missbraucht, geschlagen und geschmäht werden, umso mehr gefällt es ihnen.«
»Gefällt es dir?«, fragte ich sie.
»Nein, beim besten Willen nicht. Andererseits hat mich ja auch noch niemand in seine Klauen bekommen.«
»Nicht alle Männer sind ungehobelt und schlagen ihre Frauen.«
»Die, die es wert sind, leider schon. Das ist die schreckliche Ironie dabei.«
Ich setzte mich auf und sah zu Danny, der am Fischteich spielte. »Pass auf, Danny, das Wasser ist tiefer als es aussieht.«
»Du betest ihn wirklich an, nicht wahr?«, fragte Liz, während sie ein Auge zukniff, um die Sonne abzuwehren.
»Natürlich.«
»Und seine Mutter liebst du nicht?«
»Aul gewisse Weise immer noch. Aber was bringt's? Sie lebt jetzt in Durham. Mit einem bärtigen Kerl namens Raymond.«
Liz nickte. »Ich weiß, was du meinst. Ich kannte auch mal einen Kerl, der Raymond hieß. Er war völlig nutzlos. In der Schule gab er sein Essensgeld an die Bedürftigen, und dann ging er rum und schnorrte den anderen Leuten deren Sandwiches ab. Er hielt sich für einen Heiligen.«
»Vielleicht wärer das ja auch.«
Liz lachte. »Ein schöner Heiliger. Nachdem er von der Schule abgegangen war, wurde er auf dem Dach eines Lagerhauses in South Croydon erwischt, als er Fernseher stehlen wollte.«
Ich aß mein Sandwich zu Ende, nahm die Flasche Wein und trank einen großen kalten Schluck. »Ich muss heute Nachmittag nach Shanklin Village fahren, um mit einem Rattenfänger zu reden. Oder mit einem Schädlingsbekämpfers wie man heute so schön sagt.«
»Darf ich mitkommen?«
»Mir wäre es lieber, wenn du auf Danny aufpassen könntest. Oder würde dir das was ausmachen?«
Liz schüttelte lächelnd den Kopf. »Liebend gerne. Er ist süß. Er hat mich gefragt, ob ich dich liebe. Ich glaube, wir werden sehr gut miteinander auskommen.«
»Hast du jüngere Geschwister?«
Das Lächeln wich aus ihrem Gesicht, während sie ihr Haar zurückstrich. »Ich hatte einen jüngeren Bruder. Marty hieß er. Aber es brach ein Feuer aus. Ein alter Ofen stürzte um, und er verbrannte. Er war gerade vier Jahre alt. Meine Eltern sind darüber fast verrückt geworden.«
»Das tut mir Leid«, sagte ich so sanft ich konnte.
Sie verzog den Mund. »Es ist nicht mehr zu ändern.«
»Was hältst du von der Geschichte, die uns Doris aufgetischt hat?«, wechselte ich das Thema.
»Uber den alten und den jungen Mr. Billings? Das fand ich toll. Aber solche Geschichten hört man immer über alte Häuser. Bei uns in der Straße gab es auch so ein Haus ... >The Laurels< hieß es. Die alte Frau, die dort gelebt hatte, war an Krebs gestorben, und wir Kinder glaubten alle, dass man ihr Gesicht immer noch sehen könne. An eines der oberen Fenster gepresst, ganz blass, mit weißen Haaren, während sie schrie, dass wir Kinder aus ihrem Garten verschwinden sollten. So, wie sie es immer gemacht hatte, als sie noch am Leben gewesen war. Bloß dass man sie hinter dem Fenster nicht hören konnte. Wir haben uns vor Angst verrückt gemacht.«
»Heute Morgen habe ich jemanden gesehen. Ich sah durch das Fenster der Kapelle hierher, und da stand jemand auf der Wiese, exakt hier.«
Liz schloss die Augen. »Komm schon, David. Das kann doch jeder gewesen sein.«
Es war schön zu hören, wie jemand meinen Namen aussprach. Das ist der einzige Luxus, der einem wirklich fehlt, wenn man allein ist.
Danny nannte mich immer >Daddy<, und >Daddy< war ja auch in Ordnung. Aber nichts war so gut wie Liz, wenn sie >David< zu mir sagte.
»Ich mache mich jetzt besser auf den Weg«, sagte ich zu ihr. »Und danke für die Sandwiches.«
Sie ließ sich wieder auf den alten braunen Vorhang sinken und sah mich mit zugekniffenen Augen an. »War mir ein Vergnügen, Monsieur. Was möchtest du zum Abendessen?«
»Wie wär's mit dem Chili, von dem du gesprochen hast?«
»Gerne. Kannst du eine Dose Kidneybohnen holen? Und Kümmel und Chilipulver?«
»Sonst noch was? Etwas Fleisch wäre doch auch nicht verkehrt, oder?«
Sie lachte. Wenn ich heute zurückblicke, dann glaube ich, dass es dieses Lachen gewesen ist, das mich dazu bewegte, meine Liebe zu Janie aufzugeben. Es gab auch noch andere Frauen auf der Welt. Vielleicht nicht unbedingt Liz, sondern andere Frauen, die lachen konnten und die liebenswürdig waren. Und die sich vielleicht auch um Danny kümmern wollten.
