»Sag mir nicht, wo es ist«, sagte ich, »oder ich wäre in Versuchung, es zu stehlen und ins Sardargebirge zu schaffen.«
»Aber bist du nicht der Mann, der von den Priesterkönigen kommt, um das Ei zu holen?«
»Doch.«
»Warum wolltest du das Ei dann stehlen und fortschleppen?«
»Ich habe keine Möglichkeit, zu beweisen, daß ich von den Priesterkönigen komme«, sagte ich. »Würdest du mir denn glauben?«
»Ja, weil ich dich kenne.«
Ich schwieg. »Ich habe dich eingehend beobachtet, Tarl Cabot aus Ko-ro-ba«, sagte Kamchak. »Einmal hast du mir das Leben geschenkt, und wir hielten Gras und Erde zusammen, und von diesem Augenblick an wäre ich für dich gestorben, selbst wenn du ein Geächteter gewesen wärst. Aber da hätte ich dir das Ei noch nicht geben können. Dann gingst du mit Harold in die Stadt, und da wußte ich, daß du für das Ei dein Leben opfern wolltest, denn deine Chancen standen sehr schlecht. Niemand, der nur auf Gold aus war, hätte ein derartiges Risiko auf sich genommen. Dadurch verdichtete sich meine Vermutung, daß du der von den Priesterkönigen Auserwählte sein könntest.«
»Und deshalb ließest du mich nach Turia ziehen«, sagte ich, »Obwohl du wußtest, daß die goldene Kugel wertlos war?«
»Ja«, sagte Kamchak.
»Und warum hast du mir das Ei hinterher nicht gegeben?«
Kamchak lächelte. »Ich brauchte noch eine letzte Bestätigung.«
»Und die wäre?«
»Ich wußte, daß du das Ei für die Priesterkönige haben wolltest und nicht zu deinem persönlichen Vorteil. Deshalb wollte ich die goldene Kugel zerschmettern. Ich hätte es selbst getan, wenn es nicht von allein soweit gekommen wäre — ich wollte sehen, ob dich der Verlust in Wut versetzte oder traurig stimmte, in Trauer um die Priesterkönige.« Kamchak lächelte. »Als du vorhin weintest, wußte ich, daß dein Herz an dieser Mission hängt, daß du wirklich nur wegen des Eies gekommen warst.«
Ich starrte ihn sprachlos an.
»Verzeih mir — ich war grausam. Ich bin eben ein Tuchuk. Aber obwohl ich sehr viel für dich empfinde, mußte ich mir in dieser Sache Gewißheit verschaffen.«
»Da ist nichts zu verzeihen«, sagte ich. »An deiner Stelle hätte ich wahrscheinlich nicht anders gehandelt.«
Kamchaks Hand schloß sich um die meine.
»Wo ist das Ei?« fragte ich.
»Wo würdest du es denn suchen?«
»Ich hätte es bei Kutaituchik gesucht — im Wagen des Ubar der Tuchuk.«
»Aber ich bin Ubar der Tuchuks«, sagte Kamchak.
»Du meinst. . .?«
»Ja«, sagte Kamchak leichthin, »das Ei ist seit zwei Jahren in meinem Wagen.«
»Aber ich habe monatelang in deinem Wagen gelebt!« rief ich.
»Hast du denn das Ei nicht gesehen?«
»Nein — es muß gut versteckt sein.«
»Wie sieht das Ei aus?«
»Ich . . . ich weiß es nicht.«
»Du hast dir vielleicht vorgestellt, daß es oval ist und golden schimmert?«
»Ja.«
»Weißt du eigentlich warum?«
»Nein.«
»Dann paß auf. Wir malten das Ei eines Tharlarion golden an und legten es in den Wagen Kutaituchiks. Und dann verstreuten wir Gerüchte, es sehe so und so aus. So einfach ist das.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Ich glaube, du hast das echte Ei der Priesterkönige oft herumliegen sehen«, fuhr er fort. »Tatsächlich haben es die Paravaci, die meinen Wagen ausraubten, nicht für wertvoll genug gehalten, es mitzunehmen.«
»Wie sieht es denn aus?« rief ich verzweifelt.
»Erinnerst du dich an die Kuriosität — das graue, ledrige Ding?«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber«, sagte ich fassungslos und mit zitternder Stimme. »Du hast es durch den Wagen gerollt, hast es herumgestoßen — einmal hast du ihm sogar einen Fußtritt versetzt, damit es zu mir herüber rollte und ich es mir anschauen konnte! Du hast sogar darauf gesessen!«
»Ich hoffe, daß mir die Priesterkönige das verzeihen — aber solche kleinen Szenen — die mir übrigens doch wohl ganz gut gelungen sind — gehörten zur Täuschung.«
Ich lächelte, als ich daran dachte, wie sehr sich Misk über das Ei freuen würde.
