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Akkarin war nicht immer so stark gewesen. Niemand wusste das besser als Lorlen. Sie waren seit ihrem ersten Tag an der Universität Freunde gewesen. Während der Jahre ihrer Ausbildung hatten sie in der Arena viele Male gegeneinander gekämpft und festgestellt, dass sie einander mehr oder weniger ebenbürtig waren. Akkarins Kräfte waren jedoch weiter gewachsen, so dass er, als er von seinen Reisen zurückkehrte, allen anderen Magiern weit überlegen gewesen war.

Jetzt fragte Lorlen sich, ob dieser Zuwachs an Stärke natürlichen Ursprungs war. Das Ziel von Akkarins Reise war es gewesen, Kenntnisse über die Magie lange vergangener Zeiten anzusammeln. Fünf Jahre lang hatte er die Verbündeten Länder bereist, aber als er schließlich abgemagert und mutlos zurückgekehrt war, hatte er behauptet, das von ihm angesammelte Wissen sei auf der letzten Etappe seiner Fahrt verloren gegangen.

Was, wenn er doch etwas herausgefunden hatte? Was, wenn er auf schwarze Magie gestoßen war?

Und dann war da noch Takan, der Mann, den Sonea in Akkarins Kellergemach gesehen hatte, wie er dem Hohen Lord zur Hand ging. Akkarin hatte Takan auf seinen Reisen in seinen Dienst genommen, und auch nach seiner Rückkehr nach Imardin war der Mann bei ihm geblieben. Welche Rolle spielte Takan bei dem Ganzen? War er Akkarins Opfer oder sein Komplize?

Der Gedanke, der Diener könne ein widerstrebendes Opfer sein, war beunruhigend, aber Lorlen konnte den Mann nicht befragen, ohne sein eigenes Wissen über Akkarins Verbrechen preiszugeben. Dieses Risiko war zu groß.

Lorlen rieb sich die Schläfen. Monatelang hatte er im Kreis gedacht und versucht, zu einem Entschluss zu kommen. Es war möglich, dass Akkarin nur aus Neugier mit schwarzer Magie experimentierte. Man wusste nur wenig über diese Form der Magie, und es gab offensichtlich Anwendungsgebiete, für die man nicht zu töten brauchte. Takan lebte noch und versah seine Pflichten. Es wäre ein schrecklicher Verrat an ihrer Freundschaft gewesen, hätte Lorlen Akkarins Verbrechen aufgedeckt und für seine Verbannung oder sogar seine Hinrichtung gesorgt, wenn es sich bei dem Ganzen lediglich um ein Experiment handelte.

Aber warum hatte Akkarin dann blutbefleckte Kleider getragen, als Sonea ihn gesehen hatte?

Lorlen verzog das Gesicht. Irgendetwas Hässliches musste in jener Nacht vorgefallen sein. »Es ist vollbracht«, hatte Akkarin gesagt. Eine Aufgabe war erfüllt worden. Aber welche Aufgabe - und warum?

Vielleicht gab es ja eine vernünftige Erklärung für das alles. Lorlen seufzte. Vielleicht wünsche ich mir nur, es gäbe eine solche Erklärung. Warum zögerte er, etwas zu unternehmen? Widerstrebte es ihm lediglich zu entdecken, dass sein Freund furchtbare Verbrechen begangen hatte, oder widerstrebte es ihm, den Mann, den er jahrelang bewundert und dem er vertraut hatte, in ein blutrünstiges Monstrum verwandelt zu sehen?

So oder so, er konnte Akkarin nicht fragen. Er musste einen anderen Weg finden.

Während der letzten Monate hatte er im Geiste eine Liste aller Informationen aufgestellt, die er benötigte. Warum praktizierte Akkarin schwarze Magie? Wie lange ging das schon? Was konnte Akkarin mit dieser schwarzen Magie ausrichten? Wie stark war er, und konnte man ihn besiegen? Obwohl Lorlen ein Gesetz brach, indem er Informationen über schwarze Magie sammelte, musste die Gilde die Antwort auf diese Fragen kennen, wenn sie Akkarin zur Rede stellen wollte.

In der Bibliothek der Magier hatte er nur wenig an Information gefunden, was jedoch keine Überraschung war. Man brachte den Höheren Magiern gerade genug über schwarze Magie bei, um sie in die Lage zu setzen, sie zu erkennen; der Rest der Gilde wusste nur, dass diese spezielle Form der Magie verboten war. Nähere Informationen würden nicht leicht zu finden sein.

