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Danny >flog< noch immer mit ausgebreiteten Armen über den Friedhof, begann sich dann aber dem Mädchen zu nähern, senkte die Arme und blieb stehen. Ich konnte sehen, dass sie sich unterhielten.

»Sehr gesund sieht sie nicht gerade aus, wie?«, bemerkte Liz.

Ich stellte meine Bierdose auf die Mauer und stand auf. Danny und das kleine Mädchen waren zu weit entfernt, als dass ich ihre Gesichter deutlich hätte sehen oder hätte hören können, was sie sprachen. Aber mit einem Mal ergriff eine unerklärliche Panik von mir Besitz. »Danny!«, rief ich, während ich über den Rasen zur Kapelle ging.

Danny drehte sich um und sah mich an, dann unterhielt er sich weiter mit dem Mädchen. »Danny!«, brüllte ich, während ich meine Schritte immer mehr beschleunigte.

»Danny, komm her!«

Ich lief an der Sonnenuhr vorbei. Hinter mir hörte ich Liz etwas rufen, aber das Geräusch des Windes und mein eigenes Atmen waren so laut, dass ich zunächst nicht verstand, was sie rief.

Erst als ich den Bach erreicht hatte und wieder zur Kapelle sah, verstand ich, was sie mir hatte sagen wollen. Zwischen den Türen der Kapelle waren die weiße Manschette und der schwarze Ärmel eines Mannes aufgetaucht, dessen Hand auf der Schulter des kleinen Mädchens ruhte. Das Mädchen drehte sich um, hob den Kopf und machte den Eindruck, als sage es etwas. Verstehen konnte ich davon nichts. Danny zog sich zwei, drei Schritte zurück, dann wurde er schneller, bis er in seiner Eile fast über einen Grabstein stolperte.

Ich trat in den eiskalten Bach, kletterte über die moosbedeckte Mauer und sprang in das hohe Gras des Friedhofs.

»Danny!«, rief ich. Er stand ein Stück von mir entfernt, eine Hand hatte er fest auf einen Grabstein gepresst. Er drehte sich um und sah mich ernst an. »Ich bin hier drüben, Daddy.« Die Kapellentüren waren so fest verkantet wie zuvor, doch das kleine Mädchen war verschwunden.

Ich ging zu Danny und legte ihm eine Hand auf die

Schulter. Auf dem Friedhof war es ungewöhnlich ruhig und windstill. Grillen zirpten, blaue Schmetterlinge tanzten um die Kreuze.

»Mit wem hast du geredet?«, fragte ich Danny.

»Mit Sweet Emmeline.«

»Sweet Emmeline? Das ist ein komischer Name.« Ich blickte zurück. Liz kam auch herübergelaufen. »Und wer war der Mann? «

»Der, den wir schon mal gesehen haben. Er hat gesagt: »Komm, Sweet Emmeline, wir müssen jetzt gehen.< Mehr nicht. Er hatte einen Hut auf.«

Oh Gott, nicht der junge Mr. Billings!

»Du meinst den schwarzen Hut? Den hohen schwarzen Hut?«

»Genau«, sagte Danny und hielt seine Hände hoch über den Kopf. »Den großen schwarzen Hut, der wie ein Schornstein aussieht. Sweet Emmeline hat mich gefragt, ob ich mit ihnen spielen will.«

»Mit ihnen? Hat sie gesagt, wer die anderen sind?«

Meine Fragen schienen Danny zu langweilen. Trotzdem schielte er ständig hinüber zur Kapelle, als fürchte er sich vor dem, was plötzlich dort zum Vorschein kommen mochte. Bauz! Da geht die Türe auf, Und herein in schnellem Lauf, Springt der Schneider in die Stub´, Zu dem. Daumen-Lutscher-Bub. Er schien so verwirrt und verunsichert wie ich darüber, dass Sweet Emmeline problemlos durch diese Türen hatte kommen können. Immerhin war das uns beiden nur gelungen, nachdem ich sie mit meiner Schulter und sehr viel Kraft einen Spaltbreit hatte öffnen können.

»Lebt sie im Dorf?«, fragte ich Danny.

»Sie hat nicht gesagt, wo sie lebt.«

»Und sie hat dir nicht gesagt, wer ihre Freunde sind?«

Er schüttelte den Kopf.

»Und sie hat nicht gesagt, wer der Mann ist, der sie mitgenommen hat?«

Wieder ein Kopfschütteln. Aber dann sah er mich an, und ich konnte in seinen Augen Verständnislosigkeit und Beunruhigung erkennen.

»Sie hatte Würmer in ihren Haaren. Als sie sich umgedreht hat, waren rote Würmer in ihren Haaren.«

Oh Jesus, dachte ich. Was ist hier los?

