Tricks machten gewiss einen Teil von Regins Kampfstil aus. Während der Unterrichtsstunden im ersten Jahr hatte er sie viele Male mit falschen Angriffen überrascht.
»Vieles von dem, was du gelernt hast, wird sich als überflüssig erweisen. Die Kunst der Projektion wirst du in der Arena zum Beispiel nicht benötigen: Es gibt nichts, was du bewegen könntest. Betäubungszauber sind zulässig, gelten aber als schlechter Stil. Gedankenzauber sind natürlich verboten, obwohl sie ohnehin nur als Ablenkungsmanöver von Nutzen sein könnten.«
Regin hatte noch nie einen Gedankenzauber gegen sie benutzt, da sie diese Art des Angriffs noch nicht gelernt hatten.
»Gestikuliere nicht. Damit würdest du nur deine Absichten verraten. Ein guter Krieger bewegt während eines Kampfes nicht einmal die Muskeln seines Gesichts.«
Yikmo sprach stets von »dem Krieger« als einem »er«, was Sonea zuerst komisch und später ärgerlich gefunden hatte. Als sie sich darüber beschwert hatte, hatte Yikmo gelacht. »Lady Vinara würde dir zustimmen«, hatte er geantwortet. »Aber Balkan pflegt zu diesem Thema Folgendes zu bemerken: ›An dem Tag, an dem es unter den Kriegern mehr Frauen als Männer gibt, werde ich meine Ausdrucksweise ändern.‹«
Sonea lächelte bei der Erinnerung, und so kam es, dass sie immer noch lächelte, als sie an der Universität vorbeiging und die versammelten Magier vor der Arena sie zum ersten Mal sahen.
»Sind denn alle hier?«, stieß sie hervor.
»Wahrscheinlich«, erwiderte Yikmo leichthin. »Regin hat einen Freitag für Euren Kampf gewählt, damit ein möglichst großes Publikum Zeuge seiner Niederlage werden kann.«
Alles Blut wich aus Soneas Gesicht. Novizen und Magier beobachteten sie. Selbst Nichtmagier - Ehefrauen, Ehemänner, Kinder und Diener - waren zu dem Spektakel erschienen. Hunderte von Menschen wandten sich zu ihr um, als sie, begleitet von ihrem Lehrer und ihrem Mentor, den Schauplatz des Geschehens betrat. Die Höheren Magier hatten in einer Reihe Aufstellung genommen. Yikmo führte Sonea zu ihnen hinüber, und als er stehen blieb, verneigte sie sich. Formelle Grüße wurden ausgetauscht, aber Sonea merkte erst auf, als sie ihren Namen hörte.
»Nun, Sonea. Dein Gegner erwartet dich zum Kampf«, erklärte Lord Balkan und hob die Hand.
Sonea folgte seiner Geste und sah Regin und Lord Garrel an einer Hecke neben einem Torbogen stehen. Der Pfad, der durch das Tor verlief, führte direkt zur Arena.
»Viel Glück, Sonea«, sagte Lorlen lächelnd.
»Danke, Administrator.« Ihre Stimme klang kleinlaut, und sie ärgerte sich über sich selbst. Sie war die Herausforderin. Sie sollte mit souveränem Selbstbewusstsein in diesen Kampf ziehen.
Als sie auf die Arena zuging, legte Yikmo ihr eine Hand auf den Arm. »Verlier nicht die Nerven, dann wirst du es schaffen«, murmelte er. Dann trat er beiseite.
Nur noch von Akkarin begleitet, näherte sie sich dem Torbogen. Als sie Regins Blick begegnete, verzog der Junge höhnisch das Gesicht, und sie musste an ihre erste Begegnung während der Aufnahmezeremonie denken. Trotzig starrte sie ihn an.
Als ihr Blick Lord Garrel streifte, stellte sie fest, dass der Magier sie mit unverhohlener Abneigung und Zorn betrachtete. Überrascht fragte sie sich, warum er so zornig sein mochte. Ärgerte er sich über die zusätzliche Zeit, die er darauf hatte verwenden müssen, seinen Novizen auf diesen Kampf vorzubereiten? Hatte er es als Beleidigung empfunden, dass sie die Kühnheit gehabt hatte, seinen Neffen herauszufordern? Oder grollte er ihr, weil sie ihn in eine Situation gebracht hatte, in der er zum Gegner des Hohen Lords geworden war?
Ist das wichtig? Nein. Wenn Garrel auch nur ein Mindestmaß an Voraussicht besessen hätte, hätte er Regins Schikanen unterbunden, nachdem sie zum Schützling des Hohen Lords geworden war. Bei dem Gedanken, dass diese Herausforderung Garrel Unannehmlichkeiten beschert hatte, trat von neuem ein Lächeln in ihre Züge. Sie wandte sich ab und ging durch den Torbogen in die Arena.
