Auf Kamchaks Gesicht zeigte sich keine Regung.
Endlich — vielleicht eine Ahn nach Sonnenaufgang — kamen keine Männer mehr aus dem Tor, das weit offenstand.
Nun verließ Kamchak das Dach und bestieg seine Kaiila. Langsam ritt er auf das Haupttor des Anwesens zu. Harold und ich begleiteten ihn zu Fuß, gefolgt von mehreren Kriegern. Rechts von Kamchak schritt ein Sleenmeister, der zwei der bösartigen Raubtiere an Ketten mitführte.
Um Kamchaks Sattelknopf waren mehrere Goldsäcke gebunden, die jeweils zehn goreanische Kilo schwer waren. Dahinter folgten einige turianische Sklaven, zu denen auch Kamras, der Erste Kämpfer der Stadt, und der Administrator Phanius Turmus gehörten; sie schleppten weitere Geldsäcke.
Das Grundstück jenseits der Mauern schien verlassen zu sein; auf den Mauern zeigte sich kein Mann. Die frei Fläche zwischen den Mauern und den ersten Gebäuden war leer.
Kamchak zügelte seine Kaiila und sah sich um; der Blick seiner dunklen, brennenden Augen wanderte langsam über Dächer und Fenster.
Dann spornte er sein Tier an und näherte sich dem Haupteingang der Gebäude. Zwei Krieger tauchten auf, die offenbar Widerstand leisten wollten. Hinter ihnen entdeckte ich zu meiner Überraschung eine in Weiß und Gold gekleidete Gestalt, die einen in ein purpurnes Tuch geschlagenen Gegenstand in den Armen hielt. Saphrar!
Die beiden Wächter zogen ihre Waffen.
Kamchak zügelte seine Kaiila.
Hinter mir hörte ich Hunderte von Leitern und Seilhaken gegen die Mauern schlagen, und als ich mich umwandte, sah ich, wie unzählige Männer über die Schutzwälle und durch die offenen Tore in die verlassene Festung strömten.
Kamchak sagte: »Kamchak von den Tuchuks, dessen Vater Kutaituchik von Saphrar aus Turia getötet wurde, möchte Saphrar aus Turia sprechen!«
»Werft eure Speere!« kreischte Saphrar aus dem Hintergrund.
Die beiden Männer zögerten.
»Übermittelt Saphrar aus Turia meine Grüße«, sagte Kamchak ruhig.
Einer der Wächter wandte sich mit starren Bewegungen um.
»Kamchak von den Tuchuks«, sagte er, »entbietet Saphrar aus Turia seinen Gruß.«
»Tötet ihn!« forderte Saphrar. »Tötet ihn!«
Stumm nahm ein Dutzend Bogenschützen der Tuchuks Aufstellung und hob die Waffen. Kamchak löste wortlos zwei Beutel Gold von seinem Sattel und warf sie neben seinem Tier zu Boden.
»Kämpft!« kreischte Saphrar außer sich.
Die beiden Wächter kamen zögernd näher, nahmen je einen Beutel auf und flohen zwischen den Tuchuks hindurch auf die Straße.
»Sleen!« zischte Saphrar, machte kehrt und verschwand wieder seinem Palast.
Ohne sich zu beeilen, lenkte Kamchak seine Kaiila die Vortreppe hinauf und in die Vorhalle des Haupthauses. Hier sah er sich um, ritt über die breite Marmortreppe und nahm in aller Ruhe die Verfolgung des entsetzten Saphrar auf.
Immer wieder stießen wir auf Wächter — doch sobald Saphrar hinter ihnen Schutz suchte, ließ ihnen Kamchak Gold hinwerfen, das sie mit schnellem Griff an sich brachten, um damit zu verschwinden. Saphrar, schweratmend, den schweren Gegenstand im Arm, eilte weiter. Er verschloß Türen hinter sich, die jedoch eingeschlagen wurden. Er warf Möbelstücke die Treppen hinab, doch wir ließen uns nicht aufhalten. Die Jagd führte von Raum zu Raum, durch einen Saal nach dem anderen. Wir passierten den großen Bankettsaal, wo uns der Kaufmann vor langer Zeit bewirtet hatte, und kamen durch Küchen- und Vorratsräume schließlich in die Privatgemächer Saphrars. Hier schien unsere Mission plötzlich zu Ende zu sein, denn Saphrar war verschwunden, aber Kamchak zeigte keinerlei Unruhe.
Er stieg ab, nahm ein Kleidungsstück von einem Hocker und hielt es den beiden Jagdsleen vor die Schnauzen. »Sucht!« sagte er.
Die beiden Sleen schienen den Duft des Stoffes einzusaugen und begannen zu zittern. Ihre Köpfe zuckten hin und her. Gleich darauf näherten sie sich einer Wand, sprangen sie an und begannen zu wimmern und zu zischen.
»Brecht durch!« befahl Kamchak.