»Hab’ keine Angst — das Ei ist bestimmt nicht beschädigt — dazu wäre mindestens eine Axt oder ein Schwert erforderlich.«
»Ich hoffe, daß das Ei nach dieser langen Zeit noch lebt«, sagte ich.
Kamchak zuckte die Achseln. »Wir haben es bewacht — mehr können wir nicht tun.«
»Und ich und die Priesterkönige sind dir dankbar.«
Kamchak lächelte. »Ich bin aber doch froh, daß ich es los bin — außerdem kommt jetzt die Zeit für die Tumitjagd.«
»Übrigens, Ubar«, schaltete sich Harold ein und blinzelte mir zu. »Was hast du eigentlich für Aphris aus Turia bezahlt?«
Kamchak warf ihm einen bösen Blick zu.
»Du hast Aphris gefunden!« rief ich.
»Albrecht von den Kassars«, sagte Harold gelassen, »hat sie bei dem Überfall auf das Paravacilager an sich gebracht.«
»Herrlich!« rief ich.
»Sie ist nur eine Sklavin und ganz unwichtig!« knurrte Kamchak.
»Was hast du für sie bezahlt?« fragte Harold unschuldig.
»Die Tumits lassen sich jetzt am besten jagen«, bemerkte Kamchak. »Wir sollten in die Gegend des Cartius ziehen.«
»Ich würde sagen, daß ein schlauer Tuchuk nicht mehr als ein paar kupferne Tarnmünzen für das Mädchen zahlen würde«, sagte Harold.
Ich erinnerte mich noch daran, welchen Preis Kamchak gefordert hatte, als Albrecht seine Tenchika zurückkaufen wollte!
»Wichtig ist allein, daß Aphris wieder da ist«, sagte ich.
Wir ritten schweigend weiter. Schließlich fragte auch ich: »Also, was hast du denn nun für sie bezahlt?«
Kamchaks Gesicht war gerötet vor Zorn. Er starrte Harold an, der ihn unschuldig fragend anlächelte, und dann mich, der ich nur ehrlich neugierig war. Kamchaks Hände verkrampften sich um die Zügel.
»Zehntausend Goldbarren«, sagte er zähneknirschend.
Ich zügelte meine Kaiila und starrte ihn verblüfft an. Harold schlug auf seinen Sattel ein und wieherte vor Lachen.
»Also wirklich!« sagte ich, und in meiner Stimme schien wohl etwas Spott zu schwingen, denn nun wurde auch ich mit einem vernichtenden Blick bedacht.
Plötzlich funkelten seine Augen amüsiert, und er lächelte mich etwas dümmlich an. »Ja, Tarl Cabot, ich erinnere mich an unser Gespräch. Ich scheine wohl auch ein Narr zu sein — das habe ich jetzt erst gemerkt.«
»Meinst du nicht, Cabot«, sagte Harold, »daß er alles in allem — von einigen Dummheiten abgesehen — ein ausgezeichneter Ubar ist?«
»Im großen und ganzen schon«, sagte ich. »Abgesehen von solchen Dummheiten.«
Kamchak starrte Harold an, blickte zu Boden und kratzte sich am Ohr. Und dann brachen wir alle drei in Gelächter aus, und Tränen rannen Kamchak über das Gesicht.
»Du hättest ihm sagen sollen«, sagte Harold, »daß das Gold aus Turia stammte.«
»Ja!« rief Kamchak. »Das stimmt. Es war Saphrars Gold.«
»Das ist doch wohl etwas anderes!« sagte Harold.
»Allerdings!« rief Kamchak.
Wieder lachten wir und trieben unsere Kaiila an.
Als wir das Lager erreichten, sprang ich vom Rücken meines Tiers und lief auf meinen Wagen zu. Das Mädchen, das dort auf mich wartete, stieß einen Freudenschrei aus und lief mir entgegen, und ich riß sie hoch und schwenkte sie herum.
»Du bist am Leben!« rief sie. »Du bist in Sicherheit!«
»Ja«, sagte ich. »Ich bin am Leben, und du bist am Leben und in Sicherheit — die ganze Welt ist in Sicherheit.«
Damals glaubte ich noch fest daran.
26
Kamchak, Harold und die anderen schienen sich sehr auf die Tumitjagd zu freuen, die eine Spezalität der Wagenvölker zu sein schien. Nachdem Kutaituchik nun gerächt war, verlor Kamchak das Interesse an Turia, obwohl er natürlich wünschte, daß die Stadt weiterlebte — als Handelstor für die Wagenvölker, durch das sie mit der fernen Zivilisation Waren aller Art austauschen konnten.
Am Tag vor dem Abmarsch der Wagenvölker von Turia hielt Kamchak Hof im Palast des Phanius Turmus. Der frühere turianische Ubar war zusammen mit seinem Ersten Kämpfer am Tor des Saaleingangs angekettet, um den Gästen die Füße zu waschen.