Er musste außerhalb der Gilde suchen. Gleich zu Anfang hatte Lorlen an die Große Bibliothek in Elyne gedacht, wo noch mehr altes Wissen verfügbar war als selbst in der Gilde. Dann war ihm auch wieder eingefallen, dass die Große Bibliothek Akkarins erstes Ziel auf seiner Reise gewesen war, und inzwischen fragte er sich, ob er vielleicht einige Antworten finden würde, wenn er den Weg seines Freundes zurückverfolgte.

Aber er konnte die Gilde unmöglich verlassen - das ließen seine Aufgaben als Administrator nicht zu. Außerdem hätte er mit einer solchen Reise gewiss Akkarins Neugier geweckt. Was bedeutete, dass ein anderer diese Dinge an seiner Stelle tun musste.

Lorlen hatte sorgfältig darüber nachgedacht, wem man eine solche Aufgabe anvertrauen konnte. Es musste jemand sein, der nötigenfalls vernünftig genug war, die Wahrheit zu verbergen. Und es musste jemand sein, der die richtige Nase hatte, um Geheimnisse aufzuspüren. Ein Spürhund.

Die Entscheidung war überraschend einfach gewesen.

Lord Dannyl.

Sonea trat als letzte Novizin in den Speisesaal. Regin, Gennyl und Shern waren am Ende des Vormittagsunterrichts nicht in die Klasse zurückgekehrt, daher war Sonea den anderen gefolgt. Der Saal war ein großer Raum, in dem mehrere Reihen von Tischen und Stühlen standen. Eine Vielzahl von Dienern war damit beschäftigt, Tabletts mit den Speisen für die Novizen aus der Küche zu bringen.

Keiner der anderen Novizen protestierte, als Sonea es wagte, wieder zu ihnen zu stoßen. Es gab zwar einige zweifelnde Blicke, als sie nach ihrem Besteck griff, aber ansonsten wurde sie ignoriert.

Wie schon am vergangenen Tag entwickelte sich das Gespräch zu Anfang nur zögerlich. Die Erstsemester waren schüchtern und unsicher. Dann erzählte Ahrind dem neben ihm sitzenden Kano, dass er ein Jahr lang in Vin gelebt habe, und die anderen begannen, sie über das Land zu befragen. Schon bald kam die Rede auf die Häuser und Familien anderer Novizen, bis Ahrind schließlich zu Sonea hinüberblickte.

»Du bist also in den Hüttenvierteln aufgewachsen?«

Alle Köpfe drehten sich in Soneas Richtung. Sie schluckte den Bissen, den sie im Mund gehabt hatte, hastig hinunter.

»Ich habe ungefähr zehn Jahre dort gelebt«, antwortete sie. »Bei meinem Onkel und meiner Tante. Danach hatten wir ein Zimmer im Nordviertel.«

»Was ist mit deinen Eltern?«

»Meine Mutter starb, als ich noch ein Kind war. Mein Vater…« Sie zuckte die Achseln. »Er ist fortgegangen.«

»Und hat dich ganz allein in den Hüttenvierteln zurückgelassen? Wie schrecklich!«, rief Bina.

»Meine Tante und mein Onkel haben sich um mich gekümmert.« Sonea brachte ein Lächeln zustande. »Und ich hatte viele Freunde.«

»Triffst du dich noch mit deinen Freunden?«, wollte Issle wissen.

Sonea schüttelte den Kopf. »Nicht oft.«

»Was ist mit diesem Dieb, mit dem du befreundet bist, dem Jungen, den Lord Fergun im Kerker unterhalb der Universität eingesperrt hatte? Hat er dich nicht einige Male hier in der Gilde besucht?«

Sonea nickte. »Ja.«

»Er gehört zu den Dieben, nicht wahr?«, fragte Issle.

Sonea zögerte. Sie konnte es abstreiten, aber würden sie ihr glauben?

»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. In sechs Monaten kann sich vieles verändern.«

»Warst du auch eine Diebin?«

»Ich?« Sonea lachte leise. »Nicht jeder, der in den Hüttenvierteln lebt, arbeitet für die Diebe.«

Die anderen schienen sich ein wenig zu entspannen. Einige nickten sogar. Issle blickte in die Runde, dann runzelte sie finster die Stirn.

»Aber du hast gestohlen, nicht wahr?«, sagte sie. »Du warst eine von diesen Taschendiebinnen auf dem Markt.«

Sonea spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, und sie wusste, dass sie sich mit dieser Reaktion selbst verraten hatte. Wenn sie Issles Vorwurf abstritt, würden die anderen glauben, dass sie log. Vielleicht würde die Wahrheit ihr Mitgefühl erregen…