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Leider hatte ich nichts gegen kurze Röcke. Man kommt morgens völlig vertrieft aus dem ollen Bett, sieht die erste Frau am Fenster, schon lebt man etwas. Ansonsten kann sich von mir aus jeder anziehen, wie er will. Trotzdem war die Sache ein echter Jux. Hätte von mir sein können, die Idee. Rausgehalten hab ich mich einfach, weil ich Muttern keinen Ärger machen wollte. Das war wirklich ein großer Fehler von mir: Ich wollte ihr nie Ärger machen. Ich war überhaupt daran gewöhnt, nie jemand Ärger zu machen. Auf die Art muß man sich dann jeden Spaß verkneifen. Das konnte einen langsam anstinken. Ich weiß nicht, ob mich einer versteht. Damit sind wir beim Thema, weshalb ich zu Hause kündigte. Ich hatte einfach genug davon, als lebender Beweis dafür rumzulaufen, daß man einen Jungen auch sehr gut ohne Vater erziehen kann. Das sollte es doch sein. An einem Tag war ich mal auf den blöden Gedanken gekommen, was gewesen wäre, wenn ich plötzlich abkratzen müßte, schwarze Pocken oder was. Ich meine, was ich dann vom Leben gehabt hätte. Den Gedanken wurde ich einfach nicht mehr los.

»Wenn Sie mich fragen — Ed ging weg, weil er Maler werden wollte. Das war der Grund. Mist war bloß, daß sie ihn an der Kunsthochschule ablehnten in Berlin.«

»Warum?«

»Ed sagte: Unbegabt. Phantasielos. Er war ziemlich sauer.«

War ich! Aber Fakt war, daß meine gesammelten Werke nicht die Bohne was taugten. Weshalb malten wir denn die ganze Zeit abstrakt? — Weil ich Idiot nie im Leben was Echtes malen konnte, daß man es wiedererkannt hätte, einen ollen Hund oder was. Ich glaube, das mit der ganzen Malerei war eine echte Idiotie von mir. Trotzdem war die Szene an sich nicht schlecht, wie ich da in diese Hochschule klotzte und gleich rein in das Zimmer von diesem Professor und wie ich ihm meine gesammelten Werke knallhart auf den Tisch blätterte.

Er fragte erst maclass="underline" Wie lange machen Sie das schon?

Ich: Weiß nicht! Schon lange.

Ich sah ihn nicht mal an dabei.

Er: Haben Sie einen Beruf?

Ich: Nicht daß ich wüßte. Wozu auch?

Mindestens da hätte er mich rausschmeißen müssen! Aber der Mann war hart. Er blieb bei der Stange!

Er: Hat das irgendeine Ordnung? Was ist das letzte, was das erste?

Er meinte meine Ausstellung auf seinem Tisch.

Ich: Die frühen Sachen liegen links.

Die frühen Sachen! Leute! Das hatte ich gut drauf. Das war ein Tiefschlag.

Er: Wie alt sind Sie?

Der Kerl war wirklich hart!

Ich nuschelte: Neunzehn!

Ich weiß nicht, ob er mir das glaubte.

Er: Phantasie haben Sie. Das ist keine Frage, überhaupt keine, und zeichnen können Sie auch. Wenn Sie einen Beruf hätten, würde ich sagen: technischer Zeichner.

Ich fing an, meine Blätter einzupacken.

Er: Ich kann mich auch irren. Lassen Sie uns Ihre Sachen für ein paar Tage hier. Vier oder sechs Augen sehen bekanntlich mehr als zwei.

Ich packte ein. Eisern. Ein verkannteres Genie als mich hatte es noch nie gegeben.

»Trotzdem seid ihr in Berlin geblieben?«

»Ed — ich nicht. Ich konnte das nicht. Aber ich hab ihm noch zugeredet. Theoretisch war das auch richtig. Schließlich kann einer nirgends so gut untertauchen wie in Berlin und sich einen Namen machen. Ich meine, ich hab ihm nicht etwa gesagt, bleib hier oder so. Auf die Art kam man an Ed nicht ran. Wir hatten in Berlin eine Laube. Wir kamen aus Berlin, als Vater hierher versetzt wurde. Die Laube wurden wir nicht los, da sollten angeblich sofort Neubauten hin. Ich hatte für alle Fälle den Schlüssel. Diese Bude war noch ganz gut in Schuß. Wir nahmen sie also in Augenschein, und ich redete die ganze Zeit dagegen. Daß das Dach hin ist. Daß einer die ollen Dekken vom Sofa geklaut hätte. Unsere alten Möbel waren da drin, wie das so ist. Und daß die Laube eben auf Abriß steht, wegen dieser Neubauten. Ed biß sich denn auch immer mehr fest. Er packte seine Sachen aus. Was heißt Sachen? Mehr als die Bilder hatte er eigentlich nicht, nur, was er auf dem Leib hatte. Seine Rupfenjacke, die hatte er sich selber genäht, mit Kupferdraht, und seine alten Jeans.«

