»Beine an festen Boden gewöhnen müssen«, rief er. »Wird nicht dauern lange.«
Dannyl, der sich mit einer Hand an der Mauer abstützte, folgte den Seeleuten die Treppe hinauf. Oben angekommen, fand er sich auf einer breiten, belebten Straße wieder, die um den Hafen herumführte. Die Matrosen stellten die Truhen ab und hockten sich auf die Mauerkante, offenkundig vollauf zufrieden damit, nichts anderes zu tun, als dem Treiben zuzusehen.
»Wir hatten gute Reise«, meinte Jano. »Guten Wind. Keine Stürme.«
»Keine Fischegel«, fügte Dannyl hinzu.
Jano lachte und schüttelte den Kopf. »Keine Eyoma. Sie schwimmen im Nordmeer.« Er hielt inne. »Du guter Mann sein für deine Sprache üben. Ich haben gelernt neue Worte.«
»Und ich habe einige Wörter in Vindo gelernt«, erwiderte Dannyl. »Nicht so viele, dass ich mich am Hof von Elyne verständlich machen könnte, aber sie werden recht nützlich sein, sollte ich jemals eine Taverne in Vin aufsuchen.«
Der kleine Mann grinste. »Wenn du kommen Vin, herzlich eingeladen Gast bei Janos Familie.«
Dannyl drehte sich überrascht zu dem Mann um. »Vielen Dank«, sagte er.
Jano deutete auf die Straße. »Da deine Leute.«
Dannyl hielt Ausschau nach einer schwarzen Kutsche mit den aufgemalten Symbolen der Gilde, konnte aber keine entdecken. Jano trat einen Schritt auf die Treppe zu.
»Ich jetzt gehen. Gute Fahrt, Mylord.«
Dannyl nickte dem Mann lächelnd zu. »Gute Fahrt, Jano.«
Der Matrose grinste, dann lief er die Treppe hinunter. Dannyl wandte sich wieder der Straße zu, aber eine Kutsche aus poliertem rotem Holz blieb direkt vor ihm stehen und versperrte ihm die Sicht. Dann dämmerte ihm die Erkenntnis, als ein Matrose von der Fin-da vom Kutschbock sprang und den anderen Seeleuten half, die Truhen auf den Wagen zu laden.
Der Wagenschlag wurde geöffnet, und ein elegant gekleideter Mann stieg aus. Einen Moment lang war Dannyl sprachlos. Er hatte schon früher Höflinge aus Elyne gesehen, und es hatte ihn ungemein erleichtert, dass er die lächerlichen Prunkgewänder, die am dortigen Hof in Mode waren, selbst nicht würde tragen müssen. Dennoch musste er zugeben, dass die kunstvolle, eng anliegende Gewandung diesem hübschen jungen Mann ausnehmend gut stand. Mit einem solchen Gesicht, ging es Dannyl durch den Kopf, muss er sich bei den Damen größter Beliebtheit erfreuen.
Der Mann trat zögernd auf ihn zu. »Botschafter Dannyl?«
»Ja.«
»Ich bin Tayend von Tremmelin.« Der Mann machte eine anmutige Verbeugung.
»Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen«, erwiderte Dannyl.
»Die Ehre ist ganz meinerseits, Botschafter Dannyl«, antwortete Tayend. »Ihr seid gewiss müde nach der Reise. Ich werde Euch direkt zu Eurem Haus bringen.«
»Vielen Dank.« Dannyl fragte sich, warum man ihm diesen Mann anstelle eines Dieners geschickt hatte, und musterte Tayend forschend. »Gehört Ihr der Gilde an?«
»Nein.« Tayend lächelte. »Ich komme von der Großen Bibliothek. Euer Administrator hat mich darum gebeten, Euch hier abzuholen.«
»Ich verstehe.«
Tayend deutete auf die Tür der Kutsche. »Nach Euch, Mylord.«
Dannyl stieg ein, und die luxuriöse Inneneinrichtung des Wagens entlockte ihm einen leisen, anerkennenden Seufzer. Nach so vielen Tagen in einer winzigen Kajüte, die wenig Luxus zu bieten hatte, freute er sich auf ein Bad und etwas Einfallsreicheres zu essen als Suppe und Brot.
Tayend nahm auf der Bank gegenüber Platz, dann klopfte er an die Decke, um dem Kutscher das Zeichen zur Abfahrt zu geben. Als die Kutsche sich in Bewegung setzte, warf Tayend einen kurzen Blick auf Dannyls Robe und sah dann rasch wieder beiseite. Er schluckte hörbar und rieb seine Hände an der Hose.
Dannyl verkniff sich ein Lächeln angesichts der Nervosität des anderen Mannes und dachte über all die Dinge nach, die er über den elynischen Hof wusste. Er hatte noch nie von Tayend von Tremmelin gehört, obwohl er hier und da etwas über andere Mitglieder dieser Familie gelesen hatte.
