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Auf dem freien Platz hinter dem Tor erblickte ich nun Kamchak von den Tuchuks. Er saß auf- seiner Kaiila, hatte die Lanze in der Hand, drehte sein Tier und brüllte Befehle — er gab seinen Männern Zeichen, in diese und in jene Straße vorzudringen und weitere Dächer zu besetzen. Seine Lanzenspitze war rot. Der schwarze Lack seines Schildes war zerkratzt und verbeult. Er hatte den Metallschutz seines Helmes hochgeklappt, und sein Gesicht bot einen fürchterlichen Anblick. Die Offiziere der Tuchuks flankierten ihn, die Befehlshaber der Tausendschaften.

Er drehte seine Kaiila zur Stadt herum, ließ sie auf die Hinterhand steigen, hob Schild und Lanze hoch und brüllte: »Ich will das Blut Saphrars des Kaufmanns!«

22

Natürlich war das alles ein abgekartetes Spiel der Tuchuks gewesen.

Man gibt vor, eine Stadt ernsthaft zu belagern, verbringt damit mehrere Tage oder sogar Wochen; dann gibt man anscheinend die Belagerung auf und zieht sich langsam zurück, entfernt sich in aller Ruhe mit Wagen und Bosks — in diesem Fall vier Tage lang. Schließlich, wenn Bosks und Wagen aus der unmittelbaren Gefahrenzone sind, kehrt man im Schütze der Dunkelheit in einem Gewaltmarsch zur Stadt zurück und unternimmt einen Überraschungsangriff.

Es hatte alles bestens geklappt. Ein Großteil Turias stand in Flammen. Bestimmte Hundertschaften, vorher schon mit genauen Befehlen versehen, hatten sich sofort in den Besitz der Brunnen, Kornspeicher und öffentlicher Gebäude gesetzt — einschließlich des Palasts von Administrator Phanius Turmus. Der Ubar und Kamras, sein höchster Offizier, waren sofort gefangennommen worden — auch hier hatten für je eine Hundertschaft ausdrückliche Befehle bestanden. Die meisten Mitglieder des Hohen Rates von Turia lagen in Tuchukketten. Die Stadt war weitgehend ohne Führung, obwohl hier und dort noch mutige Turianer einzelne Straßen abgeriegelt hatten und Widerstand leisteten. Das große Anwesen Saphrars war jedoch nicht gefallen. Es war gut geschützt durch seine hohen Mauern und die zahlreichen Wächter; ebensowenig war der hohe Turm genommen worden, der die Tarnkäfige und Unterkünfte Ha-Keels des Söldners beherbergte.

Kamchak hatte im Palast des Phanius Turmus Quartier bezogen, der einigermaßen unbeschädigt geblieben war.

Nachdem die Tuchuks in die Stadt eingefallen waren, bestand Harold darauf, das junge Mädchen, das er unter dem Wagen kennengelernt hatte, nach Hause zu begleiten. Ich ging mit, machte aber unterwegs an einem Brunnen halt, um mein Bäckergewand abzulegen und mir die schwarze Farbe aus dem Haar zu waschen, denn ich hatte keine Lust, als turianischer Bürger angesehen und etwa von einem Tuchuk versehentlich angegriffen zu werden. Zum erstenmal mochte mir mein rotes Haar nützlich sein, das vielen Tuchuks bekannt sein mußte.

Als ich mich nach dem Bad aufrichtete, rief Harold verblüfft: »Also, du bist es ja selbst — Tarl Cabot aus Ko-ro-ba!«

»Du wirst es nicht für möglich halten«, erwiderte ich.

Nachdem wir das Mädchen zu Hause abgeliefert hatten, machten wir uns auf den Weg zum Hause Saphrars, wo ich mich persönlich davon überzeugte, daß im Augenblick nichts weiter zu tun war. Das Anwesen wurde von mindestens fünfzehn Hundertschaften belagert. Der Angriff hatte noch nicht begonnen. Zweifellos lagen bereits Felsbrocken und behauene Mauersteine innerhalb der Befestigungen bereit. Von den Dächern strömte der Geruch von Tharlarionöl, das bereitgestellt wurde, um es brennend auf die Sturmtruppen zu gießen, die die Mauern untergraben oder sie mit Leitern bezwingen wollten. Von Zeit zu Zeit kam es zu Schußwechseln mit Armbrüsten und Kurzbögen. Etwas machte mir Sorgen. Die Mauern des Anwesens drängten unsere Bogenschützen so weit vom Burgturm Saphrars zurück, daß dort Tarns relativ gefahrlos landen und starten konnten. Wenn es Saphrar wollte, konnte er auf dem Rücken eines Tarns entfliehen. Bis jetzt wußte er wahrscheinlich noch gar nicht, wie schlimm die Lage war. Zweifellos verfügte er über ausreichend Wasser und Nahrungsmittel, um einer längeren Belagerung standzuhalten, aber ich vermutete, daß er nicht ausharren, sondern fliehen würde, wenn er den Zeitpunkt für gekommen erachtete — aber im Augenblick schien er noch nichts zu befürchten.

Darauf wollte ich mich zum Palast des Phanius Turmus begeben, wo Kamchak sein Hauptquartier eingerichtet hatte, um ihm meine Dienste anzubieten. Harold aber bestand darauf, daß wir noch etwas in der Stadt herumgingen und uns über die verschiedenen turianischen Widerstandsnester informierten.

»Warum?« fragte ich.

»Wir sind das unserer Stellung schuldig«, sagte er.

»Oh«, bemerkte ich.

Endlich war es Abend, und wir drängten uns durch die turianischen Straßen, an denen hier und da noch Häuser brannten.

Wir erreichten ein hohes, von Mauern umgebenes Gebäude und wanderten daran entlang. Von drinnen war lautes Rufen und das Weinen von Frauen zu hören.

»Was ist das?« fragte ich.

»Der Palast des Phanius Turmus.«

»Da haben Frauen geweint.«

»Turianische Frauen«, sagte Harold achselzuckend. Dann fügte er hinzu: »Die schönsten Schätze der Stadt liegen hinter diesen Mauern.«

Ich war verblüfft, als die vier Tuchukwächter am Eingang des Palastes dreimal mit den Lanzen gegen ihre Schilde schlugen — ein unerwarteter Gruß. Beim Kommandanten einer Zehnerschaft, wird die Lanze nur einmal geschlagen, beim Kommandanten einer Hundertschaft zweimal, nur beim Befehlshaber über eine Tausendschaft erfolgt der dreifache Gruß.

»Passiert, Kommandanten«, sagte der Offizier der Wache, und die Männer gaben uns den Weg frei.

Natürlich wollte ich von Harold wissen, was das bedeutete. Ich hatte damit gerechnet, daß man uns verhören und uns allenfalls nach vielen Beteuerungen in den Palast lassen würde.

»Es bedeutet«, sagte Harold und sah sich im Hof um, »daß du den Rang des Kommandanten einer Tausendschaft bekleidest.«

»Das begreife ich nicht«, sagte ich. »Ein Geschenk Kamchaks«, sagte Harold. »Ich selbst habe das vorgeschlagen angesichts deines mutigen, wenn auch etwas ungegeschickten Eingreifens am Tor.«