»Lord Rothen«, erwiderte Jerrik, »welchen Schüler habt Ihr Euch erwählt?«
»Ich habe den Wunsch, zum Mentor Soneas bestimmt zu werden.«
Kein Gemurmel folgte seiner Ankündigung, und Jerrik nickte lediglich zustimmend. Rothen kehrte zu seinem Platz zurück.
»Das war’s«, flüsterte Dannyl. »Jetzt wirst du da nicht mehr rauskommen. Sie hat dich für die nächsten fünf Jahre wirklich und wahrhaftig um den Finger gewickelt.«
»Pst«, zischte Rothen.
»Hat noch einer der Magier den Wunsch, zum Mentor eines der Schüler bestimmt zu werden?«, wiederholte Jerrik seine Frage.
»Ich habe eine Wahl getroffen, Rektor.«
Die Stimme war links von Rothen erklungen, und man hörte das Knarren von Stühlen, während die Leute sich auf ihren Plätzen umdrehten. Ein aufgeregtes Raunen lief durch die Halle, als Lord Garrel sich erhob.
»Lord Garrel.« Jerriks Stimme klang überrascht. »Welchen Schüler habt Ihr Euch erwählt?«
»Regin aus der Familie Winar und dem Haus Paren.«
Die übrigen Anwesenden stießen wie aus einem Mund einen verständnisvollen Seufzer aus. Rothen sah, dass der Junge am Ende der Reihe zufrieden grinste. Erst als Jerrik die Arme hob, kehrte langsam wieder Ruhe ein.
»Ich würde dir raten, auf diese beiden Novizen und ihre Mentoren ein Auge zu haben«, murmelte Dannyl. »Normalerweise wählt niemand im ersten Jahr einen Novizen aus. Wahrscheinlich tun sie es nur, um zu verhindern, dass Sonea einen höheren Status bekleidet als ihre Klassenkameraden.«
»Oder ich habe eine Mode geschaffen«, überlegte Rothen laut. »Und Garrel könnte das Potenzial seines Neffen bereits kennen. Das würde auch erklären, warum Regins Familie den Wunsch hatte, ihn vorzeitig auf die Universität zu schicken.«
»Hat sonst noch jemand den Wunsch, zum Mentor eines dieser Schüler bestimmt zu werden?«, rief Jerrik. Stille folgte, und er ließ die Arme sinken. »Würden bitte alle Magier vortreten, die die persönliche Verantwortung für einen der Schüler übernehmen wollen?«
Rothen erhob sich und ging langsam auf die Treppe zu. Kurz darauf stand er zusammen mit Lord Garrel und Lord Yarrin neben Rektor Jerrik. Ein junger Novize, der vor Aufregung darüber, eine Rolle bei der Zeremonie zu spielen, heftig errötet war, kam mit einem Bündel braunroter Gewänder herbei. Jeder der Magier wählte eines der Bündel aus.
»Würde Gennyl bitte vortreten«, befahl Jerrik.
Einer der Jungen aus Lonmar folgte seiner Aufforderung und verneigte sich. Mit weit aufgerissenen Augen stand er vor Lord Jerrik, und seine Stimme zitterte, als er das Novizengelübde sprach. Lord Yarrin reichte dem Jungen seine Roben, und Mentor und Novize traten beiseite. Lord Jerrik wandte sich wieder den neuen Schülern zu.
»Würde jetzt Sonea bitte vortreten.«
Sonea ging mit steifen Schritten auf Jerrik zu. Obwohl ihr Gesicht bleich war, verneigte sie sich voller Anmut und legte dann klar und deutlich das Gelübde ab. Rothen trat neben sie und übergab ihr ihre Roben.
»Hiermit erwähle ich dich, Sonea, zu meinem Schützling. Deinem Studium wird meine besondere Aufmerksamkeit und Sorge gelten, bis du deinen Abschluss an der Universität gemacht hast.«
»Ich werde Euren Anweisungen gehorchen, Lord Rothen.«
»Möget ihr beide aus dieser Vereinbarung Gewinn ziehen«, vollendete Jerrik die rituelle Formel.
Als sie beiseite traten, um sich neben Lord Yarrin und Gennyl zu stellen, rief Jerrik den immer noch lächelnden Jungen vom Ende der Reihe auf.
»Würde Regin bitte vortreten.«
Der Junge ging selbstbewusst auf Jerrik zu, aber er verneigte sich zu hastig und nicht tief genug. Als der Ritus wiederholt wurde, blickte Rothen auf Sonea hinab und fragte sich, was sie wohl denken mochte. Sie war jetzt ein Mitglied der Gilde, und das war keine Kleinigkeit.