»Welche Position bekleidet Ihr bei Hof, Tayend?«
Der junge Mann machte eine wegwerfende Handbewegung. »Eine sehr geringe. Ich meide den Hof, und meistens meidet er mich.« Er sah Dannyl an und lächelte verlegen. »Ich bin ein Gelehrter. Den größten Teil meiner Zeit verbringe ich in der Großen Bibliothek.«
»Die Große Bibliothek«, wiederholte Dannyl. »Ich hatte schon immer den Wunsch, sie mir eines Tages anzusehen.«
Tayends Miene hellte sich auf. »Sie ist wunderbar. Ich werde Euch morgen hinbringen, wenn Ihr wollt. Meiner Erfahrung nach wissen Magier Bücher auf eine Art und Weise zu schätzen, die den meisten Höflingen abgeht. Euer Hoher Lord hat vor Jahren viele Wochen in der Bibliothek verbracht - das war natürlich lange bevor er zum Hohen Lord wurde.«
Dannyl sah den jungen Mann an, und sein Pulsschlag beschleunigte sich. »Ach ja? Was hatte derart sein Interesse geweckt?«
»Alles Mögliche«, antwortete Tayend mit leuchtenden Augen. »Ich war für einige Tage sein Assistent. Irand - der Erste Bibliothekar - konnte mich, als ich noch ein Junge war, nie von der Bibliothek fern halten, also hat er mich als Laufburschen in Dienst genommen. Lord Akkarin hat sämtliche unserer ältesten Bücher gelesen. Er hat nach irgendetwas gesucht, aber ich habe nie herausgefunden, was genau das war. Es war ein großes Rätsel. Eines Tages kam er nicht zur gewohnten Zeit, ebenso wenig wie am nächsten Tag, deshalb haben wir uns nach ihm erkundigt. Er hatte seine Sachen gepackt und war ganz plötzlich abgereist.«
»Wie interessant«, bemerkte Dannyl. »Ich wüsste zu gern, ob er gefunden hat, wonach er suchte.«
Tayend blickte aus dem Fenster. »Ah! Wir haben Euer Quartier fast erreicht. Soll ich Euch morgen abholen - oh, Ihr werdet gewiss zuerst bei Hof vorsprechen wollen, nicht wahr?«
Dannyl lächelte. »Ich werde Euer Angebot annehmen, Tayend, aber ich kann noch nicht sagen, wann. Soll ich euch eine Nachricht schicken, sobald ich es weiß?«
»Natürlich.« Als die Kutsche zum Stehen kam, entriegelte Tayend die Tür und drückte sie auf. »Schickt mir einen Brief an die Große Bibliothek - oder kommt einfach vorbei. Ich bin tagsüber immer dort zu finden.«
»Das werde ich tun«, versprach Dannyl. »Und vielen Dank, dass Ihr mich vom Hafen abgeholt habt, Tayend von Tremmelin.«
»Es war mir eine Ehre, Mylord«, erwiderte der junge Mann.
Dannyl stieg aus der Kutsche und fand sich vor einem großen, dreistöckigen Haus wieder. Hohe Säulen umrahmten eine breite Veranda. Die beiden mittleren Säulen standen besonders weit auseinander, und der Sturz zwischen ihnen war zu einem Bogen aufgewölbt wie beim Eingang zur Universität der Gilde in Kyralia. Die dahinterliegenden Flügeltüren waren ebenfalls denen der Universität originalgetreu nachgemacht.
Vier Diener luden das Gepäck aus der Kutsche, und ein fünfter trat vor und verneigte sich.
»Botschafter Dannyl. Willkommen im Haus der Gilde von Capia. Bitte, folgt mir.«
Hinter sich hörte Dannyl eine kultivierte Stimme den Titel im Flüsterton wiederholen. Er widerstand dem Drang, sich nach Tayend umzudrehen; stattdessen lächelte er nur und folgte dem Diener ins Haus. Der junge Gelehrte hatte offensichtlich gehörigen Respekt vor Magiern.
Dann wurde er mit einem Schlag wieder ernst. Tayend hatte Akkarin vor zehn Jahren kennen gelernt und ihm bei seiner Arbeit geholfen. Lorlen hatte dafür gesorgt, dass der Gelehrte ihn vom Hafen abholte. Zufall? Er bezweifelte es. Lorlen wünschte offensichtlich, dass er bei seinen Nachforschungen auf dem Gebiet alter Magie mit Tayend zusammenarbeitete.
In dem kleinen Garten war der Geruch der Blumen beinahe unerträglich süß. Irgendwo im Hintergrund plätscherte, unsichtbar in der nächtlichen Dunkelheit, ein Springbrunnen. Lorlen streifte die Blütenblätter ab, die auf seine Robe gefallen waren.