Jano gab die Flasche zurück, dann wandte er sich wieder zu Dannyl um. »Ich froh, kein Magier bin. Furchtbar, gern trinken und nicht es dürfen.« Er schüttelte den Kopf. »Sehr traurig.«
Dannyl machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin auch gern Magier.«
Die Seeleute stimmten ein neues Lied an, und obwohl Dannyl ihn nicht darum gebeten hatte, übersetzte Jano es auch diesmal. Die absurde Grobheit des Liedes brachte Dannyl zum Lachen.
»Was bedeutet Eyoma?«
»Fischegel«, erwiderte Jano. »Schlimme Sache. Ich dir erzählen Geschichte.«
Sofort verstummten die anderen Matrosen, um Jano und Dannyl mit wachem Blick zu beobachten.
»Fischegel so lang wie Arm von Hand bis Ellbogen.« Jano verdeutlichte mit einer knappen Geste, was er meinte. »Meist wenige zusammen schwimmen, aber wenn fortpflanzen sehr sehr viele, dann sehr, sehr gefährlich. Kriechen Bordwand hoch, weil wie Felsen, und wir müssen töten, töten, töten, sonst die Egel festkleben an uns und saugen Blut aus.«
Dannyl sah die anderen Seeleute an, die eifrig nickten. Er schöpfte sofort den Verdacht, dass diese Geschichte ein Lügenmärchen oder eine Übertreibung sein könnte - Seemannsgarn, wie die Matrosen es spinnen, um Landratten zu erschrecken. Er musterte Jano mit schmalen Augen, aber der Mann war so vertieft in seine Geschichte, dass er es nicht einmal bemerkte.
»Fischegel Blut von allen großen Fischen saugen. Wenn Schiff sinken und Männer wollen schwimmen an Land, müssen sterben, wenn Fischegel da. Wenn Zeit von Laichen für Fischegel, viele, viele Fischegel da, Egel ziehen Mann in Tiefe.« Er sah Dannyl mit großen Augen an. »Böse Art von Sterben.«
Trotz seiner Skepsis überlief Dannyl ein kalter Schauer.
»Du keine Angst. Fischegel in Warmwasser leben. Oben in Nord. Noch Siyo trinken, Geschichte vergessen.«
Dannyl nahm die Flasche entgegen und trank einen kleinen Schluck. Einer der Seeleute begann zu summen, und schon bald stimmten alle anderen in sein Lied ein. Dannyl ließ sich überreden mitzusingen, brach jedoch sofort ab, als sich die Tür des Niedergangs öffnete und der Kapitän herunterkam.
Die Männer wurden ein wenig leiser, hörten aber nicht auf zu singen. Numo nickte Dannyl zu. »Ich habe etwas für Euch, Mylord.«
Er bedeutete Dannyl, ihm zu folgen, und ging zu seiner Kajüte voran. Dannyl erhob sich und stützte sich mit beiden Händen an den Wänden ab, um auf dem schlingernden Schiff nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Als er Numos Kajüte betrat, stellte er fest, dass sie, anders als Jano behauptet hatte, mindestens vier Mal so groß war wie Dannyls Quartier.
Auf einem Tisch in der Mitte des Raums lagen mehrere Karten ausgebreitet. Numo hatte einen kleinen Schrank geöffnet und hielt jetzt eine Schatulle in Händen. Er zog einen Schlüssel unter seinem Hemd hervor, öffnete den Deckel und nahm ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus.
»Man hat mich gebeten, Euch das hier vor Eurer Ankunft in Capia zu überreichen.«
Numo gab Dannyl das Papier und lud ihn ein, Platz zu nehmen. Dannyl setzte sich und untersuchte das Siegel. Es trug das Symbol der Gilde, und das Papier war von feinster Qualität.
Nachdem er das Siegel gebrochen hatte, faltete er das Papier auseinander und erkannte sofort die Handschrift von Administrator Lorlen.
An den zweiten Botschafter der Gilde in Elyne, Dannyl, aus der Familie Vorin und dem Haus Tellen.
Ihr müsst mir verzeihen, dass ich den Kapitän gebeten habe, Euch diesen Brief erst nach Eurer Abreise zu übergeben. Ich möchte, dass Ihr zusätzlich zu Euren Pflichten als Botschafter noch eine andere Aufgabe für mich übernehmt. Diese Aufgabe muss, zumindest für den Augenblick, streng vertraulich gehandhabt werden, und die Art und Weise, wie ich Euch diesen Brief habe zukommen lassen, ist eine Vorsichtsmaßnahme meinerseits, um Geheimhaltung zu gewährleisten.