»Gehacktes«, sagte sie. »Nicht zu fett.«
Ich ging durch den Garten zum Haus zurück und bemerkte dabei eine fahle Gestalt hinter einem der Fenster im Obergeschoss. Eine fahle Gestalt, die mich beobachtete.
Ich weigerte mich, den Kopf zu heben und diese Gestalt anzusehen. Was Fortyfoot House nötig hatte, war eine gehörige Portion Skepsis - ein Verneinen durch geistig gesunde und sensible Menschen, dass Männer in Frack und hohem Zylinder umherlaufen, wenn sie seit hundert Jahren tot sind, ein Verneinen, dass haarige kichernde Dinge sich auf dem Speicher tummeln oder dass fahle Gesichter durch die Fenster starren.
Was mich anging, war Fortyfoot House nichts weiter als ein Wirrwarr aus Vorwürfen und Erinnerungen und Halluzinationen. Vielleicht war es nicht der geeignetste Platz für mich, wenn man meine Trennung von Janie und meine recht instabile Verfassung berücksichtigte. Aber da gab es nichts Böses oder Verfluchtes. Ich glaubte nicht an das »Böse«, nicht um seiner selbst willen. Und ich glaubte auch nicht an
Gespenster. Ich hatte gesehen, wie mein Vater in seinem Sarg zu den Klängen von The Old Rugged Cross hinter den roten Vorhängen des Worthing-Krematoriums verschwunden war. Und obwohl ich zu Gott gebetet hatte, er möge ihn auferstehen lassen, hatte ich ihn seitdem nirgends entdecken können. Ich war ihm nicht in der Bibliothek von Brighton begegnet und ich hatte ihn nicht mit seinem Bullterrier am Strand entdeckt, wo er immer spazieren gegangen war. Quod erat demonstrandum, dachte ich. Jedenfalls traf das auf mich zu.
Während ich aber im Schein der Sonne, die geradewegs aus 12 Uhr mittags hätte stammen können, die Stufen der Veranda hinaufging, sah ich kurz nach oben. Das blasse Ding war noch immer da. Spiegelte sich dort etwas? War es ein Vorhang?
Ich betrat das Haus und nahm meine Brieftasche und die Schlüssel. Dabei kam ich mir vor wie ein Eindringling, fast schon wie ein Einbrecher. Meine Schritte klangen unnatürlich laut und zaghaft. Fortyfoot House gehörte einem anderen, aber nicht mir oder Danny. Es gehörte nicht mal den Tarranis.
Ich sah mich um, während ich den Staub und die Feuchtigkeit und den Geruch von Schimmelpilzen im Keller einatmete.
»Hallo?«, rief ich. Dann noch einmal, aber lauter: »Hallo?«
Keine Antwort. Ich sprach ein kurzes Gebet, das mir in der Sonntagsschule von Miss Harpole beigebracht worden war, der Lehrerin mit ihrem Dutt wie Olivia Ol und ihrer blinden Brille.
»Jesus, schütz mich vor den Klauen der Dinge aus der Tiefe Grauen. Jesus, schütz, wenn ich nicht wach, mich vor der Hölle Drach'.«
Das Gebet ging noch weiter, aber ich konnte und wollte mich nicht mehr daran erinnern. Um ehrlich zu sein, hatte es mir damals eine Höllenangst verursacht. Die normalen Albträume waren für einen Fünfjährigen schon schlimm genug, ohne dass ihm eine Miss Harpole noch erzählen musste, die Schatten unter seinem Bett wollten ihn in Stücke reißen.
Ich verließ das Haus, ohne die Vordertür hinter mir zuzuziehen. Ich war sicher, dass ich ein schrilles Kratzen hörte, das von einem der Fenster im Obergeschoss kam, doch ich ging unbeirrt weiter zum Wagen und weigerte mich, einen Blick zurückzuwerfen.
Ich startete den Motor. Mein verschossener bronzefarbener Audi war elf Jahre alt und wieherte wie ein Pferd, bis er ansprang. Bevor ich die Handbremse löste, fasste ich genug Mut, um zum Haus zu sehen. Aber außer dunklen Fenstern und einem sonderbar winkligen Dach war da nichts. Ich wartete noch einen Moment länger, dann lenkte ich den Audi hinauf zur Straße.