Sie sah den Jungen zu ihrer Rechten an, wie Rothen bemerkte. Gennyl stand mit durchgedrückten Schultern und gerötetem Gesicht neben seinem Mentor. Er platzt fast vor Stolz, ging es Rothen durch den Kopf. Einen Mentor zu haben und noch dazu in diesem frühen Stadium, bewies, dass ein Schüler außerordentlich talentiert war.
Nur wenige würden das jedoch von Sonea denken. Die meisten Magier, argwöhnte Rothen, würden annehmen, dass er Sonea nur deshalb zu seinem Schützling auserkoren hatte, damit niemand seine Rolle bei ihrer Auffindung vergaß. Man würde ihm nicht glauben, wenn er von der Stärke und dem Talent Soneas sprach. Aber sie würden es eines Tages selbst herausfinden, und diese Tatsache gab ihm eine gewisse Befriedigung.
Nachdem Regin und Lord Garrel die rituellen Worte gesprochen hatten, stellten sie sich links neben Rothen. Der Junge sah immer wieder mit berechnender Miene zu Sonea hinüber. Sie dagegen bemerkte es nicht, oder sie ignorierte ihn. Stattdessen verfolgte sie aufmerksam das Geschehen, als Jerrik nun die übrigen neuen Schüler zu sich rief, damit sie das Gelübde ablegten. Sie nahmen ihre Roben in Empfang, dann stellten sie sich neben die Mentoren und ihre Novizen.
Als die letzten der neuen Schüler in die Reihe getreten waren, wandte Lord Jerrik sich ihnen allen zu.
»Ihr seid jetzt Novizen der Magiergilde«, erklärte er. »Mögen die kommenden Jahre für euch alle von Nutzen sein.«
Die Novizen verneigten sich. Lord Jerrik nickte kurz und trat beiseite.
»Auch ich möchte unsere neuen Novizen willkommen heißen und ihnen viele erfolgreiche Jahre wünschen.« Sonea zuckte zusammen, als Lorlens Stimme hinter ihr erklang. »Hiermit erkläre ich die Aufnahmezeremonie für beendet.«
Sofort erfüllte lautes Stimmengewirr die Gildehalle. Die in Roben gewandeten Männer und Frauen erhoben sich hastig und eilten die Treppe hinunter. Als den Novizen klar wurde, dass die Formalitäten vorüber waren, zerstreuten sie sich in alle Richtungen. Einige liefen zu ihren Eltern, andere betrachteten das Bündel in ihren Händen oder beobachteten das Treiben um sie herum. Am anderen Ende der Gildehalle öffneten sich langsam die großen Türen.
Sonea drehte sich zu Rothen um. »Das war es also. Ich bin jetzt Novizin.«
Er lächelte. »Bist du froh, dass es vorbei ist?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe das Gefühl, als hätte es gerade erst angefangen.« Sie blickte über seine Schulter. »Da kommt Euer Schatten.«
Rothen wandte sich um und stellte fest, dass Dannyl auf ihn zukam.
»Willkommen in der Gilde, Sonea.«
»Ich danke Euch, Botschafter Dannyl«, erwiderte Sonea mit einer Verbeugung.
Dannyl lachte. »Noch nicht, Sonea. Noch nicht.«
Plötzlich spürte Rothen, dass noch jemand zu ihrer kleinen Gruppe gestoßen war. Der Rektor der Universität stand neben ihm.
»Lord Rothen«, sagte Jerrik und bedachte Sonea mit einem müden Lächeln, als diese sich verneigte.
»Ja?«, erwiderte Rothen.
»Wird Sonea jetzt in das Novizenquartier umziehen? Über diese Frage habe ich bisher noch gar nicht nachgedacht.«
Rothen schüttelte den Kopf. »Sie wird bei mir bleiben. Ich habe in meinen Wohnräumen mehr als genug Platz für sie.«
Jerrik hob die Augenbrauen. »Ich verstehe. Dann werde ich Lord Ahrind davon in Kenntnis setzen. Und jetzt entschuldigt mich bitte.«
Rothen sah dem alten Mann nach, während dieser auf einen dünnen, hohlwangigen Magier zuging. Als Jerrik zu sprechen begann, runzelte Lord Ahrind die Stirn und blickte kurz zu Sonea hinüber.
»Wie geht es jetzt weiter?«, wollte Sonea wissen.
Rothen deutete mit dem Kopf auf das Bündel in ihren Händen. »Wir finden heraus, ob diese Roben dir passen.« Er sah Dannyl an. »Und ich finde, eine kleine Feier wäre jetzt angebracht. Kommst du mit?«
Dannyl lächelte. »Das würde ich mir niemals entgehen lassen.«
2
Der erste Tag
Die Sonne schien Dannyl warm auf den Rücken, als er in die Kutsche stieg. Er nahm ein klein wenig Magie zu Hilfe, um den ersten seiner Koffer auf das Dach zu heben. Als das zweite Gepäckstück neben dem ersten zu liegen kam, stieß er einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf.