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Turia war eine reiche Stadt gewesen, und obwohl große Beträge an Ha-Keel und seine Tarnkämpfer und erhebliche Goldmengen auch an die Soldaten Saphrars gezahlt worden waren, waren diese Mengen im Vergleich zu den Beständen nur winzig, ganz zu schweigen von den gewaltigen Schatzkammern Saphrars. Das Vermögen hätte ausgereicht, um jeden Tuchuk — und vielleicht auch jeden Kataii und jeden Kassar — zu einem reichen Mann zu machen. Ich mußte unwillkürlich daran denken, daß Turia noch nie erobert worden war.

Und doch befahl Kamchak, daß der größte Teil dieses Reichtums in der Stadt verbleiben sollte, daß die Stadt wieder aufgebaut werden und florieren konnte. Auf dem Thron des Phanius Turmus saß Kamchak, die purpurne Ubarrobe um die Schultern. Er saß nicht mehr düster brütend vor seinen Leuten, sondern kümmerte sich gutgelaunt um seine Amtsgeschäfte und ließ sich nur ab und zu durch seine Kaiila ablenken, die neben dem Thron an eine Säule gebunden war und der er Fleischstücke zuwarf. Kostbare Schmuckstücke und Goldkrüge und Seidenstoffe waren um den Thron aufgehäuft.

Die Kommandanten Kamchaks umringten den Thron, dazu einige Anführer von Hundertschaften, die zum Teil ihre Frauen mitgebracht hatten. Neben mir stand Elizabeth, einfach gekleidet; dahinter sah ich Harold von den Tuchuks mit der bildhübschen Hereena.

In einer langen Reihe wurden Turianer vor den Thron geschleppt, Männer, die in der Stadt etwas zu sagen gehabt hatten, hohe Würdenträger und Beamte. Kamchak richtete das Wort an sie.

»Eure Besitztümer und Frauen gehören mir. Wer ist der Herr über Turia?«

»Kamchak von den Tuchuks«, lautete die Antwort.

Schließlich wurden auch Phanius Turmus und Kamras vorgeführt.

Kamchak deutete auf die Reichtümer ringsum. »Wem gehört das Vermögen Turias?«

»Kamchak von den Tuchuks.«

»Wer«, fragte Kamchak lachend, »ist Ubar von Turia?«

»Kamchak von den Tuchuks.«

»Bringt den Heimstein der Stadt«, befahl Kamchak. Der Stein, von ovaler Form, alt und verwittert, mit dem Anfangsbuchstaben des Stadtnamens versehen, wurde gebracht.

Er hob den Stein über den Kopf und las die Angst in den Augen der beiden Männer vor seinem Thron.

Aber er zerschmetterte den Stein nicht. Er stand auf und legte den Stein in die gefesselten Hände Phanius Turmus’. »Turia lebt«, sagte er, »Ubar.«

Tränen traten in die Augen des Administrators, und er drücke den Heimstein seiner Stadt ans Herz.

»Morgen früh«, rief Kamchak, »kehren wir zu den Wagen zurück.«

»Du willst Turia verschonen, Herr?« fragte Aphris die neben dem Thron kniete. Sie sah den Tuchuk verwundert an, wußte sie doch, welcher Haß noch vor Tagen an ihm genagt hatte.

»Ja«, sagte Kamchak. »Turia soll weiterleben.«

Auch ich war überrascht, hielt mich aber zurück. Ich hatte angenommen, daß Kamchak den Stein vernichten und damit die Tradition der Stadt zerstören würde, so daß sie im Herzen der Menschen nur noch als Ruine weiterleben konnte. Erst jetzt wurde mir klar, daß er der Stadt ihre Freiheit wiedergeben wollte.

Das schien mir ein seltsames Verhalten für einen Eroberer, für einen Tuchuk.

Lag es daran, daß Kamchak — wie er mir einmal anvertraute — einen Feind für die Wagen Völker brauchte? Oder spielte hier etwas anderes mit?

Plötzlich gab es Aufregung an der Tür, und drei Männer eilten herein — Hakimba von den Kataii, Conrad von den Kassars und ein Paravaci, den ich nicht kannte. Dichtauf folgten einige andere Männer, darunter auch Albrecht von den Kassars und die Sklavin Tenchika, die ein Bündel in der Hand hielt.

Conrad, Hakimba und der Paravaci nahmen vor dem Thron Kamchaks Aufstellung.

»Die Omen sind befragt!« rief Conrad.

»Zum erstenmal seit hundert Jahren«, sagte Hakimba, »gibt es wieder einen Ubar San. Einen Ubar für alle Wagen Völker!«

Kamchak stand auf und warf die purpurne Robe des turianischen Ubar von sich. Die drei Ubar hoben die Arme.