Mit Akkarin an ihrer Seite stieg sie in die Arena hinunter. In der Mitte der sandbestreuten Fläche blieb sie stehen. Garrel, Regin und Balkan waren ihr gefolgt. Außerhalb des Rings der Türme verteilten sich nun die Magier und Novizen rund um das Gebäude.
Sie blickte zu Regin hinüber. Er betrachtete mit ungewöhnlich ernster Miene die Menge. Auch sie sah sich suchend um und entdeckte schließlich Dorrien und Rothen. Dorrien grinste und winkte ihr zu. Rothen brachte ein dünnes Lächeln zustande.
Balkan trat zwischen sie und Regin, hob die Arme und wartete, bis das Stimmengewirr aus dem Publikum sich gelegt hatte.
»Es ist viele Jahre her, seit zwei Magier es für nötig befanden, in einem formellen Kampf in der Arena einen Disput beizulegen oder ihr Geschick unter Beweis zu stellen«, begann Balkan. »Heute werden wir dem ersten derartigen Ereignis seit zweiundfünfzig Jahren beiwohnen. Zu meiner Rechten steht die Herausforderin, Sonea, Schützling des Hohen Lords. Zu meiner Linken steht ihr Gegner, Regin, aus der Familie Winar, Haus Paren, Schützling Lord Garrels. Die Mentoren der Kämpfer haben sich zu Beschützern ernannt. Sie mögen jetzt einen inneren Schild um ihre Novizen legen.«
Sonea spürte die leichte Berührung einer Hand auf ihrer Schulter. Sie schauderte unwillkürlich, dann blickte sie an sich hinab. Akkarins Schild war kaum wahrzunehmen. Sie widerstand dem Drang, ihn zu erproben.
»Die Beschützer mögen nun die Arena verlassen.«
Akkarin und Garrel verschwanden im Tunnel, der in die Arena und wieder hinaus führte. Als die beiden draußen wieder zum Vorschein kamen, stellte Sonea fest, dass Garrels Gesicht dunkel vor Zorn war und Akkarin erheitert wirkte. Offensichtlich hatte er irgendetwas gesagt, was Regins Mentor missfiel. Hatte Akkarin ihn vielleicht verspottet? Bei diesem Gedanken verspürte Sonea eine unerwartete Befriedigung. Aber das Gefühl verflog, als Balkan erneut zu sprechen begann.
»Die Kämpfer mögen nun ihre Positionen einnehmen.«
Sofort drehte Regin sich auf dem Absatz um und marschierte zur anderen Seite der Arena hinüber. Sonea ging in die entgegengesetzte Richtung. Dann holte sie einige Male tief Atem. Schon bald würde sie ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf Regin richten müssen. Sie würde all die Menschen ignorieren müssen, die sie beobachteten, und nur an den Kampf denken.
Einige Schritte vom Rand der Arena entfernt drehte sie sich um. Balkan ging auf den Tunneleingang zu. Kurze Zeit später erschien er auf der Treppe außerhalb der Arena.
»Der Sieger muss die Mehrzahl von fünf Runden für sich entscheiden«, erklärte er den Zuschauern. »Eine Runde ist dann vorbei, wenn ein innerer Schild mit einer Wucht getroffen wird, die als tödlich eingestuft werden muss. Gedankenzauber sind verboten. Wenn ein Kämpfer Magie benutzt, bevor eine Runde offiziell begonnen hat, hat er diese Runde verloren. Ein Kampf fängt an, wenn ich sage ›Beginnt‹, und endet, wenn ich sage ›Halt‹. Habt ihr verstanden?«
»Ja, Mylord«, antwortete Sonea, und Regin wiederholte ihre Worte.
»Seid ihr bereit?«
»Ja, Mylord.« Wieder folgte Regins Antwort der ihren.
Balkan hob die Hand und legte sie an die Barriere der Arena. Er sandte einen Energiestrahl aus, der über die Kuppel blitzte. Sonea sah Regin an.
»Beginnt!«
Regin hatte die Arme vor der Brust verschränkt, aber das höhnische Lächeln, das sie auf seinem Gesicht erwartet hatte, war nicht da. Magie kräuselte die Luft, als er den ersten Zauber losließ. Er traf ihren Schild nur einen Herzschlag, nachdem sie ihre Antwort gesandt hatte.
Sein Schild blieb stark, aber er griff nicht wieder an. Regin runzelte die Stirn und dachte zweifellos darüber nach, wie er sie am besten dazu verleiten konnte, ihre Kräfte zu vergeuden.
Wieder vibrierte die Luft zwischen ihnen, als er ihr seine Magie entgegenschleuderte, diesmal in Form eines mehrfachen Angriffs. Die Zauber leuchteten weiß auf. Sie sahen aus wie Kraftzauber… aber entweder waren sie stark genug, um weiß zu erscheinen, oder sie …