»Aus dem Sleenkäfig?« fragte ich.
»Als wir auf unseren Tarns ins Lager kamen, war sie nicht in ihrem Käfig«, sagte Harold.
»Oh«, bemerkte ich, »das freut mich zu hören.«
»Die kleine Barbarin ebenfalls nicht.«
»Was ist aus ihr geworden?«
»Kamchak hat sie einem Krieger gegeben.«
»Oh«, sagte ich. Mich betrübte diese Nachricht. »Warum hast du mir nichts von meinem Wagen gesagt?«
»Ich hielt es nicht für wichtig.«
Ich runzelte die Stirn.
»Wahrscheinlich lassen sich Korobaner von solchen Dingen eher beeindrucken — ich meine vom Besitz von Wagen und so weiter.«
Ich lächelte. »Harold von den Tuchuks«, sagte ich. »Ich bin jetzt müde.«
»Gehst du denn heute wieder nicht zu deinem Wagen?«
»Ich glaube nicht.«
»Wie du willst. Aber ich habe gehört, daß er recht gut eingerichtet ist — mit Paga und Ka-la-na-Weinen aus Ar und so weiter.«
Turia hatte uns zwar seine Reichtümer und Schätze überlassen müssen — aber viel Paga oder Ka-la-na-Wein war dabei nicht angefallen. Wie ich vielleicht schon erwähnt habe, ziehen die Turianer im allgemeinen schwere süße Weine vor, die ich nicht mag. Als Beuteanteil hatte ich hundertundzehn Flaschen Ka-la-na-Wein aus Tyros, Cos und Ar an mich genommen, die ich jedoch unter meine Armbrustschützen verteilen ließ — bis auf eine Flasche, die Harold und ich vor zwei Tagen geleert hatten. Ich beschloß, die Nacht doch in meinem Wagen zu verbringen. Vor zwei Tagen war es ein Pagaabend geworden, heute war die Zeit reif für ein wenig Ka-la-na, dachte ich mir und freute mich, daß ich einen angemessenen Vorrat im Wagen hatte.
Ich blickte zu Harold auf und grinste. »Vielen Dank«, sagte ich.
»Bitte«, bemerkte Harold, sprang in den Sattel seiner Kaiila, die er an eine Säule gebunden hatte. »Ohne mich findest du aber deinen Wagen nie — und ich halte mich hier nicht länger auf.«
»Warte!« rief ich.
Aber schon galoppierte seine Kaiila aus dem Raum, rutschte über den Teppich des Nachbarzimmers und donnerte einen Korridor entlang — in Richtung Haupteingang.
Knurrend löste ich die Zügel meiner Kaiila, stieg auf und setzte Harold nach. Ich hatte wenig Lust, allein in den Straßen Turias herumzureiten oder zwischen den dunklen Wagen draußen herumfragen zu müssen, um mein Gefährt zu finden. Ich lenkte meine Kaiila die Palaststufen hinab, trabte durch die inneren und äußeren Höfe und galoppierte schließlich auf die Straße hinaus. Die überraschten Wächter versuchten mir einen geziemenden Gruß nachzuschicken.
Wenige Meter weiter zügelte ich meine Kaiila, die wütend auf die Hinterhand stieg. Harold saß in aller Gemütsruhe im Sattel seiner Kaiila und blickte mich tadelnd an.
»Solche Hast ziemt sich nicht für den Kommandanten einer Tausendschaft.«
»Schön«, sagte ich, und wir schlugen in gemütlicher Gangart den Weg zum Haupttor ein.
»Ich fürchtete schon«, sagte ich, »daß ich meinen Wagen ohne dich nicht finden würde.«
»Aber es ist der Wagen eines Kommandanten«, sagte Harold und tat erstaunt. »Jeder hätte dir den Weg weisen können.«
»Daran habe ich nicht gedacht.«
»Das überrascht mich nicht. Du bist ja nur ein Korobaner.«
»Aber vor langer Zeit haben wir die Wagenvölker zurückgeschlagen.«
»Damals war ich nicht dabei«, sagte Harold.
»Das stimmt wohl.«
Wir ritten eine Zeitlang schweigend nebeneinander her.
»Wenn es nicht unter unserer Würde wäre«, sagte ich, »würde ich die Sache jetzt durch ein Rennen zum Haupttor beilegen.«
»Paß auf!« brüllte Harold. »Hinter dir!«
Ich riß meine Kaiila herum und zog das Schwert. Wild sah ich mich um, inspizierte Toreinfahrten, Dächer, Fenster.
»Was denn?« rief ich.
»Dort!« schrie Harold. »Weiter rechts!«
Ich sah nach rechts, konnte aber nur die Backsteinmauer eines Hauses ausmachen.
