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Mann ohne Gesicht, der den Trost seiner vor langer Zeit verstorbenen Mutter suchte und deshalb in einem kleinen Cottage in Great Ayton in Yorkshire erschien.

Ich suchte auch unter ZEIT und REIATTVITAT. Das meiste, was ich entdeckte, war so geheimnisvoll, dass ich es nicht mal im Ansatz verstand, auch wenn sich in The Arrow of Time einige interessante Passagen über alternative Realitäten fanden und darüber, warum es wissenschaftlich gesehen möglich ist, dass ein und dasselbe kosmische Szenario mehrere verschiedene, aber parallele Konsequenzen haben kann. Mit anderen Worten: Die Indianer hätten sich zur Wehr setzen und Amerika für sich behalten können. Und Hitler hätte ein weiset und gütiger Kanzler sein können, der Europa Frieden und Wirtschaftswachstum bescherte.

Ganz am Ende des Regals zum Thema ZEIT stieß ich auf eine von Eselsohren geprägte Ausgabe von National Geographie. Sie war vom Juni 1970, in Plastik eingeschlagen und trug einen gelben Aufkleber mit der Aufschrift ZEIT & SUMERISCHE ANTIKE, S. 85. Ich schlug die Zeitschrift auf und suchte den Artikel - >Zikkurat-Magie im antiken Sumer< von Professor Henry Coldstone II. Es ging um die Zikkurats von Babylon, die terrassenartig angelegten Türme, die rund um Ur am Euphrat erbaut worden waren.

Nicht das Thema das Artikels weckte meine Aufmerksamkeit, sondern ein grobkörniges Schwarzweißfoto mit der Unterzeile: >Sumerischer Tempel, der im August 1915 von den Türken niedergerissen wurde, weil seine Form den örtlichen Bey störte.<

Vom Tempel war wegen der schlechten Qualität des Fotos kaum etwas zu erkennen. Aber etwas an seiner Silhouette war äußerst vertraut, an der Art, wie seine Winkel dem Auge einen Streich spielten, und an den finsteren und unnatürlichen Perspektiven.

Ich hätte alles Geld - das ich nicht mehr besaß - darauf verwetten können, dass es sich um ein Foto des Dachs von Fortyfoot House handelte.

Ich überflog den Rest des Artikels in aller Eile. Die Bibliothek wurde jeden Moment geschlossen, während eine üppige Frau in einem grauen Twinset und mit Brille mich vom Tresen aus beobachtete, als wolle ich ein Buch stehlen.

Professor Coldstone stellte die These auf, dass im antiken Irak mehrere bedeutende Zikkurats errichtet worden waren, die - obwohl aus massivem Stein gebaut - in der Lage waren, ihre räumlichen Dimensionen zu ändern, und die die Babylonier benutzt hatten, um von einer Welt in die andere zu reisen.

Die Babylonier glaubten an die Existenz unendlich vieler antiker Zivilisationen, in die man sich unter Anwendung bestimmter astrogeometrischer Formeln begeben konnte, die auf den Mustern der wichtigsten Konstellationen basierten. Mathematiker der Neuzeit waren trotz des Einsatzes von Computern, die präzise Bewegungen quer durch das gesamte Universum berechnen konnten, bislang nicht in der Lage gewesen, diese Formen wieder zu erschaffen, weil sie so viele scheinbar absurde und mathematisch unmögliche Faktoren enthielten.

Professor Coldstone führte aus, dass »die Zivilisation der Sumerer auf Wissen basierte, das von einer anderen Welt jenseits der Zikkurats stammte«. Die Keilschrift der Sumerer wies keinerlei Übereinstimmungen mit irgendeiner anderen Schrift dieser Erde auf, auch wenn viktorianische Übersetzer versucht hatten, zu zeigen, dass es sich um nichts anderes als gekippte vereinfachte Piktogramme handelte. Die Götter der Sumerer und ihre Legenden zeigten keine religiösen oder anthropologischen Verbindungen zu irgendeiner anderen menschlichen Religion oder Glaubensrichtung. Bereits um 3500 vor Christus berichteten sie mit einer unheimlich anmutenden Selbstverständlichkeit von einem Ort, »an dem keine Tage gezählt werden« - ein Ort, den ihre Priester und Gelehrten vergleichsweise problemlos erreichen konnten, wenn auch nicht immer ohne Risiken. Einige der Priester verfielen durch das, was sie jenseits der Zikkurats zu sehen bekamen, dem Wahnsinn. Es gab sogar ein spezielles Symbol für den, »der gesehen hat, was jenseits wartet«. Nicht, was jenseits »liegt« oder »lebt«, sondern »wartet«. Worauf dieses Unbekannte wartete, dazu sagte Professor Coldstone nichts.

