Ich runzelte die Stirn. »Turianische Mädchen sind stolz«, fuhr Kamchak fort. »Sie geben ausgezeichnete Sklavinnen ab. Aber nachts muß man sie unter dem Wagen anketten.«
Wir ritten weiter.
Die Wagen dieser Nomaden, zu Hunderten und Tausenden aufgefahren, bieten in ihren leuchtenden Farben einen großartigen Anblick. Zu meiner Überaschung waren die Fahrzeuge fast quadratisch, wobei jedes die Größe eines geräumigen Zimmers hat. Jedes wird von einem Doppelgespann Bosks gezogen, von insgesamt acht Tieren. Die Gespanne sind an zwei Zugstangen festgemacht, die miteinander durch Temholz, ein besonders hartes, aber flexibles Material verbunden sind. Auch die Achsen der Wagen bestehen aus Temholz.
Der Wagenkasten, der fast zwei Meter hoch liegt, besteht aus schwarzen lackierten Temholzplanken. Innerhalb des quadratischen Wagenkastens ist ein rundes zeltartiges Gerippe angebracht, das mit angemalten und eingefetteten Boskhäuten bespannt ist. Diese Häute werden fantasievoll bemalt und sind mit individuellen Mustern versehen, wobei jeder Wagen die anderen an Kühnheit und Glanz zu überbieten versucht. Das runde Zeltskelett erhebt sich etwas innerhalb des Wagenkastens, so daß der Wagen — fast wie bei einem Schiff — von einem Rundgang umgeben ist. Die Flanken des Wagenkastens sind übrigens hier und dort mit Schießscharten versehen, denn der kleine Hornbogen der Wagenvölker läßt sich nicht nur aus dem Sattel abschießen, sondern auch in der Enge eines Wagens. Zu den auffälligsten Details dieser Wagen gehören die Räder, die riesig sind. Die Hinterräder haben einen Durchmesser von etwa drei Metern; die Vorderräder sind wie bei den Conestogawagen etwas kleiner, vielleicht zweieinhalb Meter; die größeren Hinterräder versinken nicht so leicht in weichem Boden; die kleineren Vorderräder, die den ziehenden Bosks näher sind, machen das Gefährt besser manövrierbar. Die Räder bestehen aus geschnitztem Holz und sind wie die Wagenhäute fantasievoll bemalt. Dicke Streifen Boskleder bilden die Fahrflächen und werden drei- bis viermal im Jahr erneuert. Der Wagen wird mit acht Zügeln gelenkt, je zwei für die vier Leittiere. Gewöhnlich werden die Wagen jedoch wie Tandems zu langen Fahrketten verbunden und nur die führenden Wagen werden gesteuert, während die anderen, durch Leinen verbunden, einfach nachfolgen. Oft wird ein Wagen auch durch eine Frau oder einen Jungen gelenkt, der neben dem Leittier einhergeht.
Das Innere der Wagen, die fest zugeschnürt werden, ist meist prunkvoll ausgestattet — mit herrlichen Teppichen ausgelegt, voller Truhen und Seidenstoffe und Beutestücken aus überfallenen Karawanen, erhellt durch Tharlarionöllampen, deren goldenes Licht sich in den seidenen Kissen spiegelt. In der Mitte des Wagens befindet sich eine kleine flache kupferne Feuerschale mit einem Grill. Hier wird auch gekocht, obwohl diese Feuerstelle in erster Linie für Wärme sorgen soll. Der Rauch zieht durch ein Loch am höchsten Punkt der Kuppel ab, ein Loch, das geschlossen bleibt, wenn die Wagen in Bewegung sind.
Plötzlich dröhnten Kaiilahufe neben mir, und ich wich zurück.
»Zur Seite, du Dummkopf!« rief eine Mädchenstimme, und zu meiner Verblüffung entdeckte ich im Sattel des nervös tänzelnden Tiers, das mich fast zu Boden geworfen hätte, ein strahlend schönes Geschöpf, das ärgerlich an den Zügeln zerrte.
Sie unterschied sich sehr von den anderen Frauen der Wagenvölker, die ich bisher gesehen hatte — den stämmigen Gestalten mit geflochtenem Haar, die sich über ihre Kessel beugten.
Das Mädchen trug einen kurzen Lederrock, der seitlich geschlitzt war, damit sie im Kaiila-Sattel Platz nehmen konnte; ihre Lederbluse war ärmellos, und um ihre Schultern lag ein rotes Cape. Ihr schwarzes Haar war mit einem roten Tuch zurückgebunden. Ihre Haut war hellbraun, und ihre Augen funkelten schwarz.
»Was für ein Narr ist das?« fragte sie Kamchak.
»Er ist kein Narr«, sagte Kamchak, »sondern Tarl Cabot, ein Krieger, der Gras und Erde mit mir gehalten hat.«
»Er ist ein Fremder«, sagte sie. »Er müßte getötet werden!«
Kamchak grinste sie an, und das Mädchen schnaubte verächtlich, riß ihr Tier herum und galoppierte davon.
