Der Bildschirm wurde dunkel.
George rüttelte verzweifelt an dem Visiphon, als wolle er es dadurch wieder zum Leuchten bringen. "Er hat kein Wort geglaubt! Er hat kein Wort geglaubt!" rief er zutiefst enttäuscht.
"Nein, George", bestätigte Ingenescu. "Dachten Sie wirklich, daß er auf Ihren Vorschlag eingehen würde?"
George hörte kaum zu. "Aber warum denn nicht? Ich habe doch nicht gelogen! Die Vorteile wären alle auf seiner Seite gewesen. Nicht das geringste Risiko! Ich hätte ihnen alles gezeigt... Die Ausbildung für ein Dutzend Männer hätte weniger gekostet als jetzt ein einziger Techniker... Er muß betrunken gewesen sein. Völlig betrunken! Deshalb hat er mich nicht verstanden."
George sah sich atemlos um. "Wie komme ich zu ihm? Ich muß noch einmal mit ihm sprechen, aber nicht nur am Visiphon, sondern in aller Ruhe. Ich brauche einfach mehr Zeit, um ihn zu überzeugen. Wie..."
"Man wird Sie gar nicht zu ihm vorlassen, George", warf Ingenescu ein. "Außerdem würde er Ihnen doch nicht glauben."
"Doch! Wenn er nicht wieder betrunken ist. Er..." George wandte sich zu dem Historiker um und starrte ihn erstaunt an. "Weshalb nennen Sie mich George?"
"Heißen Sie denn nicht so? George Platen?"
"Sie kennen mich?"
"Ich weiß alles über Sie."
George blieb wie erstarrt in seiner Ecke stehen.
"Ich möchte Ihnen helfen, George", fuhr Ingenescu fort. "Ich habe Sie studiert und möchte Ihnen deshalb helfen."
"Ich brauche keine Hilfe!" schrie George. "Die ganze Welt ist schwachsinnig, aber ich bin es nicht!" Er warf sich herum und stürzte auf die Tür zu.
Als er sie aufriß, tauchten zwei stämmige Polizisten auf und nahmen ihn in ihre Mitte.
Obwohl George sich verzweifelt wehrte, erhielt er eine Beruhigungsspritze, die augenblicklich wirkte. Er nahm nur noch wahr, daß Ingenescu mit einem besorgten Lächeln über ihm stand.
George schlug die Augen auf und starrte die grellweiße Zimmerdecke an. Er erinnerte sich an alles, was geschehen war. Aber in seiner Erinnerung spielte ein anderer die Hauptrolle. Er starrte die Zimmerdecke an, bis ihm die Augen schmerzten; dann schloß er sie und dachte angestrengt nach.
Er konnte nicht beurteilen, wie lange er so seinen eigenen Gedanken nachgehangen hatte.
Dann hörte er eine Stimme. "Bist du wach?"
Und George nahm zum erstenmal wahr, daß er leise stöhnte. Hatte er auch vorher gestöhnt? Er versuchte den Kopf zu bewegen.
Die Stimme sagte: "Hast du Schmerzen, George?"
George konnte nur flüstern. "Seltsam. Ich wollte so gern von der Erde fort. Ich hatte noch nicht verstanden..."
"Weißt du, wo du bist?"
"Wieder in der... der Anstalt." George drehte sich mühsam um. Die Stimme gehörte Omani.
"Seltsam, daß ich das alles nicht vorher verstanden habe", sagte George.
Omani lächelte. "Du mußt jetzt schlafen..."
George schlief.
Und wachte kurze Zeit später wieder auf. Sein Kopf war völlig klar.
Omani saß lesend neben seinem Bett, legte aber das Buch fort, als George die Augen öffnete.
George richtete sich in eine sitzende Stellung auf. "Hallo", sagte er.
"Hast du Hunger?"
"Natürlich." Er starrte Omani neugierig an. "Ich bin ständig unter Bewachung gewesen, nicht wahr?"
Omani nickte. "Dauernd. Wir wollten dich mit Antonelli zusammenbringen, damit du deinen Aggressionstrieb befriedigen konntest. Wir waren der Meinung, daß du dann größere Fortschritte machen würdest."
"Ich habe mich geirrt", gab George verlegen zu.
"Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Als du auf dem Flughafen in San Francisco die Anzeigetafel für den Metallurgenwettbewerb anstarrtest, meldete einer unserer Leute die Namen der Teilnehmer. Wir beide hatten uns oft genug über deine Vergangenheit unterhalten, so daß ich die Bedeutung des Namens Trevelyan sofort erfaßte. Du hast dich nach dem kürzesten Weg zu dem Wettkampfort erkundigt; deshalb bestand die Möglichkeit, daß es dort zu der Krise kommen würde, auf die wir gewartet hatten. Folglich wurde Ladislaus Ingenescu in die Halle geschickt."