Über den von den Türken zerstörten Tempel fand ich nur wenig, lediglich eine Notiz des Bey, die besagte: »Er ist ein Zentrum des Unbehagens. In der Nacht sehen wir Lichter und hören Stimmen in Sprachen, die wir nicht verstehen können. Da sein Fortbestand die türkische Kontrolle über dieses Gebiet zu gefährden droht, habe ich angeordnet, den Tempel zu sprengen.«

Ich bat die Frau im grauen Anzug, mir den Artikel zu kopieren. »Sieht interessant aus«, sagte sie, während das grelle Licht des Kopierers die Abstellkammer beleuchtete, in der er gleich neben der Spüle, dem Wasserkessel und einem halben Dutzend Tassen aufgestellt worden war. »Zikkurats.«

»Also eigentlich sind die ziemlich langweilig«, sagte ich, während ich erfolglos versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen. Aufgewirbelter Papierstaub sank von der Nachmittagssonne beschienen zu Boden. In der Kinderecke der Bibliothek saß Danny im Schneidersitz auf dem Boden und las eine Kinderfassung von Dracula. »Warum trinken Vampire das Blut von anderen Leuten?«, fragte er mich, während wir die Stufen von der Bibliothek hinuntergingen.

»Weil sie keinen Fischgeruch mögen.«

»Nein, wirklich. Warum trinken sie Blut?«

»Das ist nur eine Geschichte, die dir Angst einjagen soll.«

»Was passiert denn, wenn ein Vampir von jemandem Blut trinkt, der AIDS hat?«

Ich blieb an der Ecke stehen, während ein Bus an uns vorbeifuhr, und sah ihn an. »Wie alt bist du?«

»Sieben.«

»Dann erzähl nicht solche Dinge. Du musst dir keine Gedanken über AIDS machen. Noch nicht, jedenfalls.«

»Aber wenn mich ein Vampir beißt, und der Vampir hat AIDS von jemandem, den er vorher gebissen hat?«

»Und was ist, wenn du mir so viele Fragen stellst, dass mein Kopf explodiert?«

Wir erreichten St. Michael's, eine bescheidene viktorianische Kirche, umgeben von Steinmauern und mit Zypressen im Kirchhof. Es war erkennbar, dass die Kirche einmal auf einem weitläufigeren Grundstück gestanden hatte. Doch ein großer Teil davon war aufgegeben worden, um die Hauptstraße zu verbreitern. So drängten sich zwanzig oder dreißig Grabsteine wie eine Zahnreihe an die Mauer, die dank der größten Bäume im Schatten lag.

In der Kirche, in der es überraschend kalt war, warf jeder unserer Schritte ein lautes Echo. Eine ältliche Frau war mit einer Blumendekoration beschäftigt, der Vikar stand auf einer Holzleiter und tauschte die Nummern der Kirchenlieder aus. Ich ging zu ihm hinüber und sagte: »Guten Morgen.«

Er schob seine Brille so weit herunter, dass er mich über den Rand ansehen konnte. Nach dem ersten Eindruck zu urteilen, schien er nicht älter als vielleicht fünfundvierzig oder fünfzig, aber er war auf dem besten Weg zur Glatze und besaß all die betulichen, übertriebenen Verhaltensweisen eines Mannes im Rentenalter. Er trug eine dicke Tweedjacke und eine abgewetzte grüne Kordhose.

»Bin sofort bei Ihnen«, sagte er, während er die letzte Karte einschob. Dann stieg er von der Leiter und sah mich an. »Kommen Sie wegen der Abflussrohre?«

»Nein, ich wollte Sie nur fragen, ob ich einen Blick auf die Aufzeichnungen der Pfarrei werfen dürfte.«

»Die Aufzeichnungen? Also, das wird ziemlich viel Arbeit werden. Abgesehen von diesem und vom letzten Jahr befinden sie sich alle im Vikariat. Kommt drauf an, welches Jahr Sie suchen.«

»Ich bin nicht sicher, aber ich nehme an, dass es vor 1875 sein muss.«

»Darf ich fragen, was genau Sie suchen, Mr. ...?«

»Williams, David Williams. Ja ... ich suche Daten über eine Hochzeit.«

»Ich verstehe. Vorfahren von Ihnen?«