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»Harry!«, schrie ich und versuchte, seine Beine zu fassen und ihn zu stützen.

Mit aufgerissenem Mund starrte er mich an, aber es schien, als könne er nichts sagen.

»Harry? Was ist los?«, fragte ich ihn. Ich bekam sein linkes Bein zu fassen, während er wie verrückt mit dem rechten zappelte. »Versuchen Sie, sich nicht zu bewegen!«

Harrys Kopf wurde hin-und hergerissen, seine Stirn schlug mit großer Wucht gegen den Rahmen. Ich sah Platzwunden und Blut. Dann hörte ich wieder das Geräusch von reißendem Stoff, und im gleichen Moment spannte sich Harrys Gesicht an, seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, seine Nasenlöcher weiteten sich, seine Oberlippe klappte auf groteske Weise nach oben.

»Harry!«, schrie ich außer mir.

Seine Gesichtshaut wurde immer weiter nach oben gezogen, bis er mich schließlich mit einem verzerrten Ausdruck und einem monströsen hämischen Grinsen anstarrte.

Wieder war das durchdringende Krachen und Reißen zu hören, und plötzlich verstand ich, woher es kam. Harrys Haut

wurde nach und nach von seinem Schädel gerissen. Das Krachen stammte vom Fettgewebe und von Knorpeln, die von den Knochen gezerrt wurden. Und das Reißen stammte von den Haarwurzeln.

Ich bekam sein anderes Bein zu fassen und konnte ihn stabilisieren. Langsam zog ich ihn nach unten, um ihn von dem zu befreien, was ihn im Griff hatte. Er schrie aber so gellend, dass ich nicht anders konnte, als ihn loszulassen. Die Haut wurde ihm vom Kopf gerissen, so wie von einem rohen Hühnchen, und ich konnte nichts dagegen machen.

»Liz!«, schrie ich. »Liz!«, Aber sie war draußen im Garten und konnte mich unmöglich hören. In Panik stellte ich die Kiste wieder auf, auf der Harry gestanden hatte, und nahm sein ganzes Gewicht in meine Arme. Er zappelte so heftig, dass ich nicht sehen konnte, was hinter dem Dachfenster vor sich ging. Ich konnte nicht erkennen, was ihn festhielt und wie seine Haut von seinem Schädel gerissen wurde. Dann aber machte er eine heftige Bewegung nach vorne. Klebriges und heißes Blut regnete auf mich herab, doch in dem roten Dickicht seiner Haare sah ich drei geschwungene schwarze Krallen, die wie Klingen glänzten. Sie hatten sich durch seine Kopfhaut gebohrt und dann seinen Skalp immer und immer wieder gedreht, sodass seine Haut von seinem Gesicht gezogen wurde.

»Harry, halten Sie durch«, flehte ich ihn an.

Er starrte mich mit blutunterlaufenen Augen an. Seine Haut war am Kinn aufgerissen, und plötzlich rutschte seine Zunge hinter der losgelösten Haut nach unten und glitt durch die blutige Öffnung unter seine Unterlippe. Es sah so aus, als hätte er auf einmal zwei Münder. Dann schob sich sein ganzes Gesicht mit einem zähen Geräusch nach oben, so wie ein blutiger Handschuh, der abgestreift wird. Ich blickte auf einen haut-und fleischlosen Schädel, Augen ohne Lider, Zähne, die aus dem blutig rohen Kiefer herausragten, um ein letztes Lächeln zu zeigen. Der lebende Tod mit dem gespenstischen Lächeln unerträglicher Qualen, einem wissenden Lächeln, dass der Kampf bald vorüber sein würde.

Ich schwankte, verlor auf der Kiste meinen Halt und musste nach unten springen. Harry hing noch immer an dem Dachfenster, er ruderte mit Armen und Beinen, doch auf eine nachlässige, ergebene Weise. Wie ein Schwimmer, der zu müde ist, um sich über Wasser zu halten. Ich hatte das Gefühl, dass er einfach nur versuchte, das Blut aus seinem verwüsteten Kopf zu pumpen, um endlich zu verbluten, ohne zu viel Schmerzen zu erleiden.

»Liz«, flüsterte ich.

Dann wirbelte Harry herum und sackte zu Boden. Zitternd lag er in seinem Rattenfängeranzug auf der Seite, während ich einen Blick nach oben zum Dachfenster warf. Das Glas war blutüberströmt, und überall an der Decke waren dunkle Blutspritzer zu sehen.

