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Kamchak trat vor das Mädchen hin und nahm ihren Kopf in beide Hände. Sie hob den Blick, und als sie so plötzlich in das wilde, narbige Gesicht starrte, schrie sie hysterisch auf und versuchte sich loszureißen, aber ihre Fesseln waren zu stark. Sie wimmerte und warf den Kopf hin und her. Es war offensichtlich, daß sie ihren Augen nicht traute, daß sie ihre Umgebung nicht begriff.

Sie hatte dunkles Haar und dunkelbraune Augen. Sie schrie auf, als Kamchak ihr die Schuhe von den Schultern riß. Sie waren orangefarben, hatten hohe Absätze und trugen eine Aufschrift, die für einen Goreaner unleserlich sein mußte — eine englische Aufschrift.

Das Mädchen versuchte zu sprechen. »Ich heiße Elizabeth Cardwell«, sagte sie .»Ich bin amerikanische Staatsbürgerin. Ich wohne in New York City.«

Kamchak starrte die Reiter verblüfft an. Auf Goreanisch sagte einer der beiden: »Sie ist eine Barbarin. Sie kann kein Goreanisch.«

Ich dachte mir, daß es sicher am besten war, wenn ich vorläufig den Mund hielt.

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Wie war es möglich, daß ein Mädchen von der Erde zu den Tuchuks gebracht wurde? Hatten die Priesterkönige das Mädchen auf diese Welt geholt? War sie das Opfer einer Akquisitionsreise? Aber angeblich waren diese doch nach dem kürzlichen unterirdischen Krieg der Priesterkönige gestoppt worden. Hatte man die Reisen schon wieder aufgenommen? Gewiß war dieses Mädchen noch nicht lange auf Gor, vielleicht erst seit Stunden. Aber wenn die Priesterkönige wieder Akquisitionsreisen durchführten — warum? Steckten womöglich andere Priesterkönige dahinter — war vielleicht etwas Bestimmtes beabsichtigt, etwas, das mit mir zu tun hatte?

Plötzlich warf das Mädchen den Kopf in den Nacken und schrie hysterisch: »Ich bin wahnsinnig! Ich bin wahnsinnig!«

Ich hielt es nicht mehr aus und sagte: »Nein, es ist alles in Ordnung mit Ihnen.«

Das Mädchen starrte mich an, während die Tuchuks verblüfft die Köpfe wandten.

Ich sagte zu Kamchak: »Ich verstehe ihre Sprache.«

Einer der Reiter richtete seine Lanze auf mich und rief aufgeregt: »Er spricht ihre Sprache!«

»Bitte!« flehte das Mädchen. »Helfen Sie mir!«

»Sie müssen still sein«, sagte ich.

Ich wußte nur zu gut, was jetzt geschehen würde, was das Schicksal jeder Frau war, die in die Hände goreanischer Männer fiel. Sie war eine Gefangene, die ihrem Schicksal als Sklavin nicht entgehen konnte.

Kamchak trat vor sie hin, betastete ihr gelbes Kleid und riß es ihr vom Leib.

»Bitte«, flehte das Mädchen und wandte sich an mich.

Aber ich konnte nichts unternehmen.

Kamchak hob die Kleidung vom Boden auf, rollte sie zusammen und schickte eine Frau damit fort. Das gefesselte Mädchen sah hilflos zu, wie das Bündel, ihre ganzen Besitztümer aus der alten Welt, zu einem Kochfeuer gebracht und in die Flammen geworfen wurden.

»Nein, nein!« schrie sie.

»Sag ihr«, wandte sich Kamchak an mich, »daß sie schnell Goreanisch lernen muß, wenn sie nicht sterben will.«

Ich übersetzte, und die Fremde schüttelte heftig den Kopf. »Sagen Sie den Leuten, daß ich Elizabeth Cardwell heiße. Ich weiß nicht, wo ich bin — ich will zurück nur in meine Heimat. Ich bin amerikanische Staatsbürgerin und in New York City zu Hause — ich zahle Ihnen alles, jeden Betrag, ich ...«

»Aber Sie haben nichts«, antwortete ich, und sie errötete. »Außerdem haben wir gar nicht die Möglichkeit, Sie wieder nach Hause zu bringen.«

»Wieso?« wollte sie wissen.

»Haben Sie nicht den Unterschied der Schwerkraft bemerkt — auch daß die Sonne hier ganz anders aussieht?«

»O nein!« jammerte sie.

»Sie sind hier nicht auf der Erde«, sagte ich. »Sie sind auf Gor — auf einer zweiten Erde vielleicht, jedenfalls nicht auf Ihrer Heimatwelt. Sie sind auf einem anderen Planeten.«

Sie schloß die Augen und begann zu stöhnen. »Aber wie ... wie ...«

»Das weiß ich nicht.«

Kamchak stieß mich ungeduldig in die Seite.

»Was hat sie gesagt?« fragte er.

»Sie ist natürlich sehr durcheinander«, sagte ich. »Sie möchte in ihre Heimatstadt zurück.«

»Und wie heißt die?« fragte Kamchak.

