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Die Wachen musterten sie neugierig. Wahrscheinlich hatten sie sie noch nie zuvor gesehen, da sie bei den wenigen Malen, die sie die Gilde verlassen hatte, stets zusammen mit Rothen in einer Kutsche gefahren war. Vielleicht war es einfach merkwürdig, einen Novizen zu Fuß fortgehen zu sehen.

Sobald sie den Inneren Ring erreicht hatte, fühlte sie sich seltsam fehl am Platze. Früher hatte sie diesen Teil der Stadt nur besucht, um bei den Dienern der Häuser reparierte Schuhe und Kleidungsstücke abzuliefern. Bei diesen Besuchen hatten die gut gekleideten Männer und Frauen im Inneren Ring sie voller Argwohn und Verachtung betrachtet, und sie hatte häufig ihren Passierschein vorzeigen müssen.

Dieselben Menschen verbeugten sich jetzt mit einem höflichen Lächeln vor ihr. Es fühlte sich seltsam und unwirklich an. Das Gefühl verstärkte sich noch, als sie durch die Tore ins Nordviertel trat. Die Torwächter salutierten vor ihr und hielten sogar eine Kutsche des Hauses Korin an, damit sie ohne Verzögerung vorbeigehen konnte.

Im Nordviertel gab es keine höflichen Verbeugungen und kein Lächeln mehr, sondern nur noch starre Blicke. Nachdem sie einige hundert Schritte gegangen war, änderte Sonea ihre Meinung, was den Besuch auf dem Markt betraf. Stattdessen trat sie in ein Haus, vor dem ein Schild »hochwertige Kleidung und Änderungen« anbot.

»Ja?« Eine grauhaarige Frau öffnete die Tür, und als sie eine junge Magierin vor sich sah, stieß sie einen Laut der Überraschung aus. »Mylady! Was kann ich für Euch tun?«, fragte sie und verbeugte sich hastig.

Sonea lächelte. »Ich würde gern einen Umhang kaufen.«

»Kommt herein! Kommt herein!« Die Frau zog die Tür weit auf und verbeugte sich abermals, als Sonea an ihr vorbeiging. Sie führte sie in einen Raum, in dem an etlichen hohen Ständern Kleidungsstücke hingen.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas habe, das Euren Ansprüchen genügt«, sagte die Frau entschuldigend, während sie mehrere Umhänge von den Ständern nahm. »Dieser hier hat einen Besatz aus Limek-Pelz um die Kapuze, und dieser hat einen perlenbestickten Saum.«

Sonea, die der Versuchung nicht widerstehen konnte, nahm die Umhänge in Augenschein. »Das ist wirklich gute Arbeit«, bemerkte sie und strich über den mit Perlen bestickten Umhang. »Allerdings bezweifle ich, dass dieser Pelz wirklich von einem Limek stammt. Limeks haben stärkeres Unterhaar.«

»Oje!«, rief die Frau und riss den Umhang wieder an sich.

»Aber das ist es ohnehin nicht, wonach ich suche«, fügte Sonea hinzu. »Ich brauche etwas Altes, das schon ein wenig abgetragen ist - nicht dass ich erwartet hätte, hier irgendetwas von schlechter Qualität zu finden. Hat eine Eurer Dienerinnen vielleicht einen Mantel, der so aussieht, als müsste man ihn eigentlich wegwerfen?«

Die Frau starrte Sonea überrascht an. »Ich weiß nicht …«, sagte sie zweifelnd.

»Warum fragt Ihr sie nicht schnell«, schlug Sonea vor, »während ich einige Eurer Waren bewundere.«

»Wenn es das ist, was Ihr wollt…« Ein Anflug von Neugier war jetzt in den Blick der Frau getreten. Sie verbeugte sich und verschwand im Haus, um den Namen einer Dienerin zu rufen.

Sonea trat vor die Kleiderständer hin und besah sich einige der Umhänge. Dann stieß sie einen sehnsüchtigen Seufzer aus. Da das Gesetz sie zwang, Roben zu tragen, würde sie solche Kleider wahrscheinlich niemals besitzen, obwohl sie sie sich jetzt hätte leisten können.

Als sie schnelle Schritte näher kommen hörte, drehte sie sich um. Die Näherin war, den Arm voller Kleidung, aus dem Flur zurückgekehrt. Eine bleiche, abgehetzte Dienerin folgte ihr. Als sie Sonea sah, weiteten sich die Augen der jungen Frau.

Sonea unterzog die Umhänge einer schnellen Musterung und entschied sich dann für einen Mantel mit einem langen, säuberlich geflickten Riss an der Seite. Ein Teil des Saums hatte sich vom Futter gelöst. Sie sah die Dienstmagd an.

