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Dannyl und Tayend wechselten einen Blick. Tayends Miene sagte Dannyl, dass der Gelehrte das Gebäude ebenso wenig einladend fand wie er selbst. Er wandte sich zu den Dienern um.

»Hend, Krimen. Reitet voraus und stellt fest, ob Dem Ladeiri uns zu empfangen bereit ist.«

»Ja, Mylord«, erwiderte Hend. Die beiden Diener gaben ihren Pferden die Sporen und verschwanden hinter der nächsten Biegung der Straße.

»Das sieht nicht gerade freundlich aus«, murmelt Tayend.

»Nein«, stimmte Dannyl ihm zu. »Eher wie eine Festung denn wie ein Haus.«

»Es war früher einmal eine Festung«, erklärte Tayend. »Vor einigen Jahrhunderten.«

Dannyl zügelte sein Pferd zu einer langsameren Gangart. »Was kannst du mir über Dem Ladeiri erzählen?«

»Er ist alt. Ungefähr neunzig. Er hat einige Diener, lebt ansonsten aber allein.«

»Und er hat eine Bibliothek.«

»Eine recht berühmte sogar. Seine Familie hat im Laufe der letzten Jahrhunderte alle möglichen Kuriositäten gesammelt, einschließlich einiger Bücher.«

»Vielleicht werden wir hier etwas Nützliches finden.«

Tayend zuckte die Achseln. »Ich gehe davon aus, dass wir viele Dinge finden werden, die eigenartig sind, und nur wenige, die uns weiterhelfen. Bibliothekar Irand hat den Dem gekannt, als sie beide noch jung waren, und er beschreibt ihn als einen ›amüsanten Exzentriker‹.«

Während sie die Straße weiter entlangritten, versuchte Dannyl immer wieder, zwischen den Bäumen einen Blick auf das Gebäude zu erhaschen. Sie waren nun seit drei Wochen auf Reisen und hatten nie mehr als eine Nacht an irgendeinem Ort zugebracht. Überall hatte sich Dannyl den örtlichen Dems vorgestellt und ihre Kinder geprüft, was sich mehr und mehr als rechte Mühsal entpuppte. Außerdem hatte keine der Bibliotheken, die sie besucht hatten, irgendetwas enthüllt, was sie nicht schon wussten. Natürlich konnte es Akkarin ebenso ergangen sein. Seine Suche nach Kenntnissen über alte Magie hatte geendet, ohne dass er irgendwelche großen Entdeckungen vorzuweisen gehabt hätte.

Schließlich erschien vor ihnen die Brücke. Sie spannte sich über eine schwindelerregend tiefe Schlucht. An der Vorderfront des Gebäudes waren zwei große Holztore eingelassen, deren Scharniere so rostig waren, dass Dannyl sich fragte, wie sie den Zeiten und dem gewiss nicht geringen Gewicht der Torflügel bisher wohl hatten trotzen können.

Im Tor stand ein magerer, weißhaariger Mann, dessen Gewänder ihm viel zu groß waren.

»Seid mir gegrüßt, Botschafter Dannyl.« Die Stimme des alten Mannes war dünn und zittrig. Er verbeugte sich steif. »Willkommen in meinem Heim.«

Dannyl und Tayend stiegen aus dem Sattel und reichten ihren Dienern die Zügel. »Ich danke Euch, Dem Ladeiri«, erwiderte Dannyl. »Das hier ist Tayend von Tremmelin, ein Gelehrter der Großen Bibliothek.«

Der Dem musterte Tayend mit zusammengekniffenen, kurzsichtigen Augen. »Willkommen, junger Mann. Auch ich besitze eine Bibliothek, wie Ihr vielleicht wisst.«

»Ja, das habe ich gehört. Eine Bibliothek, die überall in Elyne berühmt ist«, erwiderte Tayend mit überzeugend geheucheltem Eifer. »Voller Denkwürdigkeiten. Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich sie mir gerne einmal ansehen.«

»Natürlich dürft Ihr das!«, rief der Dem. »Kommt herein.«

Sie folgten dem alten Mann in einen kleinen Innenhof und weiter durch eine verrostete Eisentür in eine Halle. Obwohl die Möbel luxuriös waren, hing in der Luft der Geruch von Staub.

»Iri!«, rief der alte Mann mit schriller Stimme. Schritte erklangen, und eine nicht mehr ganz junge Frau erschien in der Tür. »Bring meinen Gästen eine Erfrischung. Du findest uns in der Bibliothek.«

Die Augen der Frau weiteten sich, als sie Dannyls Robe sah. Dann verneigte sie sich hastig und zog sich zurück.

