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»Warum sind Sie hergekommen?«

»Ihr Junge«, knurrte er.

»Danny?«

»Genau. Nachdem Sie gestern bei mir gewesen sind, bin ich nach Bonchurch spaziert, um mir das Haus noch einmal anzusehen. Um meine Erinnerung aufzufrischen. Seit zwei oder drei Jahren war ich nicht mehr hier. Vielleicht sogar noch länger. Ich bin am Gartentor stehen geblieben und habe Ihren Sohn am Teich spielen sehen. Er hatte mir den Rücken zugewandt, und für eine Sekunde ...« Er machte eine Pause und schluckte heftig, während sein Adamsapfel auf und ab tanzte. »Für eine Sekunde glaubte ich, er sei mein Bruder William.«

Er musste weiter nichts erklären. Ich öffnete die Tür zum Dachboden, er schaltete seine Taschenlampe ein. »Nach Ihnen«, sagte ich. »Aber passen Sie bloß auf.«

Harry bemerkte den Luftzug, der uns aus der Dunkelheit entgegenschlug. »Ich kann keine Ratte riechen«, sagte er.

»Wie riechen denn Ratten üblicherweise?«

»Oh, das lernt man mit der Zeit. Sie riechen nach Pisse und Sägemehl und irgendetwas anderem, irgendetwas für Ratten Typischem, wie eine Mischung aus Tod und Babys.«

»Benutzen Sie nicht Ihren Hammer?«, fragte ich.

»Nicht jetzt. Jetzt will ich mich nur umsehen. Ich möchte abschätzen, worauf ich mich einstellen muss.«

»Eine verdammt große Ratte, so groß wie ein Cockerspaniel, glauben Sie mir«, warnte ich ihn.

Schwerfällig stieg er die Stufen hinauf und erkundete mit dem Strahl seiner Taschenlampe die Dunkelheit. Ich folgte dicht hinter ihm, auch wenn ich alles darum gegeben hätte, wieder nach unten und raus in den Sonnenschein gehen zu können. Was, wenn das Mädchen noch hier oben war? Wenn es real gewesen war, wenn man es entführt, missbraucht und ermordet hatte? Wie sollte ich das irgendjemandem erklären?

Was, wenn die Geschichten stimmten? Wenn Brown Jenkin eine Bestie war und Kinder verschleppen konnte? Mein einziger Schutz war ein schnaufender 67-jähriger Rattenfänger mit einer Taschenlampe.

Feigling, schimpfte ich mich tonlos aus. Aber dann dachte ich, dass es stimmte. Ich schämte mich nicht dafür, Angst zu haben.

Harry hatte die oberste Stufe erreicht und lehnte sich gegen das Geländer, um sich umzusehen, während der Strahl seiner Taschenlampe jeden Winkel erhellte. Ich entdeckte ein ungesund aussehendes Schaukelpferd, dessen gelbes Glasauge leuchtete, die Mähne war im Lauf der Zeit vom beständigen Zerren durch Kinderhände ausgedünnt worden. Ich sah kleine Tische, auf denen sich alte Bücher stapelten. Von weit weg hörte ich Danny im Garten lachen, während Liz hinter ihm herjagte.

»Letzte Nacht war hier oben die Hölle los«, sagte ich zu Harry. »Lichtblitze, Geräusche ... und das kleine Mädchen. Oder was ich für ein kleines Mädchen gehalten habe.«

Harry griff hinter sich und umfasste meine Hand. »Sie müssen sich nicht entschuldigen, mein Freund. Sie wissen, was real ist und was nicht. So wie ich weiß, was meinen Bruder verschleppt hat. Einige Dinge weiß man einfach, ganz egal, was andere sagen. Vielleicht kann ich keine Ratten riechen, aber ich kann Brown Jenkin riechen.«

»Was wollen Sie unternehmen?«, fragte ich ihn.

»Ich werde mich gründlich umsehen«, antwortete er. »Selbst die klügste Ratte hinterlässt Spuren.«

»Passen Sie bloß auf sich auf, ja?«

Ich wartete auf der Treppe, während Harry über den Dachboden schlurfte, Laken anhob und Möbelstücke zur Seite schob. »Kein Rattendreck«, sagte er nach einer Weile. »Normalerweise findet man ihre Hinterlassenschaften.«

»Vielleicht ist es ja gar keine Ratte«, gab ich zu bedenken.

»Alle Schädlinge hinterlassen ihren Dreck«, erwiderte Harry. »So wie die Menschen immer Müll hinterlassen.«

Mit einem Mal dachte ich an die Verpackung des Schokoriegels, die ich gestern während der Fahrt aus dem Fenster geworfen hatte, und fühlte mich schuldig.