»Kamchak!« riefen sie. »Ubar San!«

Der Schrei wurde von den Anwesenden aufgenommen, und auch ich schrie lauthals mit: »Kamchak, Ubar San!«

Kamchak hob die Hände, und es wurde still. »Jeder von euch«, sagte er, »die Kassars, die Kataii, die Paravaci, haben eigene Bosks und eigene Wagen — und so sollt ihr weiterleben. Aber in Kriegszeiten, wenn es Bestrebungen von Feinden gibt, uns zu trennen und unsere Wagen und Bosks und Frauen zu bedrohen, unsere Ebenen und unser Land — dann laßt uns zusammen kämpfen. Dann kann nichts und niemand den Wagenvölkern etwas anhaben. Wir leben allein, aber wir alle gehören zu den Wagen, und was uns trennt, wiegt weniger als alles, was uns eint. Wir alle wissen, daß es falsch ist, die Bosks unserer Brüder zu töten, und daß es recht ist, stolz und mutig zu sein und unsere Wagen zu verteidigen. Und so werden wir zusammen stark und freisein. Beschwören wir das!«

Die drei Männer traten neben den Thron und legten die Hände zusammen. »Dies sei beschworen!« sagten sie im Chor.

»Hoch Kamchak!« riefen sie dann. »Ubar San!«

»Hoch Kamchak!« hallte es durch den Saal.

Erst am späten Nachmittag waren alle wichtigen Fragen geklärt, und der große Saal hatte sich geleert. Nur wenige hielten sich noch vor dem Thron auf, einige Kommandanten und Anführer von Hundertschaften und natürlich Kamchak und Aphris. Auch Harold und ich waren noch geblieben, ebenso Hereena und Elizabeth.

Kurz zuvor waren Albrecht und Tenchika gegangen, und das Mädchen hatte mir das Päckchen gegeben, das für Dina aus Turia bestimmt war. Ich hatte daraufhin nach dem Mädchen aus der Kaste der Bäcker schicken lassen, die nun mit ihren beiden Wächtern eintraf.

Verwundert öffnete sie das Päckchen und fand darin die Schalen und Ringe und Goldstücke, die Albrecht ihr für ihre Siege als Bolaläuferin gegeben hatte.

»Weiß Albrecht davon?« fragte Dina und sah mich groß an.

»Natürlich.«

»Er ist ein sehr großzügiger Mann«, sagte Dina und strahlte vor Freude. »Damit kann ich nun den Laden meines Vaters wiedereröffnen.«

»Wenn du willst«, sagte ich, »gebe ich dir hundertmal soviel.«

»Nein«, sagte sie lächelnd, »denn dies gehört mir.«

Sie hob ihren Schleier und küßte mich. »Leb wohl, Tarl Cabot«, sagte sie. »Ich wünsche dir alles Gute.«

»Und ich dir — Dina aus Turia.«

Dina ließ ihren Schleier wieder herabfallen, drehte sich um und eilte aus dem Saal. Elizabeth, die uns zugesehen hatte, sagte neidlos: »Sie ist schön.«

»Ja«, sagte ich. »Aber auch du bist schön.«

Kamchak stand auf und sah mich an. »Na also«, sagte er. »Und meine Wette habe ich doch gewonnen.«

Ich erinnerte mich an seine früheren Worte. »Du hast darauf gesetzt, daß die Kassars und die Kataii deinem Lager zu Hilfe kommen würden — und deshalb bist du in der Stadt geblieben.« Ich schüttelte den Kopf. »Das war eine gefährliche Sache.«

»Vielleicht doch nicht so gefährlich«, erwiderte er, »denn ich kenne die Kataii und die Kassars — möglicherweise sogar besser, als sie selbst sich kennen.«

»Du sagtest, die Wette wäre noch nicht zu Ende.«

»Aber jetzt ist sie abgeschlossen.«

»Warum hast du noch mit dir gewettet?« fragte ich.

»Daß die Kataii und die Kassars — und schließlich auch die Paravaci — eingehen mögen, wie groß die Gefahr einer Spaltung unter den Wagenvölkern ist. Einzeln sind wir schwach, doch wenn wir zusammenstehen, vermag uns niemand zu besiegen. Ich hoffte, daß die anderen Völker die Notwendigkeit einsehen würden, alle Tausendschaften unter einem Kommando zusammenzuführen . . .«

»Daß sie also die Notwendigkeit eines Ubar San einsehen würden?« fiel ich ein.

»Ja«, sagte Kamchak. »Das war der Rest meiner Wette — daß ich ihnen nahelegen könnte, einen Ubar San zu wählen.«

»Hoch Kamchak, Ubar San!« rief ich.

Kamchak lächelte und sagte: »Es ist höchste Zeit für die Tumitjagd.«