"Er spielt eine bedeutende Rolle innerhalb der Regierung, nicht wahr?"
"Ja."
"Und trotzdem gab er sich mit mir ab. Das läßt mich auch ein bißchen wichtig erscheinen."
"Du bist wichtig, George."
Das Essen kam. George stürzte sich hungrig darauf. Omani schwieg, bis George fertig war.
Dann sagte George: "Ich bin vorher schon einmal für kurze Zeit aufgewacht."
"Ja, ich weiß", antwortete Omani. "Ich war hier."
"Richtig, jetzt erinnere ich mich wieder. Weißt du, alles war plötzlich verändert. Ich war viel zu müde und erschöpft, um mich von Gefühlen beeinflussen zu lassen. Ich konnte mich nicht einmal ärgern, sondern nur nachdenken. Als ob ich eine Spritze bekommen hätte, die alle Gefühlsregungen lähmte..."
"Du hast keine bekommen", sagte Omani. "Nur ein leichtes Beruhigungsmittel. Aber du hattest dich ausgeruht."
"Jedenfalls fiel mir zum erstenmal ein, was ich auf Novia hatte tun wollen - ich hatte junge Leute mit Hilfe von Büchern unterrichten wollen. Aber dadurch hätte ich nur eine Anstalt für Schwachsinnige ins Leben gerufen... wie hier... und auf der Erde gibt es schon einige davon... zu viele."
Omanis weiße Zähne blitzten auf, als er lächelte. "Institut für Erwachsenenbildung wäre vielleicht ein besserer Name dafür."
"Jetzt sehe ich alles so deutlich, daß ich mich geradezu über meine bisherige Blindheit wundere", fuhr George fort. "Wer erfindet denn eigentlich die neuartigen Geräte, die nur von neu ausgebildeten Technikern bedient werden können? Wer hat zum Beispiel den Beeman-Spektrographen erfunden? Ein Mann namens Beeman, vermute ich, aber er kann nicht auf die übliche Weise erzogen worden sein, denn wie hätte er dann Verbesserungen erfinden können?"
"Genau."
"Oder wer stellt eigentlich Erziehungsbänder her? Speziell für diese Aufgabe geschulte Techniker? Aber wer ist für die Bänder verantwortlich, mit denen sie ausgebildet werden? Noch besser ausgebildete Techniker? Und wer stellt die Bänder her, mit denen... Du siehst, was ich damit sagen will. Irgendwann muß diese scheinbar endlose Reihe ein Ende haben. Irgendwo muß es Männer und Frauen geben, die selbständig denken können."
"Richtig, George."
George lehnte sich in die Kissen zurück und starrte Omani beunruhigt an.
"Warum hat man mir das nicht von Anfang an erzählt?"
"Wir hätten es gern getan, um uns einige Mühe zu ersparen", gab Omani bereitwillig zurück. "Wir können zwar feststellen, ob jemand sich für den Beruf eines Architekten oder eines Waldarbeiters eignet, aber die menschliche Erfindungsgabe entzieht sich jeder noch so eingehenden Untersuchung. Wir haben nur ungefähre Anhaltspunkte, mit deren Hilfe wir einzelne Menschen aussondern, denen diese Begabung unter Umständen angeboren ist.
Diese Talente werden bereits am Lesetag festgestellt und gemeldet. Deine Karte erhielt damals auch einen besonderen Vermerk. Aber das geschieht selten genug - vielleicht in einem von zehntausend Fällen. Am Erziehungstag wird die erste Meldung nochmals überprüft, wobei sich bei neunzig Prozent der Betroffenen herausstellt, daß ein Irrtum vorlag. Die restlichen zehn Prozent werden in Anstalten wie dieser hier untergebracht."
George schüttelte den Kopf. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß es schaden würde, wenn man den Leuten klarmachen würde, daß einer von hunderttausend ausgesondert werden wird. Weshalb eigentlich nicht? Dann hätten die Ausgesonderten es leichter."
"Und die übrigen? Wir dürfen nicht riskieren, daß die anderen sich alle als Versager betrachten. Sie haben ein bestimmtes Berufsziel, das sie vielleicht sogar erreichen. Das ist auch notwendig, damit jeder Mensch seinen Platz innerhalb unserer Gesellschaftsordnung einnimmt, zu dem er befähigt ist."
"Aber wir?" fragte George. "Der Ausnahmefall unter zehntausend?"