Harry stöberte weiter umher. Sehen konnte ich ihn nicht, er befand sich in der entferntesten Ecke des Dachbodens, über meinem Schlafzimmer. Hin und wieder sah ich den Lichtkegel seiner Taschenlampe, mehr aber auch nicht.

»Augenblick mal«, sagte Harry. »Hier ist ein Dachfenster, aber ich sehe keinen Himmel.«

Ich ging bis zur obersten Stufe, um ihn sehen zu können. Er stand an der Stelle, unter der mein Schlafzimmer lag, und hatte seine Lampe auf ein kleines zweigeteiltes Dachfenster in der abfallenden Decke gerichtet.

»Keine Ahnung, was das ist«, sagte ich. »Wenn man das Haus von außen betrachtet, dann sieht es so aus, als wäre ein Teil des Dachbodens abgetrennt worden.«

Harry dachte über meine Worte nach. »Das heißt, dahinter befindet sich etwas?«

»Offensichtlich ja. Zwischen dem alten und dem neuen Dach.«

»Groß genug, dass sich etwas darin verstecken könnte?«

»Ja, aber keine Ratte. Wie sollte ein Ratte ein Dachfenster öffnen und schließen?«

Harry richtete die Taschenlampe auf sein Gesicht. Es sah gespenstisch aus, wie eine Totenmaske, die mitten in der Dunkelheit schwebte. »Das ist die Frage. Und ich habe noch eine Frage: Wie konnte sich eine Ratte mit meinem Bruder aus dem Staub machen?«

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte, dass er Brown Jenkin so

schnell wie möglich fand. Obwohl ein ständiger Luftzug herrschte, hatte der Speicher etwas unglaublich Erdrückendes an sich. Es war eher so, als würde man sich drei Etagen unter der Erde befinden, nicht über ihr.

Harry stocherte umher und bewegte weitere Möbelstücke. »Sieht so aus, als müssten wir noch mal von vorne anfangen«, sagte er zu mir. »Keine Ratte zu sehen, auch kein Eichhörnchen. Nichts.«

»Ich weiß, dass ich etwas gesehen habe«, beteuerte ich. »Es war struppig und dunkel und ist an mir vorübergehuscht.«

Es folgte eine lange Pause, dann sagte Harry: »Ich glaube Ihnen. Ich kenne einige Leute, die Ihnen nicht glauben würden.«

Über eine Minute lang stand er einfach da und starrte in die Dunkelheit, dann richtete er seine Taschenlampe wieder auf das Dachfenster. »Ich schätze, ich muss da mal einen Blick hineinwerfen. Vielleicht bringt uns das weiter.«

»Ich bezweifle, dass es aufgeht«, sagte ich. Trotzdem zog er eine der Holzkisten zu sich, auf die er klettern konnte, um den altmodischen Riegel am Dachfenster zu erreichen. Zweioder dreimal musste er mit dem Handballen gegen das Dachfenster schlagen, dann sprang es tatsächlich auf. Er öffnete es, so weit es ging, und befestigte es dann an einer rostigen Stange.

»Hier riecht es anders«, meinte er, während er seinen Kopf durch das Dachfenster steckte und mit der Taschenlampe den Raum dahinter beleuchtete. Auch wenn Harry mir die meiste Sicht nahm, konnte ich genug erkennen, um den Eindruck zu gewinnen, dass jemand ohne große Erfahrung im Mauern in aller Eile das Dach zugemauert hatte.

»Die alten Dachziegel sind noch hier«, rief Harry mir zu. »Mir fällt ums Verrecken keine Erklärung ein, warum jemand dieses Stück abgetrennt hat. Scheint einfach keinen Sinn zu ergeben.«

»Ein Schlafzimmerfenster ist ebenfalls zugemauert worden.«

»Ach, verdammt«, sagte Harry. »Ich schätze, wir müssen noch mal ganz von vorne anfangen.«

Er wollte gerade von der Kiste heruntersteigen, als er plötzlich seine Taschenlampe fallen ließ. Sie schlug auf dem Boden auf, ging aber nicht aus. Stattdessen traf ihr Strahl auf die verstaubte Oberfläche eines Spiegels, der das Licht reflektierte und eine Ecke des Dachbodens unheimlich erhellte.

Ich wollte gerade zu ihm gehen und die Taschenlampe aufheben, als er ein ungewöhnliches Geräusch machte, als zerreiße man ein Stück Stoff. Ich sah nach oben und entdeckte zu meinem Entsetzen, dass sich seine Haare verfangen hatten und er erfolglos versuchte, sich zu befreien. Er drehte sich und trat mit einem Bein um sich, woraufhin die Kiste, auf der er stand, ins Wanken geriet und geräuschvoll umkippte.