Wie Ihr wisst, hat der Hohe Lord Akkarin Kyralia vor zehn Jahren verlassen, um Wissen über alte Magie zu sammeln, ein Unterfangen, das niemals vollendet wurde. Eure Aufgabe besteht darin, Akkarins Schritte nachzuvollziehen, all die Orte noch einmal aufzusuchen, an denen er damals war, und herauszufinden, wer ihm bei seinen Nachforschungen geholfen hat. Darüber hinaus bitte ich Euch, Eurerseits Informationen zu diesem Thema zu sammeln.
Bitte übersendet mir all diese Informationen durch einen Kurier. Nehmt auf keinen Fall direkten Kontakt zu mir auf. Ich freue mich darauf, von Euch zu hören.
Mit herzlichem Dank,
Dannyl las den Brief mehrere Male, dann faltete er ihn wieder zusammen. Was führte Lorlen im Schilde? Was bedeutete es, dass er Akkarins Reise nachvollziehen sollte? Und weshalb durfte er nur über einen Kurier Kontakt zum Administrator aufnehmen?
Er öffnete den Brief noch einmal und überflog ihn hastig. Möglicherweise bat Lorlen nur deshalb um Vertraulichkeit, weil niemand wissen sollte, dass er sich Dannyls neuer Position bediente, um einer privaten Angelegenheit nachzugehen.
Diese private Angelegenheit war jedoch Akkarins damalige Reise. Wenn Akkarin Bescheid wusste, war er wahrscheinlich mit Lorlens Vorgehen einverstanden. Und wenn er nichts darüber wusste? Dannyl lächelte schief. Vielleicht gab es in Akkarins Geschichten ebenfalls so etwas wie einen Fischegel, und Lorlen wollte wissen, ob an der Angelegenheit etwas Wahres war.
Oder vielleicht wollte Lorlen dort einen Erfolg für sich verbuchen, wo sein Freund gescheitert war. Die beiden waren während ihrer Novizenzeit stets Konkurrenten gewesen. Lorlen konnte diese Nachforschungen natürlich nicht selbst anstellen, daher musste er einen anderen Magier bitten, es an seiner Stelle zu tun. Wieder lächelte Dannyl. Und er hat sich für mich entschieden.
Schließlich erhob er sich, um sich aufs Neue einen Weg durch das schlingernde Schiff zu bahnen. Zweifellos würde Lorlen ihm irgendwann die Gründe für diese Heimlichkeiten offenbaren. In der Zwischenzeit würde es Dannyl großen Spaß machen, mit der Erlaubnis des Administrators in der Vergangenheit eines anderen herumzuschnüffeln, insbesondere eines Mannes, der so geheimnisvoll war wie der Hohe Lord.
Er nickte Numo zu, verließ den Raum, verstaute den Brief in seinem Gepäck und kehrte anschließend zu Jano und der singenden Mannschaft zurück.
4
Pflichten
Auf ihrem Weg durch den Hauptflur der Universität fühlte Sonea sich erleichtert - mit einem bitteren Beigeschmack. Morgen war Freitag, also unterrichtsfrei, und das bedeutete, dass sie den ganzen Tag von Regin und den anderen Novizen verschont bleiben würde.
Ihre Müdigkeit überraschte sie, denn sie hatte in der vergangenen Woche kaum etwas getan. Im Unterricht las sie meist oder beobachtete, wie die anderen zu ihren Kontrolllektionen gingen und wieder davon zurückkehrten. Es war nicht viel passiert, und dennoch kam es ihr so vor, als seien Wochen - nein, Monate - verstrichen.
Issle beachtete Sonea überhaupt nicht mehr, und obwohl dieses Verhalten besser war als offene Feindseligkeit, schien es, als seien alle Novizen zu dem Schluss gekommen, dass dies die beste Art sei, mit ihr umzugehen. Keiner von ihnen sprach mit ihr, nicht einmal, wenn sie sich mit einer einfachen Frage nach ihren Fortschritten erkundigte.
Während sie ihren Weg fortsetzte, dachte sie über jeden einzelnen ihrer Mitschüler nach. Elayk entsprach ganz dem Bild, das sie sich von einem männlichen Vertreter des lonmarischen Volkes gemacht hatte. Erzogen in einer Welt, in der man Frauen versteckte, sie zwar mit Luxus umgab, ihnen aber praktisch jede Freiheit nahm, war er nicht daran gewöhnt, mit weiblichen Wesen zu reden. Er behandelte Bina und Issle mit derselben kalten Gleichgültigkeit wie sie. Faren, der Dieb, der sie im vergangenen Jahr vor der Gilde versteckt hatte, war da ganz anders gewesen, aber schließlich war Faren auch kein typischer Lonmar!