Im Abendsaal herrschte großer Andrang. Seit der Jagd auf Sonea hatte Lorlen nicht mehr so viele Gäste hier gesehen. Selbst Magier, die nur selten an der allwöchentlichen geselligen Zusammenkunft teilnahmen, waren heute zugegen.
Der bemerkenswerteste unter diesen seltenen Gästen war der Mann an seiner Seite. Das Meer roter, grüner und purpurner Roben teilte sich vor Akkarin, während dieser dem Sessel entgegenstrebte, der inoffiziell als der seine galt.
Akkarin unterhielt sich bestens. Andere mochten aus seiner teilnahmslosen Miene auf Desinteresse schließen, aber Lorlen wusste es besser. Wenn Akkarin sich nicht an der Diskussion über den jüngsten Vorfall hätte beteiligen wollen, wäre er nicht hier gewesen. Die drei Oberhäupter der Disziplinen hatten sich bereits um Akkarins Sessel versammelt, und als der Hohe Lord Platz nahm, kamen noch weitere Magier hinzu. Unter ihnen befand sich, wie Lorlen bemerkte, auch Rothens Sohn, Dorrien.
»Eure Novizin hat anscheinend wieder einmal einen Weg gefunden, uns zu unterhalten, Akkarin«, sagte Lady Vinara. »Ich frage mich langsam, was wir von ihr werden erwarten können, wenn sie erst ihren Abschluss gemacht hat.«
Akkarins Mundwinkel zuckten. »Dieselbe Frage stelle ich mir auch.«
»War diese Herausforderung Eure Idee oder ihre?«, brummte Balkan.
»Meine Idee war es nicht.«
Balkan zog die Brauen in die Höhe. »Und sie hat Euch nicht um Erlaubnis gefragt?«
»Nein, aber ich glaube, es gibt keine Regel, die das verlangt, obwohl es vielleicht eine geben sollte.«
»Dann hättet Ihr Eure Erlaubnis also versagt, wenn sie Euch gefragt hätte?«
Akkarins Augen wurden schmal. »Nicht unbedingt. Wenn sie mich nach meiner Meinung gefragt hätte, hätte ich ihr vielleicht geraten, noch zu warten.«
»Vielleicht war es ja eine spontane Entscheidung«, sagte Lord Peakin, der hinter Vinaras Sessel stand.
»Nein«, erwiderte Lord Sarrin. »Sie hat einen Augenblick gewählt, in dem sie sich zahlreicher Zeugen sicher sein konnte. Regin hatte keine andere Wahl, als ihre Herausforderung anzunehmen.«
Lorlen bemerkte, dass das Oberhaupt der Alchemisten zu einem Magier am Rand der Gruppe hinübersah, und er folgte Sarrins Blick. Lord Garrel lauschte dem Gespräch mit einem leicht missbilligenden Ausdruck.
»Wenn sie diese Herausforderung geplant hat, muss sie sich ihres Sieges sehr sicher sein«, warf Peakin ein. »Stimmt Ihr Sonea darin zu, Lord Balkan?«
Der Krieger zuckte die Achseln. »Sie ist stark, aber ein geschickter Gegner könnte sie überwältigen.«
»Und Regin?«
»Er ist geschickter als die meisten Novizen des zweiten Jahres.«
»Geschickt genug, um zu siegen?«
Balkan blickte zu Akkarin hinüber. »Geschickt genug, um eine Voraussage zu erschweren.«
»Glaubt Ihr, dass sie siegen wird?«, fragte Vinara Akkarin.
Der Hohe Lord schwieg kurz, bevor er antwortete. »Ja.«
Sie lächelte. »Aber natürlich glaubt Ihr das. Sie ist Eure Novizin, und es ist Eure Pflicht, sie zu unterstützen.«
Akkarin nickte. »Auch das entspricht der Wahrheit.«
»Sie tut das zweifellos, um Euch zu gefallen.« Als Lorlen Garrels Stimme hörte, hob er überrascht den Kopf.
»Das glaube ich kaum«, erwiderte Akkarin.
Erstaunt über dieses Eingeständnis, sah Lorlen zuerst Akkarin und dann die übrigen Magier an. Keiner der anderen schien überrascht zu sein. Nur Rothens Sohn, Dorrien, wirkte nachdenklich. Vielleicht war ihm aufgefallen, dass Sonea ihren Mentor nicht mochte.
»Aber aus welchem Grund tut sie es dann?«, fragte Peakin.
»Wenn sie den Sieg davonträgt, wird Regin sie aus Angst vor einer weiteren Herausforderung und einer neuerlichen Niederlage nicht länger schikanieren«, antwortete Vinara.