»Was ist denn da?« fragte ich.
»Eine Hausmauer!«
Ich starrte ihn verständnislos an.
»Ich nehme deine Herausforderung an!« rief er und gab seiner Kaiila die Sporen.
Als ich mein Tier gewendet und die Verfolgung aufgenommen hatte, war er mir bereits ein Viertelpasang voraus, jagte sein Tier über Balken und Abfallhaufen und über noch qualmende Gebäudereste. Am Haupttor überholte ich ihn, und zusammen rasten wir hindurch und zügelten unsere Tiere.
Wir ritten gemächlich ins Lager, und er hob die Hand. »Das dort ist dein Wagen«, sagte er. »Meiner steht ganz in der Nähe.«
Es war ein großer Wagen, der von acht schwarzen Bosks gezogen wurde. Zwei Tuchukkrieger hielten Wache. Neben dem Fahrzeug stand ein Pfosten mit der Standarte der vier Boskhörner. Die Fahnenstange war rot angemalt — die Farbe der Kommandanten. Aus dem Inneren des Wagens drang Licht.
»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte Harold.
»Und ich dir«, erwiderte ich.
Die Wächter grüßten uns mit einem dreimaligen Schlag der Lanzen gegen die Schilde.
Wir erwiderten den Gruß, indem wir kurz eine Hand hoben.
»Du hast da eine wirklich schnelle Kaiila«, bemerkte Harold.
»Das Rennen«, sagte ich, »wird vom Reiter entschieden.«
»Naja, ich habe dich ja auch nur knapp geschlagen.«
»Ich dachte, ich hätte gewonnen«, sagte ich.
»Ach, was du nicht sagst!«
»Ja — woher willst du wissen, daß ich dich nicht geschlagen habe?«
»Na ja«, sagte Harold. »Ich weiß es zwar nicht genau — aber es wäre doch unwahrscheinlich — oder nicht?«
»Ja«, sagte ich, »das meine ich auch.«
»Ich weiß tatsächlich nicht, wer gewonnen hat.«
»Ich auch nicht. Vielleicht ist das Rennen unentschieden ausgegangen.«
»Vielleicht — auch wenn mir das unvorstellbar ist. Wollen wir die Kerne einer Tospit raten? Ungerade oder gerade?«
»Nein.«
»Na gut«, sagte er und hob seine rechte Hand. »Bis morgen dann.«
»Bis morgen.«
Ich sah, wie Harold auf seinen Wagen zuritt, in dem wahrscheinlich die kleine Hereena auf ihn wartete.
Am nächsten Morgen würde der Angriff auf das Haus Saphrars und den Turm, in dem Ha-Keel sich verschanzt hatte, beginnen. Vielleicht war es unser letzter Tag.
Ich bemerkte, daß meine Bosks sehr gepflegt wirkten.
Müde gab ich meine Kaiila in die Obhut eines Wächters und stieg in den Wagen.
25
Ich ließ die Plane hinter mir zufallen und blieb verblüfft stehen.
Auf der anderen Seite des Wagens stand jenseits der winzigen Feuerstelle ein Mädchen, das sich hastig nach mir umdrehte. Das Licht einer Tharlarionlampe fiel auf ihr Gesicht.
»Du!« rief sie.
Sie hielt die Hände vor das Gesicht, um den goldenen Nasenring zu verbergen.
Ich sagte nichts, sondern starrte Elizabeth Cardwell nur sprachlos an.
»Du lebst!« sagte sie und begann zu zittern. »Aber du mußt fliehen!«
»Wieso denn?«
»Er wird dich hier entdecken.«
»Wer denn?«
»Mein Herr! Der Besitzer dieses Wagens!« sagte sie weinend. »Ich kenne ihn noch nicht.«
Plötzlich wurden mir die Knie weich, aber ich rührte mich nicht von der Stelle und ließ mir nichts anmerken. Jetzt wußte ich Bescheid.
»Wo ist denn dein Herr?« fragte ich schließlich.
»Irgendwo in der Stadt — er kann jeden Augenblick kommen.«
»Ich fürchte ihn nicht«, sagte ich.
Sie wandte sich ab.
»Welchen Namen trägst du auf dem Kragen?«
»Man hat ihn mir gezeigt«, sagte sie, »aber ich kann die Zeichen nicht lesen.«
Das stimmte natürlich — sie vermochte die goreanische Sprache zwar zu sprechen, kannte aber das geschriebene Alphabet nicht.
Ich ging um die Feuerstelle herum und näherte mich dem Mädchen.
»Du darfst mich nicht anschauen«, rief sie und wandte sich ab.