Ich gab Doris einen Fünfer und sagte, sie solle das Wechselgeld behalten.
Als wir das Strandcafe verließen, kam sie hinter uns her zum vorderen Ausgang und sagte: »Halten Sie die Augen offen und passen Sie auf sich auf. Wenn Sie ein helles Licht sehen, dann sollten Sie um Ihr Leben rennen. Jedenfalls würde ich das an Ihrer Stelle tun.«
»Danke für den Tip«, sagte ich und ergriff Liz' Hand.
Wir stiegen den steilen Pfad zurück zum Gartentor hinauf. Es war mittlerweile heiß geworden, und die Luft roch intensiv nach frischem Teer und Nesseln. Wir gingen unter den Bäumen hindurch über die Brücke zurück in den Garten. In der sengenden Hitze sah das Haus noch seltsamer aus als zuvor. So als sei es nichts weiter als ein hell beleuchtetes Gemälde.
Liz blieb stehen. »Nimmst du Untermieter auf?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich das darf.«
»Nein, nein, ich habe nicht meinetwegen gefragt. Ich habe bloß jemanden aus einem der oberen Fenster herausschauen sehen.« Ich blieb stehen und hielt meine Hand über die Augen, um sie gegen die Sonne abzuschirmen. Soweit ich das sehen konnte, waren alle Fenster schwarz und leer. »Welches Fenster war es?«, fragte ich sie.
»Das da, gleich unter dem Dach.«
»Und wie hat dieser Jemand ausgesehen?«
»Ich weiß nicht, irgendwie blass.«
»Blass?«
»Na ja, weiß, richtig weiß. Vielleicht hat sich was gespiegelt.«
Sie sah sich um. »Vielleicht eine Möwe.«
Wir gingen weiter und erreichten schließlich das Haus. Liz streckte mir ihre Hand entgegen. »Na, denn. Danke für das Bier und das übernatürliche Erlebnis. Ich mache mich jetzt besser auf den Weg, bevor mir jemand im Wollgeschäft zuvorkommt.«
Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Ich schätze, du kannst auch hier unterkommen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du hast schon deine eigenen Probleme, da kannst du nicht noch meine gebrauchen.«
»Ich weiß nicht, ich könnte ein wenig Gesellschaft brauchen.«
Liz zuckte mit den Schultern. »Ich bin eigentlich nicht auf der Suche nach einer Beziehung. Jedenfalls nicht im Augenblick.«
»Natürlich. Ich auch nicht. Es wäre völlig ohne Verpflichtungen. Nur du und ich und Danny und der junge Mr. Billings.«
»Bitte nicht!«, sagte sie scheinbar entsetzt, um mich dann anzulächeln. »Also gut, das wäre wirklich schön. Ohne Verpflichtungen. Ich kann übrigens kochen. Wenn du die Zutaten bezahlst, kann ich gerne was kochen. Du musst mein Chili probieren.«
»Das wäre mal was anderes. Seit Janie mich verlassen hat, haben wir beide uns von indischem Service-Fraß ernährt.«
Danny kam aus dem Haus gestürmt und wirbelte einen Schneebesen durch die Luft. Entweder stellte dieser ein Motorboot mit zwei Schrauben oder ein doppelläufiges Gewehr dar.
»Danny«, sagte ich. »Was würdest du sagen, wenn Liz bei uns wohnt? Würde dir das was ausmachen.«
Danny blieb stehen, dachte kurz darüber nach und antwortete: »Einverstanden.«
Dann lief er weiter.
Ich nahm Liz am Ellbogen und brachte sie zurück ins Haus. »Jetzt werden wir dir erst mal ein Zimmer suchen.«
Wir gingen nach oben. Es gab insgesamt sieben leer stehende Schlafzimmer, aber nur drei von ihnen verfügten über ein Bett, und nur in zwei Betten lag eine Matratze. Liz ließ sich auf eine der Matratzen fallen und beschloss, das Zimmer zu nehmen, das meinem gegenüberlag. Es gab keine weiteren Möbelstücke dort, wenn man von dem billigen Nachttisch und einem schmuddelig aussehenden Sessel absah. Aber es schien ihr nichts auszumachen. Ich schätzte, dass dies hier immer noch besser war als das leer stehende Wollgeschäft.
