solch dummem Zeug. Und dann reden sie noch so freundlich und wissen den Namen… ‹Wenn Mrs. Fowler vielleicht dies oder das… ›»

Poirot griff den Namen sofort auf.

«Nun, Mrs. Fowler, ich hoffe, dass Sie uns behilflich sein können.»

«Das weiß ich noch nicht.» Die fünf Pfund standen verlockend vor Mrs. Fowlers innerem Auge. «Natürlich habe ich Mrs. Ascher gekannt, aber jetzt etwas über sie zu schreiben, das ist…»

Hercule Poirot beruhigte sie. Sie selber sollte gar keine Mühe damit haben. Er wollte einfach die Tatsachen von ihr hören, und daraus würde dann in der Redaktion ein Interview zusammengestellt.

Solcherweise getröstet und ermutigt, tauchte Mrs. Fowler willig in die Tiefen der Erinnerungen, Vermutungen und Gerüchte.

Sehr zurückgezogen hatte sie gelebt, diese Mrs. Ascher. Gerade freundlich war sie nicht gewesen, aber eben – sie hatte viel Unangenehmes erlebt, die arme Seele, das wusste man ja. Und wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, dann hätte Franz Ascher schon vor Jahren hinter Schloss und Riegel gehört. Nicht etwa, weil Mrs. Ascher sich vor ihm gefürchtet hätte! Nein, sie konnte eine wahre Teufelin sein, wenn sie gereizt war! Die konnte sich schon wehren! Aber eben – der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Wieder und wieder habe sie, Mrs. Fowler, zu ihrer Nachbarin gesagt: «Eines Tages wird der Kerl sie noch umbringen, denken Sie dann an meine Worte!» Und so war es jetzt gekommen, nicht wahr? Und sie, Mrs. Fowler, war da nebenan gewesen und hatte nichts davon bemerkt.

Poirot nutzte eine Atempause der Erzählerin, um eine Frage einzuwerfen.

«Hat Mrs. Ascher vielleicht jemals merkwürdige Briefe bekommen? Briefe, die nicht ordentlich unterschrieben waren, sondern nur mit ABC oder so?»

Bedauernd musste Mrs. Fowler sich vor dieser Frage geschlagen bekennen.

«Ich weiß genau, was Sie meinen – anonyme Briefe nennt man das –, meistens voll von Ausdrücken – die einen erröten ließen, wenn man sie laut lesen müsste. Ja, also das weiß ich nicht, ob Franz Ascher jemals solche Briefe geschrieben hat. Mrs. Ascher hat mir nie etwas davon gesagt… Wie meinen Sie? Ein Fahrplan? Ein ABC? Nein, so einen habe ich nie bei ihr gesehen, und ich bin sicher, dass Mrs. Ascher es mir erzählt hätte, wenn man ihr so etwas ins Haus geschickt hätte. Diese Nichte von ihr hätte doch bei ihr logieren können. Er wird sie noch umbringen, habe ich ihr immer gesagt, und jetzt hat er sie umgebracht! ‹Man weiß nie, wozu ein Betrunkener imstande ist, und dieser Mord ist der beste Beweis dafür›, sage ich.»

«Aber niemand hat diesen Ascher in das Geschäft gehen sehen, nicht wahr?», fragte Poirot.

Mrs. Fowler schnob verächtlich durch die Nase.

«Natürlich hat er sich nicht blicken lassen!»

Wie Mr. Ascher das Geschäft betreten sollte, ohne sich blicken zu lassen, fand sie zu erklären nicht der Mühe wert.

Sie stellte fest, dass es keinen Hintereingang zu dem Haus gebe und dass Ascher allen Anwohnern wenigstens vom Sehen her gut bekannt gewesen sei.