»Gibt es hier einen Garten? Vielleicht sogar einen Hühnerhof?«

Das Mädchen nickte.

»Nimm diesen Umhang und zieh ihn für mich durch den Schmutz - und wirf auch eine Hand voll Staub darüber.«

Mit verwundertem Gesichtsausdruck verschwand das Mädchen nach draußen. Sonea drückte der Näherin eine Goldmünze in die Hand, und als die Dienerin mit dem besudelten Umhang zurückkam, ließ sie unauffällig ein Silberstück in die Tasche des Mädchens gleiten.

Wer hätte gedacht, dass ich meine Fähigkeiten als Taschendiebin eines Tages dazu nutzen würde, Geld wegzugeben, statt es zu stehlen?, ging es ihr durch den Kopf, als sie das Haus verließ. Jetzt, da der Umhang ihre Robe verdeckte, konnte sie ungehindert ihren Weg zu den Nordtoren fortsetzen, ohne angestarrt zu werden.

Als sie in die Hüttenviertel kam, bedachten die Wachen sie nur mit einem flüchtigen Blick. Ihr Augenmerk galt eher den Leuten, die die Hüttenviertel verließen, als denen, die sie betraten. Ein Geruch, der gleichzeitig unangenehm und beruhigend vertraut war, hüllte sie ein, als sie die gewundenen Straßen hinunterging. Sie entspannte sich ein wenig. Hier erschienen ihr Regin und Akkarin als ferne, belanglose Sorgen.

Dann fiel ihr ein Mann auf, der sie von der Tür eines Bolhauses aus beobachtete, und sie verkrampfte sich wieder. Dies waren die Hüttenviertel, und obwohl sie sich mit Magie schützen konnte, war es doch besser, das zu vermeiden. Sie konzentrierte sich darauf, ihre Umgebung zu beobachten, und lief hastig durch die Straßen und Gassen ihrem Ziel entgegen.

Jonna und Ranel lebten inzwischen in einem wohlhabenderen Teil der Hüttenviertel, wo stabile Holzhäuser standen. Auf einem Markt, an dem sie vorbeikam, kaufte sie einige Decken und einen Korb voller Gemüse und frischem Brot. Sie wünschte, sie hätte luxuriösere Dinge kaufen können, aber Jonna hatte solche Geschenke stets abgelehnt und gesagt: »Ich möchte in meiner Wohnung nichts haben, was so aussieht, als gehörte es in die Häuser. Das würde die Leute nur auf seltsame Ideen bringen, was uns betrifft.«

Als sie die Straße erreichte, in der ihre Familie lebte, warf sie einer kleinen Bande Jungen, die auf leeren Kisten hockten, einige süße Brötchen zu. Die Jungen fingen die Leckereien auf und riefen ihr ihren Dank nach. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie seit Monaten nicht mehr so viel Spaß gehabt hatte.

Nicht mehr seit Dorriens Besuch, ging es ihr durch den Kopf. Aber es ist besser, nicht an Dorrien zu denken.

Vor dem Haus ihrer Tante und ihres Onkels wurde sie schlagartig wieder ernst. Seit sie der Gilde beigetreten war, hatten die beiden sich in ihrer Gegenwart spürbar unwohl gefühlt. Vor einem Jahr hatten sie miterlebt, wie sie die Kontrolle über ihre Kräfte verlor, und es hätte Sonea nicht überrascht, wenn sie noch immer Angst vor ihr hatten. Aber sie wusste, dass sie weder die Furcht noch das Unbehagen ihrer Familie jemals überwinden würde, wenn sie sie erst gar nicht besuchte. Sie waren alles an Familie, was sie hatte, und sie würde nicht zulassen, dass sie aus ihrem Leben verschwanden.

Sie klopfte. Einen Moment später wurde die Tür geöffnet, und Jonna sah sie überrascht an.

»Sonea!«

Sonea grinste. »Hallo, Jonna.«

Jonna drückte die Tür auf. »Du siehst anders aus… Aber das muss wohl an dem Umhang liegen. Ist das gesetzlich erlaubt?«

Sonea schnaubte. »Wen interessiert das? Ich habe heute euren Brief bekommen und musste euch einfach sehen. Hier, ich habe dir zur Feier des Tages etwas mitgebracht.«

Nachdem sie den Korb und die Decken überreicht hatte, trat Sonea in das kleine, einfach möblierte Wohnzimmer. Ranel war sichtlich erfreut, sie zu sehen.

»Sonea! Wie geht es meiner kleinen Nichte?«

»Mir geht es gut. Ich bin glücklich«, log Sonea. Denk nicht an Akkarin. Lass dir den Nachmittag nicht verderben.