»Wir können den Raum herrichten. Anstreichen, ein paar Gardinen aufhängen«, sagte ich. »Siehst du, von hier hast du einen schönen Blick auf den Bereich vor dem Haus und auf die Einfahrt.«
Sie warf ihren Turnbeutel auf das Bett. »Das ist großartig. Ich könnte ein paar Poster aufhängen.«
Gemeinsam kehrten wir in den Korridor zurück. »Weißt du, du hättest das nicht tun müssen«, sagte sie über die Schulter zu mir. »Und wenn ich dir auf die Nerven gehe, dann sei so gut und leide nicht stumm. Sag einfach >Raus< oder >Lebwohl< oder sogar >Zieh Leine<. Das macht mir nichts aus.«
Sie redete weiter und stieg vor mir die Treppe hinunter. Als ich auf der Höhe der kleinen Tür zum Dachboden war, hatte ich das Gefühl, ein Kratzen zu hören, so als habe sich ein schweres Tier von der anderen Seite gegen die Tür gepresst, um schnell und leise nach oben zu eilen, als es gehört hatte, dass wir näher kamen. Nach oben in die völlige Finsternis, wo es wartete und lauschte.
An der obersten Stufe zögerte ich kurz. Das Geräusch hatte bei mir einen kalten Schauder und das Gefühl irrationaler, aber entsetzlicher Abscheu ausgelöst. Es erinnerte mich an die Ratten, die ich in der Kanalisation von Islington gesehen hatte. Aber viel größer und - wenn das überhaupt möglich war - viel schmutziger.
Liz blieb stehen und blickte mich an. »Stimmt was nicht?«, fragte sie. »Du machst einen grimmigen Eindruck.«
»Ich glaube, ich brauche noch was zu trinken«, sagte ich und folgte ihr nach unten in die Küche.
4. Der Rattenfänger
Vor dem Mittagessen gingen Liz und Danny einkaufen, um Brot, Schinken und Tomaten zu besorgen. Nachdem sie sich auf den Weg gemacht hatten, saß ich eine Weile im riesigen leeren Salon im Sonnenschein, in dem Staubpartikel umhertanzten, und rief die Kreisverwaltung der Isle of Wight an.
»Ich habe hier eine Ratte. Vielleicht auch ein Eichhörnchen. Aber es klingt eher nach einer Ratte.«
»Tja, das tut mir Leid. Schädlinge fallen nicht mehr in unsere Zuständigkeit. Sie wissen schon, wegen der Einsparungen. Sie müssen sich einen privaten Schädlingsbekämpfer suchen.«
»Können Sie mir jemanden empfehlen?«
»In Bonchurch? Sie könnten es bei Harry Martin versuchen. Er lebt in Shanklin Old Village, das ist nicht allzu weil entfernt.«
»Sie haben nicht zufällig seine Telefonnummer?«
»Nein ... um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass er überhaupt ein Telefon besitzt.«
Liz bereitete ein Picknick aus Sandwiches mit Cheddarkäse und Schinken zu, das wir auf dem Rasen unter einem heißen, diesigen Himmel zu uns nahmen. Liz redete am meisten von uns allen. Sie war offen und direkt, und sie war wirklich witzig. Sie wollte in einer öffentlichen Verwaltung arbeiten. Sie war keine Marxistin-Leninistin, andererseits war sie aber auch keine zweite Margaret Thatcher.
Sie war überzeugt, dass sie etwas bewirken könne. »Daran glaube ich ganz fest«, sagte sie voller Begeisterung. Sie glaubte wirklich daran. In diesem Alter meint jeder, dass er etwas bewirken kann.
»Ich möchte einfach nur ein Genie sein, weiter nichts«, sagte Liz. »Ein berühmtes Genie. Ich möchte im Fernsehen auftreten und mit einem breiten deutschen Akzent reden, während ich über den Zustand der Gesellschaft spreche.«
»Und wie ist dieser Zustand?«
Sie legte sich auf den alten braunen Vorhang, den ich ersatzweise als Picknickdecke aus dem Haus geholt hatte, und trank den kalten Frascati direkt aus der Flasche. »Der Zustand der Gesellschaft ist der, dass die Männer die Frauen wie Göttinnen verehren, bis sie sie in ihre Klauen bekommen haben. Dann nutzen sie sie aus, missbrauchen sie, schlagen sie und schmähen sie. Und je mehr die Frauen ausgenutzt,