»Harry«, sagte ich und berührte seine blutgetränkte Schulter. »Harry, ich rufe einen Krankenwagen. Bleiben Sie ganz ruhig liegen, Harry. Bewegen Sie sich nicht.«

Er starrte mich mit seinen blutigen Augen an.

»Ich... ich...« Er atmete schwer, während sich seine fleischlosen Lippen schwach bewegten.

»Schon gut, Harry«, versicherte ich ihm. »Alles ist in Ordnung. Aber bleiben Sie bitte ruhig liegen. Ich bin in ein paar Minuten zurück.«

»Ich...«, wiederholte er. Seine Augen waren wie erstarrt, weil er keine Lider mehr hatte, die er über sie hätte gleiten lassen können.

Ich eilte die Speicherstufen nach unten und stürmte in die Küche.

Liz stand in der offenen Tür. »David? Was ist los?«, fragte sie.

»Harry ... der Rattenfänger. Er hatte einen Unfall.« Ich riss den Hörer hoch und tippte den Notruf ein.

»Was kann ich für Sie tun?«, ertönte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Einen Krankenwagen, schnell! Fortyfoot House in Bonchurch.«

Liz bewegte sich auf die Treppe zu. »Was ist passiert?«, fragte sie. »Soll ich ...« »Nein!«, schrie ich sie an.

Sie blieb stehen, ihre Augen weiteten sich, und dann verstand sie, was geschehen war.

»Sir, geben Sie mir bitte Ihre Nummer?«, forderte die Stimme mich auf. »Sir?«

7. Sweet Emmeline

 Detective Sergeant Miller kam hinaus in den Garten und wischte sich den Staub von seinem zerknitterten grauen Anzug. Er erinnerte eher an einen Museumsdirektor als an einen Polizeibeamten - rosafarbene Haut, schütteres strohblondes Haar, wasserblaue Augen hinter kreisrunden Brillengläsern. Er trug eine Krawatte des Isle of Wight Yacht Club und hatte sich eine rosafarbene Rose ans Revers gesteckt.

Ich weiß nie so recht, was ich von Männern halten soll, die Blumen am Revers tragen - nicht etwa, weil ich sie für schwul halte, sondern weil ich bei ihnen immer den Eindruck habe, dass sie sich die adretten Jungs der fünfziger Jahre zum Vorbild nehmen: schicke Blazer und Seidenkrawatten mit Hufeisenmuster. Die adretten Jungs der fünfziger Jahre (wie mein Vater und mein Onkel Derek) hatten üblicherweise eine von Armut geprägte, unglückliche Kindheit hinter sich und glaubten, dass Blazer und Seidenkrawatten (und Rosen am Revers) sie automatisch zu Männern von Stil machten.

»Sie müssen sich keine Vorwürfe machen, Mr. ... ähm ...?«, sagte er mir, während er sich im Garten umsah. »Es war ein Unfall, weiter nichts.«

»Ich sage Ihnen doch, ich habe Klauen gesehen.«

Mit der Fingerspitze drückte er seine Nase, um ein Niesen zu unterdrücken, aber dann musste er doch niesen. »Tut mir

Leid, Heuschnupfen«, sagte er, während er ein Taschentuch hervorholte.

»Ich weiß nicht, wie das ein Unfall gewesen sein soll«, sagte ich.

Nachdem er seine Nase geschnäuzt hatte, sah er mich so kurz an, als wolle er mir eigentlich nicht in die Augen blicken. »Auf diesem Dachboden gibt es eine ganze Menge hässlicher Haken. Er ist an einem von ihnen hängen geblieben, es war ein Unglück, nichts weiter. Er hat seinen Halt verloren, ist umhergewirbelt und hat sich dabei die Haut vom Kopf gerissen. Das ist alles. So was sehe ich nicht zum ersten Mal. Letztes Jahr ist ein Kerl mit seiner Hand in eine Drehbank geraten, drüben am Blackgang-Sägewerk. Das Ding hat ihm die Haut - ratsch - bis zum Ellbogen abgerissen.«

Ich legte meine Hand vor den Mund. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Ich war sicher, dass ich gesehen hatte, wie sich geschwungene schwarze Klauen in Harrys Kopf gebohrt hatten. Ich war sicher, dass irgendetwas da oben auf dem Speicher war, das ihm die Haut vom Kopf gerissen hatte. Wie sollte das ein Unfall gewesen sein? Wie sollte er sich so verfangen, dass ihm das ganze Gesicht einfach weggerissen wurde?