Natürlich Jeans! Oder kann sich einer ein Leben ohne Jeans vorstellen? Jeans sind die edelsten Hosen der Welt. Dafür verzichte ich doch auf die ganzen synthetischen Lappen aus der Jumo, die ewig tiffig aussehen. Für Jeans konnte ich überhaupt auf alles verzichten, außer der schönsten Sache vielleicht. Und außer Musik. Ich meine jetzt nicht irgendeinen Händelsohn Bacholdy, sondern echte Musik, Leute. Ich hatte nichts gegen Bacholdy oder einen, aber sie rissen mich nicht gerade vom Hocker. Ich meine natürlich echte Jeans. Es gibt ja auch einen Haufen Plunder, der bloß so tut wie echte Jeans. Dafür lieber gar keine Hosen. Echte Jeans dürfen zum Beispiel keinen Reißverschluß haben vorn. Es gibt ja überhaupt nur eine Sorte echte Jeans.

Wer echter Jeansträger ist, weiß, welche ich meine. Was nicht heißt, daß jeder, der echte Jeans trägt, auch echter Jeansträger ist. Die meisten wissen gar nicht, was sie da auf dem Leib haben. Es tötete mich immer fast gar nicht, wenn ich so einen fünfundzwanzigjährigen Knacker mit Jeans sah, die er sich über seine verfetteten Hüften gezwängt hatte und in der Taille zugeschnürt. Dabei sind Jeans Hüfthosen, das heißt Hosen, die einem von der Hüfte rutschen, wenn sie nicht eng genug sind und einfach durch Reibungswiderstand obenbleiben. Dazu darf man natürlich keine fetten Hüften haben und einen fetten Arsch schon gar nicht, weil sie sonst nicht zugehen im Bund. Das kapiert einer mit fünfundzwanzig schon nicht mehr. Das ist, wie wenn einer dem Abzeichen nach Kommunist ist und zu Hause seine Frau prügelt. Ich meine, Jeans sind eine Einstellung und keine Hosen. Ich hab überhaupt manchmal gedacht, man dürfte nicht älter werden als siebzehn — achtzehn. Danach fängt es mit dem Beruf an oder mit irgendeinem Studium oder mit der Armee, und dann ist mit keinem mehr zu reden. Ich hab jedenfalls keinen gekannt. Vielleicht versteht mich keiner. Dann zieht man eben Jeans an, die einem nicht mehr zustehen. Edel ist wieder, wenn einer auf Rente ist und trägt dann Jeans, mit Bauch und Hosenträgern. Das ist wieder edel. Ich hab aber keinen gekannt, außer Zaremba. Zaremba war edel. Der hätte welche tragen können, wenn er gewollt hätte, und es hätte keinen angestunken.

»Ed wollte sogar, daß ich dableiben sollte. ›Wir kommen durch!‹ sagte er. Aber das war nicht geplant, und ich konnte es auch nicht. Ed konnte das, ich nicht. Ich wollte schon, aber ich konnte nicht.

Ed sagtedann noch: Zu Hause sag: Ich lebe, und damit gut. Das war das letzte, was ich von ihm hörte. Ich bin dann zurückgefahren.«

Du bist in Ordnung, Willi. Du kannst so bleiben. Du bist ein Steher. Ich bin zufrieden mit dir. Wenn ich ein Testament gemacht hätte, hätte ich dich zu meinem Alleinerben gemacht. Vielleicht hab ich dich immer unterschätzt. Wie du mir die Laube eingeredet hast, war sauber. Aber ich hab es auch nicht ehrlich gemeint, daß du dableiben solltest. Ich meine, ehrlich schon. Wir wären gut gefahren zusammen. Aber wirklich ehrlich nicht. Wenn einer sein Leben lang nie echt allein gewesen ist und er hat plötzlich die Chance, dann ist er vielleicht nicht ganz ehrlich. Ich hoffe, du hast es nicht gemerkt. Wenn doch, vergiß es. Als du weg warst, kam ich jedenfalls noch in eine ganz verrückte Stimmung. Erst wollte ich einfach pennen gehen, ganz automatisch. Meine Zeit war ran. Dann fing ich erst an zu begreifen, daß ich ab jetzt machen konnte, wozu ich Lust hatte. Daß mir keiner mehr reinreden konnte. Daß ich mir nicht mal mehr die Hände zu waschen brauchte vorm Essen, wenn ich nicht wollte. Essen hätte ich eigentlich müssen, aber ich hatte nicht so viel Hunger. Ich verstreute also zunächst mal meine sämtlichen Plünnen und Rapeiken möglichst systemlos im Raum. Die Socken auf den Tisch. Das war der Clou. Dann griff ich zum Mikro, warf den Recorder an und fing mit einer meiner Privatsendungen an: Damen und Herren! Kumpels und Kumpelinen! Gerechte und Ungerechte! Entspannt euch! Scheucht eure kleinen Geschwister ins Kino! Sperrt eure Eltern in die Speisekammer! Hier ist wieder euer Eddie, der Unverwüstliche…