Wenige Sekunden später zeigte sich hinter der dünnen Trennwand ein dunkler Tunnel. Kamchak gab seine Kaiila nun in die Obhut eines Untergebenen, ließ sich eine Fackel geben und stieg hinter den schnaubenden Sleen in den Tunnel, gefolgt von Harold und mir und den übrigen Männern. Die Sleen hatten keine Mühe, Saphrars Spur durch die Gänge zu folgen, die sich oft verzweigten.
Einmal blieb Kamchak stehen und verlangte nach Planken. Auf etwa drei Metern Breite fehlte der Fußboden, der zurückgeklappt zu sein schien. Harold warf einen Stein in die Öffnung, und es dauerte etwa zehn Ihn, ehe er auf Wasser aufschlug.
Kamchak schien die Verzögerung nicht weiter zu stören. Mit untergeschlagenen Beinen saß er reglos vor der Öffnung, bis die Planken gebracht wurden; dann gingen er und die Sleen als erste hinüber. Dann wieder rief er uns eine Warnung zu und verlangte nach einer Lanze, mit der er einen Fallstrick in der Passage auslöste. Vier Speere zuckten aus den Wänden und verschwanden in kleinen Öffnungen an der gegenüberliegenden Tunnelwand. Kamchak trat mit dem Stiefel die Sperrschäfte entzwei und machte den Weg wieder frei.
Schließlich erreichten wir einen großen Audienzsaal mit Dachkuppel. In diesem Raum waren Harold und ich verhört worden.
Vier Personen warteten auf uns.
Auf dem Ehrenplatz saß der hagere, narbige Tarnsöldner des Kaufmanns Saphrar, Ha-Keel. Er war damit beschäftigt, seine Schwertklinge einzuölen.
Vor der Plattform trippelte Saphrar auf und ab; er umklammerte das purpurne Objekt. Er wurde beobachtet von dem Paravaci, der noch immer die Maske des Klans der Folterer trug und in Saphrars Gesellschaft gewesen war, als ich in den Gelben See springen mußte.
Ich hörte Harolds erfreuten Ruf, als er den Mann erblickte und der Paravaci fuhr mit gezückter Quiva herum. Der vierte Mann war jung und hatte dunkles Haar, ein einfacher Soldat, knapp zwanzig Jahre alt. Er trug die rote Robe eines Kriegers. Er stellte sich zwischen uns und die anderen.
Kamchak musterte ihn. »Stör uns nicht, Junge. Hier haben Männer miteinander zu reden.«
»Tritt zurück, Tuchuk!« forderte der Jüngling ihn auf und zog sein Schwert.
Kamchak gab ein Zeichen, daß dem Soldaten ein Sack Gold hingeworfen werden sollte. Doch der Krieger rührte sich nicht. Kamchak warf ihm einen zweiten Sack Gold vor die Füße und schließlich einen dritten.
»Ich bin Krieger«, sagte der junge Mann stolz. »Du kennst unseren Kodex.«
»Wie du willst«, sagte Kamchak und gab seinen Bogenschützen ein Zeichen.
Mit einem turianischen Kriegsschrei stürzte sich der junge Mann auf den Häuptling der Tuchuks, wurde jedoch im nächsten Augenblick von einem Dutzend Pfeilen durchbohrt.
Er sank wimmernd zu Boden. Zu meiner Verblüffung bemerkte ich, daß ihn die Pfeile nur an Armen und Beinen getroffen hatten — was bestimmt kein Zufall war.
Kamchak wandte sich an einen Krieger hinter sich. »Laß seine Wunden verbinden, damit er überlebt. Dann soll er ins Lager gebracht werden. Steckt ihn in das Lederwams eines Tuchuks und bildet ihn an unseren Waffen aus. Wir brauchen Männer wie ihn bei den Wagen.«
Ich sah den verblüfften Blick des jungen Mannes, als er hinausgetragen wurde.
Kamchak drehte sich um und musterte die anderen drei Männer, den ruhigen Ha-Keel, den nervösen Saphrar und den großen Paravaci.
»Der Paravaci gehört mir!« rief Harold.
Der Mann wandte sich ärgerlich in seine Richtung, doch er blieb, wo er war, und hielt seine Quiva in der Hand.
Harold sprang vor. »Kämpfen wir!«
Auf ein Zeichen Kamchaks zog sich der junge Tuchuk wutschnaubend zurück.
»Kommt nicht näher!« rief Saphrar nervös, »oder ich vernichte die goldene Kugel!« Er zerrte das purpurne Tuch auseinander und enthüllte die goldene Kugel, die er im Arm gehalten hatte. Er hob das Gebilde über den Kopf. Mein Herz stockte. Ich streckte den Arm aus und berührte Kamchak am Arm.
»Das darf er nicht«, flüsterte ich.
»Warum nicht?« fragte Kamchak. »Das Ding ist wertlos.«