Dannyl zögerte, und einmal mehr fragte er sich, wie viel Akkarin während ihres kurzen Gedankenaustauschs gespürt haben mochte. »Ja - und ich glaube, dass man Tayend vertrauen kann.«
Akkarins Blick flackerte leicht, und er öffnete den Mund, um zu sprechen, schloss ihn aber wieder, als es an der Tür klopfte.
Einen Moment später trat der Diener ein und verneigte sich. »Lord Yikmo ist hier, Hoher Lord.«
Akkarin nickte. Als die Tür sich wieder schloss, sah er Dannyl nachdenklich an. »Ihr könnt in einer Woche nach Elyne zurückkehren.« Er schloss die Tasche. »Ich werde Eure Notizen lesen. Danach werde ich vielleicht noch einmal mit Euch sprechen wollen. Aber jetzt«, sagte er und stand auf, »muss ich zuerst einmal einem Duell beiwohnen.«
Dannyl blinzelte überrascht. »Einem Duell? Nach einer formellen Herausforderung?«
Etwas, das beinahe ein Lächeln war, glitt über Akkarins Züge. »Meine Novizin hat - vielleicht törichterweise - einen anderen Schüler zum Kampf gefordert.«
Sonea hatte Regin herausgefordert! Als Dannyl die verschiedenen Möglichkeiten und Konsequenzen dieses Schrittes dämmerten, lachte er leise. »Das muss ich sehen.«
Akkarin verließ die Bibliothek, und Dannyl folgte ihm erleichtert. Es schien beinahe, als sei Akkarin über seine Fortschritte erfreut. Dannyl und Tayend - und Lorlen - hatten sich zumindest nicht die Missbilligung des Hohen Lords zugezogen.
Und es war kein Wort über Tayend gesprochen worden.
Jetzt brauchte er nur noch Rothen gegenüberzutreten. Sein Mentor würde überrascht sein, ihn zu sehen. Rothen wusste nichts von seinem Besuch, da kein Brief schneller hätte reisen können als er selbst, und eine gedankliche Kommunikation hatte er nicht riskieren wollen. Rothen war stets in der Lage gewesen, bei solchen Gelegenheiten tiefer zu blicken, als es Dannyl recht war. Er wusste nicht, wie gut Rothen die Nachricht aufnehmen würde, dass sein ehemaliger Novize sich eben des Vergehens schuldig gemacht hatte, das ihm seinerzeit unterstellt worden war. Und er wollte nicht seinen einzigen engen Freund in der Gilde verlieren.
In einigen Wochen würde er wieder in Elyne sein und mit der Erlaubnis des Hohen Lords neben seinen Pflichten als Botschafter in Armje Nachforschungen anstellen. Und er würde mit Tayend zusammen sein.
Insgesamt war seine Situation besser als zuvor.
Sonea band die Schärpe ihrer Robe noch einmal neu und strich den Stoff glatt. Heute erschien er ihr mit einem Mal viel zu dünn. Ich habe das Gefühl, als sollte ich eine Rüstung anlegen statt Roben.
Sie schloss die Augen und wünschte, sie hätte jemanden um sich haben können, während sie sich vorbereitete. Natürlich konnte Yikmo sich nicht in ihrem Zimmer aufhalten, während sie frische Roben anlegte. Das Gleiche galt für Akkarin, wofür sie von Herzen dankbar war. Nein, es war Tania, die sie jetzt vermisste. Rothens Dienerin hätte Sonea das Versprechen abgenommen, diesen Tag als Siegerin zu beschließen, und gleichzeitig hätte sie ihr versichert, dass es die Menschen, die sie liebten, nicht kümmern würde, wenn sie den Kampf verlor.
Sie holte tief Luft, und als sie feststellte, dass die Schärpe zu eng saß, lockerte sie sie ein wenig. Heute würde sie vielleicht zusätzliche Bewegungsfreiheit brauchen. Sie sah zu dem Tablett mit Süßigkeiten und Brötchen hinüber, das Viola ihr kurz zuvor gebracht hatte. Ihr Magen krampfte sich beim bloßen Anblick zusammen, und sie wandte sich ab und begann von neuem, im Raum auf und ab zu laufen.
Sie hatte einen Vorteil - oder zwei. Während Yikmos »Spione« alles berichtet hatten, was Regin während der vergangenen Woche in der Arena getrieben hatte, war ihr eigener Unterricht in der klaustrophobischen Enge des Doms verborgen geblieben. Yikmo hatte ihr jede Strategie gezeigt, die ein schwächerer Magier gegen einen stärkeren einsetzen konnte. Außerdem hatte er sie in allen Methoden unterwiesen, von denen er wusste, dass Garrel und Balkan sie Regin beigebracht hatten - und noch einigen, von denen Regin vermutlich nichts wusste.