Es folgte eine Pause, in der die Magier gespannte Blicke wechselten. Indem Vinara in Akkarins und Garrels Gegenwart offen von Regins Schikanen gesprochen hatte, hatte sie die Aufmerksamkeit auf den potenziellen Konflikt zwischen den beiden Mentoren gelenkt. Normalerweise scheute niemand davor zurück, über verfeindete Novizen zu sprechen, selbst wenn deren Mentoren zugegen waren, aber nur wenige Magier hätten es gewagt, dieses Thema anzuschneiden, wenn es sich bei einem der Mentoren um den Hohen Lord handelte. Das brachte Garrel in eine interessante Position.
Keiner der beiden Mentoren sagte etwas.
»Das dürfte vom Verlauf des Kampfes abhängen«, brach Balkan schließlich das Schweigen. »Wenn sie lediglich durch brutale Stärke siegt, wird sie sich damit keinen Respekt verdienen.«
»Das macht keinen Unterschied«, wandte Sarrin ein. »Ganz gleich, auf welche Weise sie siegt, sie wäre anschließend vor Regin sicher. Ich bezweifle, dass es sie interessiert, ob ihre Kampfkünste ihr Respekt eintragen oder nicht.«
»Es gibt Methoden, mit denen man einen stärkeren Magier besiegen kann«, rief Balkan ihm ins Gedächtnis. »Regin weiß das. Er hat mich bereits gebeten, ihn in diesen Techniken zu unterweisen.«
»Und Sonea? Werdet Ihr Sonea ebenfalls zusätzliche Unterrichtsstunden geben?«, fragte Vinara Balkan.
»Lord Yikmo ist ihr Lehrer«, warf Akkarin ein.
Balkan nickte. »Sein Unterrichtsstil eignet sich besser für ihr Temperament als der meine.«
»Wer wird den Kampf überwachen?«, fragte ein anderer Magier.
»Das werde ich tun«, antwortete Balkan. »Falls niemand dagegen Protest erhebt. Lord Garrel wird Regin schützen. Werdet Ihr Sonea schützen?«, fragte er Akkarin.
»Ja.«
»Da kommt Soneas Lehrer«, sagte Lord Sarrin. Lorlen drehte sich um und bemerkte, dass Lord Yikmo den Raum betreten hatte. Der Krieger blieb stehen und sah sich um, erstaunt über die Vielzahl der Besucher im Abendsaal. Als sein Blick auf die Magier fiel, die sich um Akkarin geschart hatten, zog er die Augenbrauen hoch. Sarrin winkte ihn herüber.
»Guten Abend, Hoher Lord, Administrator«, sagte Yikmo, als er die Gruppe erreicht hatte.
»Lord Yikmo«, erklärte Peakin, »Ihr werdet Euch wohl auf einige späte Abende vorbereiten müssen.«
Yikmo runzelte die Stirn. »Späte Abende?«
Peakin kicherte. »Also ist sie so gut, ja? Sie braucht keinen zusätzlichen Unterricht?«
Der junge Magier runzelte verwirrt die Stirn. »Zusätzlichen Unterricht?«
Vinara erbarmte sich ihres Kollegen. »Sonea hat Regin zu einem Duell herausgefordert.«
Yikmo starrte sie an, dann wurde er langsam blass.
»Sie hat was getan?«
Sonea lief in ihrem Zimmer auf und ab und rang die Hände. Was habe ich getan? Ich habe meinen Zorn die Oberhand gewinnen lassen, das habe ich getan. Ich verstehe nichts vom Kämpfen. Ich werde mich lediglich vor allen lächerlich machen und …
»Sonea.«
Sonea drehte sich um und blinzelte überrascht, als sie den Mann sah, der in der Tür zu ihrem Zimmer stand. Niemand hatte sie bisher in der Residenz des Hohen Lords besucht.
»Lord Yikmo«, sagte sie und verbeugte sich.
»Du bist noch nicht so weit, Sonea.«
Sie zuckte zusammen, und ihre Angst vertiefte sich noch. Wenn Yikmo nicht glaubte, dass sie siegen konnte…
»Ich hatte gehofft, dass Ihr mir helfen würdet, Mylord.«
Verschiedene Regungen spiegelten sich auf Yikmos Gesicht. Bestürzung. Nachdenklichkeit. Interesse. Er runzelte die Stirn und fuhr sich mit den Händen durch die Haare.
»Ich verstehe, warum du das tust, Sonea. Aber ich muss dich nicht daran erinnern, dass Garrel ein erfahrener Krieger ist und dass Regins Fähigkeiten den deinen überlegen sind - trotz all dem, was ich dich gelehrt habe. Er hat eine Woche Zeit, um sich vorzubereiten, und Balkan hat sich bereit erklärt, ihn zu unterrichten.«
Balkan! Das wird ja immer schlimmer! Sonea blickte auf ihre Hände hinab. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass sie nicht zitterten, aber ihr Magen hatte sich so sehr verkrampft, dass ihr übel war.
»Aber ich bin stärker, und die Regeln einer Herausforderung legen der Stärke eines Magiers keine Grenzen auf«, wandte sie ein.