»Es ist nicht nötig, dass Ihr uns sofort in die Bibliothek bringt«, sagte Dannyl. »Wir wollen Euch keine Unannehmlichkeiten verursachen.«

Der Dem hob abwehrend die Hand. »Das ist keine Unannehmlichkeit. Ich war ohnehin gerade in der Bibliothek, als Eure Diener eintrafen.«

Sie folgten dem alten Mann durch einen Flur und eine lange Wendeltreppe hinab, die aussah, als sei sie aus dem Felsen herausgehauen worden. Der letzte Teil der Treppe bestand aus stabilem Holz und führte mitten in einen riesigen Raum.

Dannyl lächelte, als er Tayend aufkeuchen hörte. Offensichtlich hatte der Gelehrte nicht damit gerechnet, eine so beeindruckende Bibliothek vorzufinden.

Mehrere Regalreihen zogen sich durch den Raum. Darauf befanden sich ausgestopfte Tiere, Flaschen mit Konservierungsflüssigkeit, die Organe und ganze Kreaturen enthielten, Schnitzereien aus allen möglichen Materialien, eigenartige Gerätschaften, Steine und Kristalle, sowie ungezählte Schriftrollen, Tafeln und Bücher. Hier und dort standen riesige Skulpturen, bei deren Anblick Dannyl sich fragte, wie man sie die Treppe hinunterbekommen oder überhaupt durch die Berge transportiert haben mochte. An den Wänden hingen Sternenkarten und andere rätselhafte Diagramme.

Zu erstaunt, um zu sprechen, folgten sie dem Dem an all diesen Wundern vorbei. Als er sie in einen Gang zwischen den Regalen mit Büchern führte, musterte Tayend die kleinen Schilder, die an jedem Regal befestigt waren. Darauf standen Themen und Zahlen zu lesen.

»Welchem Zweck dienen diese Zahlen?«, wollte der Gelehrte wissen.

Der Dem drehte sich zu ihm um und lächelte. »Ein Katalogisierungssystem. Jedes Buch hat eine Nummer, und all diese Nummern habe ich auf Papier festgehalten.«

»So ein ausgeklügeltes System haben wir in der Großen Bibliothek nicht. Wir sortieren die Bücher lediglich nach Themen … so gut, wie wir es eben vermögen. Wie lange benutzt Ihr dieses System schon?«

Der alte Mann sah Tayend von der Seite an. »Mein Großvater hat es erfunden.«

»Habt Ihr der Großen Bibliothek jemals den Vorschlag gemacht, es zu übernehmen?«

»Mehrfach. Irand konnte keinen Nutzen darin entdecken.«

»Ach, tatsächlich.« Tayend wirkte erheitert. »Ich würde liebend gerne einmal sehen, wie es funktioniert.«

»Das werdet Ihr auch«, erwiderte der alte Mann. »Da es genau das ist, was ich Euch jetzt zeigen werde.«

Sie wandten sich von den Regalen ab und kamen zu einem großen Schreibtisch, der umgeben war von mehreren hölzernen Truhen.

»Nun, gibt es ein spezielles Thema, über das Ihr gerne Nachforschungen anstellen würdet?«

»Habt Ihr Bücher über alte magische Praktiken?«, fragte Tayend.

Der alte Mann zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ja. Aber könnt Ihr Euch vielleicht noch genauer ausdrücken?«

Dannyl und Tayend tauschten einen Blick.

»Irgendetwas, das mit dem König von Charkan zu tun hat oder mit Shakan Dra.«

Die Augenbrauen des Dem zuckten noch höher hinauf. »Ich werde nachsehen.«

Er drehte sich um und öffnete eine Schublade, in der sich mehrere Reihen von Karten befanden. Nachdem er die Karten kurz durchgeblättert hatte, zog er eine Nummer heraus, ging in eine andere Abteilung der Bibliothek und strich mit dem Finger über die Buchrücken.

»Da ist es.« Er nahm das Buch heraus und reichte es Tayend.

»Das ist eine Geschichte von Ralend von Kemori.«

»In dem Buch muss sich ein Hinweis auf den König von Charkan finden, sonst hätten meine Karten mich nicht hierher geführt«, versicherte ihm der Dem. »Und nun folgt mir. Ich glaube, wir haben auch einige Artefakte aus dieser Zeit hier.«

Sie begleiteten den Dem aus der Bücherabteilung heraus in einen Teil des Raums, in dem mehrere Reihen von Kommoden standen. Auch diese waren nummeriert. Der alte Mann zog eine Schublade heraus und stellte sie auf einen Tisch in der Nähe. Als er hineinspähte, stieß er einen leisen Ausruf aus.

»Ah! Hier sind wir richtig. Das hier hat man mir vor fünf Jahren geschickt. Ich erinnere mich noch, gedacht zu haben, dass Euer Hoher Lord es gern gesehen hätte.«