Von ihrem eigenen Mentor hatte sie nur wenig zu sehen bekommen. Aber sein Einfluss machte sich überall bemerkbar. Die Proteste dagegen, dass Novizen einen formellen Kampf ausfochten, hatten binnen eines Tages ein Ende gefunden. Balkan missbilligte es offensichtlich, dass Sonea den Dom benutzte, hatte es jedoch nicht verboten. Und als Sonea dessen Kuppel das erste Mal betreten hatte, hatte Yikmo ihr erklärt, dass der Hohe Lord das Gebäude verstärkt habe, um dafür zu sorgen, dass sie nicht unbeabsichtigt Schaden anrichtete.
Bis zum folgenden Abend war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass Akkarin die Energie, die er dazu benutzt hatte, möglicherweise durch schwarze Magie gewonnen haben könnte. In der Nacht hatte sie lange wach gelegen und sich mit der Vorstellung gequält, die Magie, die sie bei ihrem törichten Streit mit einem anderen Novizen unterstützte, könnte ihre Quelle im Tod eines fremden Menschen haben.
Aber sie konnte Akkarins Hilfe nicht zurückweisen, ohne Verdacht zu erregen. Außerdem hatte er sich zu ihrem Beschützer während des Kampfes ernannt. Seine Magie würde den inneren Schild bilden, der sie retten würde, falls ihr eigener Schild versagte. Bei diesem Gedanken regte sich tiefes Unbehagen in ihr. Wenn Lorlen und Rothen nicht gewesen wären, hätte sie befürchtet, Akkarin könnte den Kampf als Gelegenheit nutzen, sie loszuwerden.
Als es an der Tür klopfte, wirbelte sie herum, und ihr Herz begann plötzlich von neuem zu hämmern. Es muss endlich so weit sein, dachte sie. Die Erleichterung machte schnell einer Woge von Panik Platz. Sonea holte tief Luft und atmete langsam wieder aus, bevor sie auf die Tür zutrat. Als sie Akkarin gegenüberstand, erstarrte sie einen Moment lang, doch dann sah sie einen anderen Mann hinter ihm, und ihre Furcht wich ehrlicher Überraschung, als sie Dannyl erkannte.
»Hoher Lord«, sagte sie und verneigte sich. »Botschafter Dannyl.«
»Lord Yikmo ist eingetroffen«, eröffnete ihr Akkarin.
Sonea holte noch einmal tief Luft und eilte dann die Treppe hinunter. Lord Yikmo, der in Akkarins Empfangsraum auf und ab lief, riss bei ihrem Erscheinen den Kopf hoch.
»Sonea! Du bist fertig. Gut. Wie fühlst du dich?«
»Bestens.« Sie lächelte. »Wie könnte es auch anders sein, nach all der Mühe, die Ihr Euch mit mir gegeben habt.«
Er lächelte schief. »Dein Vertrauen in mich ist…« Er hielt inne und wandte sich zu den beiden Männern um, die nun ebenfalls den Raum betreten hatten. »Guten Tag, Hoher Lord, Botschafter Dannyl.«
»Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um meine Novizin zu holen«, sagte der Hohe Lord. »Deshalb habe ich sie hinuntergeschickt.«
»Ihr habt richtig vermutet«, erwiderte Yikmo und sah dann Sonea an. »Wir sollten Regin nicht warten lassen.«
Auf einen Wink von Akkarin schwang die Haupttür auf. Sonea trat hinaus ins Sonnenlicht.
Als sie den Weg zur Universität hinunterging, positionierte Yikmo sich zu ihrer Rechten und Akkarin zu ihrer Linken. Die Schritte hinter ihr sagten ihr, dass Dannyl ihnen folgte. Sie widerstand dem Verlangen, sich umzudrehen, und fragte sich, was der jüngere Magier mit Akkarin zu besprechen haben mochte. Es musste etwas Wichtiges sein, sonst wäre er nicht aus Elyne zurückgekehrt.
Schweigend näherten sie sich der Universität. Sonea sah Akkarin nicht an, war sich seiner Anwesenheit aber mit allen Sinnen bewusst. Noch nie zuvor hatte sie sich als Schützling des Hohen Lords gefühlt. Dieser Umstand verdeutlichte ihr auf schmerzliche Weise, welche Erwartungen die Gilde in sie setzte. Wenn sie verlor …
Denk an etwas anderes, befahl sie sich und rief sich noch einmal Yikmos Lektionen ins Gedächtnis.
»Regin wird versuchen, dich dazu zu bringen, deine Kraft zu verschwenden. Um das zu erreichen, wird er höchstwahrscheinlich zu Täuschungsmanövern und Tricks greifen.«