Liz betrat den Friedhof durch das Tor. Ich nahm Danny auf den Arm und drückte ihn an mich. »Wahrscheinlich war Sweet Emmeline ein Zigeunermädchen, weißt du? Die waschen sich nicht sehr gründlich.«

Danny klammerte sich an mich, sagte aber nichts. Liz kam zu uns und sah sich um. »Wo sind sie hin?«

Ich schüttelte den Kopf und versuchte ihr zu bedeuten, dass sie nicht weiterreden sollte. Doch sie verstand mich nicht. Sie ging zur Kapelle und versuchte, die Tür zu öffnen. »Hier durch kann sie wohl kaum verschwunden sein.«

»Danny und ich haben uns auch schon da durchzwängen können, nicht wahr, Danny?« Ich fühlte seinen spitzes kleines Kinn an meiner Schulter, als er nickte.

»Na, dann sollten wir doch mal sehen, ob sie dort sind«, schlug Liz vor.

Wieder wollte ich ihr mit einem lautlosen Nein zu verstehen geben, dass sie aufhören solle, doch Danny drehte sich um und sagte: »Ja, das machen wir.«

»Bist du sicher?«, fragte ich ihn. Wieder nickte er und rieb sich die Augen.

Ich ließ Danny wieder zu Boden und ging auf die Doppeltür der Kapelle zu. Liz hielt Danny an der Hand und lächelte ihm zu. Sie schien beruhigend auf ihn zu wirken. Sie wirkte auch auf mich beruhigend, weil sie nett war und weil sie hübsch war. Und weil das Leben ohne Frau immer unvollständig ist. Während ich meine Schulter gegen die Türflügel drückte, wusste ich, dass es mir bei ihr nicht nur um Sex ging, sondern dass ich ihre Weiblichkeit brauchte, so wie Danny auch.

»Drücken!«, sagte Liz, und ich drückte. Der rechte Türflügel gab ein wenig nach, und während ich ihn aufhielt, zwängten sich Liz und Danny durch die entstandene Öffnung. Ich folgte ihnen und riss mir an einem Nagel die Haut am Ann auf. Eine dünne Spur aus tiefrotem Blut bildete sich auf meiner Haut.

Die Kapelle war verlassen, sie war ein Meer aus grauen zerbrochenen Dachschindeln. Wir stapften umher, doch von Sweet Emmeline war nichts zu sehen. Auch nicht vom jungen Mr. Billings. Wie auch? Der junge Mr. Billings war seit über hundert Jahren tot, und nach Dannys Beschreibung zu urteilen, war Sweet Emmeline ebenfalls tot. Sehr tot. Tot und verwest, und in ihrem Haar hatten sich Würmer eingenistet.

Liz kam zu mir und sah mich an. »Irgendetwas stimmt hier nicht, oder? Irgendetwas ist hier sehr seltsam.«

Ich sah nach oben, wo eine 737 der British Airways über den morgendlichen Himmel donnerte, bis auf den letzten Platz besetzt mit Touristen, die auf dem Flug nach Malaga oder Kreta oder wer weiß wohin waren. Ich blickte nach unten auf den Boden der Kapelle und hinüber zu den leeren Fenstern und dem raschelnden Efeu. Es war schwer zu sagen, in welcher Zeit ich mich eigentlich befand.

»Ja«, erklärte ich. »Ich weiß nicht, was es ist, aber etwas stimmt wirklich nicht. Das ganze Haus ist seltsam. Es sieht schon seltsam aus, ist dir das aufgefallen? Es verändert ständig seine Form.«

Liz senkte den Blick. Ihre Haut hatte den unschätzbaren Glanz der Jugend, nur mit ein paar Sommersprossen gesprenkelt, so wie ein Hauch Zimt. »Wärst du sauer, wenn ich sagen würde, dass ich ausziehen möchte?«

»Willst du die Wahrheit hören?«

»Natürlich.«

»Okay, ich wäre sauer.«

Liz' Blick trübte sich, als erinnere sie sich an eine frühere ähnliche Begebenheit. Oder vielleicht sogar Dutzende Begebenheiten dieser Art. Sie war eine von diesen Frauen, die sich nie ganz einem Mann hingeben konnten. Sie war eine von diesen Frauen, die irgendwann in Selbstgespräche vertieft, einsam und mit Wärmflasche in irgendeinem Altersheim sterben würden. Scheiße, ich hasste es, darüber nachzudenken. Aber ich musste schon auf mich selbst und auf Danny aufpassen, ich konnte nicht auch für jeden anderen die Verantwortung übernehmen, schon gar nicht für eine Frau wie Liz und für die Toten wie den jungen Mr. Billings, Sweet Emmeline und Harry Martin — mein Gott, wie musste Harry gelitten haben.