»Sie heißt Hereena und gehört dem Ersten Wagen an«, erklärte mir Kamchak.
»Was heißt das?«
»Du weißt wohl nur wenig über die Wagenvölker. Wenn man dem Ersten Wagen angehört, ist man im Haushalt von Kutaituchik.«
Ich wiederholte langsam den Namen. »Und er ist Ubar der Tuchuks?«
»Sein Wagen ist der Erste Wagen«, sagte Kamchak lächelnd, »Und es ist Kutaituchik, der auf dem Thron der grauen Robe sitzt, auf dem Thron der Tuchuks.«
So erfuhr ich den Namen des Mannes, der wohl Ubar aller Tuchuks war.
»Du wirst irgendwann auch einmal zu Kutaituchik gebracht«, sagte Kamchak. »Ich selbst muß oft in den Wagen des Ubar.«
Daraus schloß ich, daß Kamchak bei den Tuchuks großes Ansehen genoß und einige Verantwortung trug.
»Und das Mädchen ist eine Tochter Kutaituchiks?«
»Nein«, sagte Kamchak. »Sie ist nicht mit ihm verwandt.«
»Sie schien so anders als die anderen Tuchukfrauen.«
Kamchak lachte. »Natürlich — sie ist auch dazu aufgezogen worden, als Preis in den Spielen des Liebeskrieges zu dienen.«
»Den — was?« fragte ich.
»Hast du die Ebene der Tausend Pfähle noch nicht gesehen?«
»Nein«, sagte ich.
Ich wollte Kamchak gerade um eine nähere Erklärung bitten, als wir lautes Geschrei und das Quietschen einer Kaiila hörten. Kamchak hob den Kopf und lauschte auf das Rufen der Männer und die Schreie von Frauen und Kindern. Eine Trommel begann zu schlagen, und jemand blies auf einem Boskhorn.
»Man hat einen Gefangenen ins Lager gebracht«, sagte Kamchak.
6
Kamchak ging zwischen den Wagen hindurch auf den Lärm zu, und ich folgte ihm. Auch andere Tuchuks drängten in unsere Richtung. Wir wurden von bewaffneten Dienern gestoßen, von Jungen mit noch narbenlosen Gesichtern, von ledergekleideten Frauen, die ihre Feuer im Stich ließen, von wilden, halbnackten Kindern und turianischen Sklavenmädchen, die sehen wollten, was es mit dem Horn und der Trommel auf sich hatte.
Wir erreichten eine breite Grasstraße, eine Scheide zwischen den Wagen, eine Art Zentrum in der Stadt aus Harriga oder Boskwagen. Zahlreiche Tuchuks und Sklaven drängten sich in dieser Straße, Handaufleger und Haruspexe, Sänger und Musiker und hier und dort auch fliegende Händler, die gelegentlich von den Tuchuks zugelassen werden, weil ihre Waren willkommen sind. Wie ich später erfuhr, trug jeder dieser Männer ein winziges Brandmal auf dem Unterarm, ein Zeichen in der Form von Boskhörnern, das dem Betreffenden freie Durchfahrt auf den Ebenen der Wagenvölker gestattet. Die Schwierigkeit lag natürlich darin, dieses Brandzeichen zu erlangen. Wenn bei einem Sänger das Lied keinen Gefallen fand oder die Waren eines Händlers abgelehnt wurden, hatte das meist den Tod zur Folge.
Jetzt erblickte ich weiter unten auf der breiten Grasbahn zwei Kaiilareiter, die auf uns zukamen. Eine Lanze war zwischen ihnen befestigt, etwa anderthalb Meter über dem Boden. Und zwischen den beiden Reittieren, an die Lanze gefesselt, die Hände auf dem Rücken gebunden, stolperte ein Mädchen.
Ich war verblüfft, denn dieses Mädchen war nicht wie eine Goreanerin gekleidet — sie war sicher nicht aus irgendeiner Stadt der Gegenerde, auch nicht eine Bäuerin der Sa-Tarna-Felder oder aus den Weinbergen, auf denen die Ta-Trauben gezüchtet werden, es war auch kein Mädchen der Wagenvölker.
Kamchak trat in die Mitte der breiten Straße, hob eine Hand, und die beiden Reiter zügelten ihre Tiere.
Das Mädchen keuchte atemlos und zitterte am ganzen Körper. Sie wäre zu Boden gesunken, wenn die Lanze sie nicht gehalten hätte. Ihre Augen wirkten seltsam glasig. Ihre Kleidung war verschmutzt und zerrissen, die Schuhe baumelten ihr um den Hals, gelbe Nylonstrümpfe hingen in Fetzen um ihre Waden.
Auch Kamchak schien überrascht von der seltsamen Kleidung, ganz besonders aber von dem breiten Lederkragen, den die Fremde um den Hals genäht trug.