»New York.«

»Nie davon gehört.«

»Sie ist sehr weit entfernt von hier.«

»Wie kommt es, daß du ihre Sprache sprichst?«

»Ich habe einmal in Ländern gelebt, wo ihre Sprache gesprochen wird. Sie sind sehr weit von hier.«

»Weiter als die Inseln Cos und Tyros?« fragte er.

»Viel weiter«, erwiderte ich. »Zu weit, als daß man den Bosk dorthin treiben könnte.«

Kamchak grinste mich an.

Einer der Reiter meldete sich zu Wort. »Sie war allein. Wir haben die Umgegend abgesucht, aber da war niemand sonst.«

»Wie ist sie hergekommen?« wollte Kamchak wissen.

Ich übersetzte die Frage, und das Mädchen sah mich an, schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagte sie.

Als ich übersetzt hatte, gab Kamchak einem Jungen Zeichen, der eine Haut mit Ka-la-na-Wein herbeibrachte und Elizabeth Cardwell davon zu trinken gab. Erschöpft, verwirrt und staubbedeckt stand das Mädchen von der Erde nackt vor Kamchak von den Tuchuks.

»Sie muß Goreanisch lernen«, sagte der Krieger noch einmal. »Laß sie sagen: ›La Kajira‹.«

»Sie müssen die goreanische Sprache lernen«, wandte ich mich an das Mädchen. »Sagen Sie: ›La Kajira‹.«

Sie blickte mich hilflos an. Dann wiederholte sie: »La Kajira. — Was heißt das überhaupt?«

»Es bedeutet: Ich bin ein Sklavenmädchen.«

»Nein!« rief sie. »Nein! Nein!«

Kamchak nickte den beiden Kaiilareitern zu. »Bringt sie zum Wagen von Kutaituchik.«

Die beiden Reiter wendeten ihre Tiere und verschwanden zwischen den Wagen.

Ich sah Kamchak an. »Hast du ihren Kragen gesehen?« fragte ich.

Er hatte kein Interesse an dem breiten Lederkragen des Mädchens gezeigt.

»Natürlich«, sagte er.

»So einen Kragen habe ich noch nie gesehen«, sagte ich.

»Es ist ein Briefkragen«, sagte Kamchak. »In das Leder ist eine Nachricht eingenäht.«

Meine Verblüffung schien ihn zu amüsieren, denn er lachte »Komm, gehen wir zum Wagen von Kutaituchik.«

7

Der Wagen von Kutaituchik, der Ubar der Tuchuks genannt wurde, stand auf einem großen, flachen Grashügel, der höchsten Stelle im Lager. Neben dem Wagen hing an einem großen Pfahl die Tuchukstandarte mit den vier Boskhörnern.

Die hundert Bosk, die den Wagen zogen, waren abgeschirrt worden — riesige rote Tiere mit polierten Hörnern und geölten Fellen. Ihre vergoldeten Nasenringe waren juwelenbesetzt.

Der Wagen selbst war der größte im Lager — so groß, wie ich es bei einem Fahrzeug dieser Art nicht für möglich gehalten hatte. Tatsächlich bildete er ein riesiges Viereck, das auf zahlreichen mit Rädern versehenen Plattformen ruhte; dazu befand sich an den Außenseiten ein Dutzend der großen Räder, wie sie auch an den normalen Wagen angebracht waren; aber diese Räder allein hätten das Gewicht dieses fantastischen Fellpalastes nicht tragen können.

Die Felle, aus denen die Kuppel bestand, waren bunt, und der Rauchabzug an der Spitze mußte dreißig Meter über dem Plattformboden liegen. Ich versuchte mir vorzustellen, welche Reichtümer, Beutestücke und Möbelstücke das Innere einer solchen Prunkburg zieren würden.

Aber ich betrat den Wagen nicht, denn Kutaituchik hielt auf dem flachen Hügel im Freien Hof. Dort war eine Rampe erbaut worden, die nur knapp dreißig Zentimeter über dem Boden lag. Auf dieser Plattform lagen Dutzende von dicken Teppichen, manchmal vier oder fünf übereinander.

Zahlreiche Tuchuks und andere Gestalten drängten sich um die Erhebung, und auf der Plattform standen im Kreis um Kutaituchik mehrere Männer, die ich nach ihrem Standplatz und nach ihrem Schmuck für bedeutende Würdenträger hielt.

Und zwischen diesen Männern saß mit untergeschlagenen Beinen Kutaituchik, der der Ubar der Tuchuks genannt wurde.

Kutaituchik saß inmitten zahlreicher Waren, meistens Gefäße mit Edelmetallen und Ketten und Juwelen — Seide aus Tyros, Silber aus Thentis und Tharna, Seidenstoffe aus den Webereien von Ar, Weine aus Cos, Datteln aus Tor. Auch zwei bildschöne Mädchen hockten dort, blond und blauäugig — sie waren vielleicht ein Geschenk an Kutaituchik oder waren Töchter eines Feindes; es war nicht zu erkennen, aus welcher Stadt sie kamen.