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Ich fand, dass Liz müde und ein wenig ... na ja, aufgewühlt aussah, als beschäftige sie sich in Gedanken mit irgendeiner Sache. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und immer wieder strich sie ihre Haare aus der Stirn, als leide sie unter Kopfschmerzen.

»Wie war's?«, fragte ich sie, nachdem wir im Bus einen Platz gefunden hatten.

»Oh, schrecklich. Man sollte alle Touristen erschießen.«

»Na, hör mal. Keine Touristen, kein Job.«

Sie rang sich zu einem schiefen Lächeln durch. »Stimmt schon. Ich fühle mich heute nur ein wenig daneben. Ist nicht meine Periode oder so. Ich bin einfach nur müde.«

»Fortyfoot House ist ja auch nicht gerade der beste Platz für einen festen Schlaf.«

Danny ließ seine Beine schaukeln und sah in das Flackern, als die Äste der Bäume vor der Sonne vorüberhuschten. Er war noch nicht sehr oft Bus gefahren, und daher war das hier für ihn etwas Besonderes. Etwas Besonderes, dachte ich sarkastisch.

Wenn ich niemanden fand, der meinen Wagen reparieren konnte, würden wir für den Rest des Sommers mit dem Bus fahren müssen. In Ryde gab es einen Audi-Händler. Vielleicht sollte ich morgen zu ihm fahren und sehen, ob ich ihm nicht ein paar Ersatzteile abschwatzen konnte. Im Grunde benötigte ich nur eine Windschutzscheibe, Lampen, Reifen und einen Tacho. Alles andere konnte ich später in Angriff nehmen.

An der grasbewachsenen dreieckigen Verkehrsinsel, von der es nach Bonchurch ging, stiegen wir aus dem Bus. Es war ein ruhiger Spaziergang, vorbei am Dorfladen und an einem Café mit Strohdach und einem Garten voller Stockrosen. Auf der linken Straßenseite befand sich ein großer Teich, in dem Enten umherschwammen. Die Spätnachmittagswolken spiegelten sich in der Wasseroberfläche wie die Wolken über einem ertrunkenen mittelalterlichen Königreich. Ich sah zu Liz, um etwas zu diesem Anblick zu sagen, doch im gleichen Augenblick verspürte ich einen kalten Hauch, und aus irgendeinem Grund wusste ich, dass sie nicht interessiert sein würde. Und ich hätte wie ein Narr dagestanden.

Danny lief voraus, hüpfte über die Risse im Asphalt und sang einen Kinderreim. Es war ein Anblick wie auf einer Ansichtskarte, außer dass wir auf dem Weg zurück zum Fortyfoot House waren und Liz gereizt war. Und ich hatte mit einem Mal das Gefühl, die Kontrolle über meine gesamte Existenz zu ver lieren. Vielleicht hatte ich sie auch schon vor langer Zeit verloren und es jetzt erst bemerkt.

An der Steinmauer, die im Schatten des überhängenden Lorbeers lag, bogen wir um die Ecke und sahen das Tor zu Fortyfoot House, die leicht abfallende Einfahrt, die zur Haustür führte - und ich fühlte eine Angst, wie ich sie noch nie erlebt hatte: Angst vor dem, was sich in diesem Haus verbar g und dem ich mich würde stellen müssen.

Ich nahm Liz am Arm. »Hör mal«, sagte ich, »warum gehen wir nicht runter zum Strandcafe, um erst: noch was zu trinken? Zur Entspannung, meine ich. Du hattest einen schweren Tag.«

Sie sah erst mich, dann das Haus an. Wir näherten uns aus nördlicher Richtung der Seite, die im Schatten lag. Alle Fenster waren dunkel. Ich konnte die Anspannung in ihren Muskeln fühlen. Ich spürte ihre Müdigkeit und ihre Kälte, als wären wir eine einzige Person. Wir waren uns nah, sehr nah. Aber warum war da keine Leidenschaft? Vereinfacht gesagt: Wenn sie krank gewesen wäre, hätte ich sie ausziehen und baden können, aber ich konnte sie nicht lieben, nicht wirklich.

Wir ließen das Haus aus und gingen zwischen den Gärten hindurch nach unten. Danny sprang auf die Sonnenuhr und rief: »Es ist halb sechs.«

»Das kann er gut«, sagte Liz. »Ich konnte die Uhr nicht lesen, bis ich zehn war.«

Ich ging zur Sonnenuhr. Der Zeiger war ein einfaches Dreieck aus Bronze. Es war deutlich zu erkennen, dass die Spitze des Zeigers abgebrochen war und sich verfärbt hatte. Nein, abgebrochen war sie nicht, eher geschmolzen. Und die einst scharfen Kanten waren von Blasen verunstaltet worden, die das Metall geworfen hatte. Ich berührte die Stelle und glaubte zu wissen, was damit geschehen war. Ein schwaches knisterndes Gefühl. Ein Gefühl von Höhenangst, als hätte ich den Boden verlassen und würde immer weiter emporgewirbelt.

Liz stand ein Stück von mir entfernt und hielt sich wegen der tief stehenden Sonne die Hand vor ihre Augen. »Was ist?«, fragte sie mich.

Ich trat von der Sonnenuhr weg und folgte Liz über den Rasen. »Ich weiß nicht, nur so ein Gefühl.«

»Ich glaube, wir lassen uns von diesem Ort einschüchtern«, sagte sie. »Wir hätten gestern abreisen sollen. Egal, ob hier Hausbesetzer, Geister oder wer auch immer am Werk sind.«

»Glaubst du immer noch an Hausbesetzer?«

Sie warf mir einen knappen, fast vorwurfsvollen Blick zu. »Schon gut. Nein, das glaube ich nicht mehr. Aber ich glaube auch nicht an Geister. Glaubst du an Geister? Um Himmels willen, David! Ich weiß nicht, was es ist. Ich habe den ganzen

Tag darüber nachgedacht. Ich bin nicht mal sicher, ob ich wissen will, was es ist.«

»Wenn du möchtest, können wir morgen auch noch abreisen«, erwiderte ich. Ich versuchte, aufmunternd zu sein. Aber wer konnte das schon angesichts von Geräuschen und Lichtern, von blassen toten Kindern im Nachthemd und dunklen Gestalten, die sich in Fotografien bewegten?

»Ich weiß nicht«, sagte sie. Sie klang gereizt und deprimiert.

»Ich habe mir heute ein wenig freigenommen und bin zum Vikar gegangen.«

»Was? Soll das ein Witz sein?«

»Warum sollte ich Witze machen? Wenn ein Rohr platzt, lässt man einen Klempner kommen. Und wenn das Haus voller unruhiger Geister ist, ruft man einen Vikar. Du hast es selbst vorgeschlagen, weißt du noch? Ich sollte das Haus beschwören lassen, hast du mir empfohlen. Erstaunlicherweise weiß dieser Vikar verdammt viel über Fortyfoot House und die Billings und Brown Jenkin. In den Aufzeichnungen der Pfarrei ist einiges darüber niedergeschrieben.«

»Und?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob er mir geglaubt hat - du weißt schon, das mit den Lichtern und mit Sweet Emmeline.«

Emmeline ..., dachte ich. Emmeline ... hat seil über einer Woche niemand gesehen ... sie verschwand zwischen ...

»Was?«, fragte Liz. »Wovon redest du?«

Ich blinzelte sie an. »Was ... was meinst du?«

»Du hast irgendwas gesagt von Emmeline hat seit über einer Woche niemand gesehen.«

»Ich wusste nicht, dass ich das laut ausgesprochen hatte.«

Liz seufzte. »David Williams, ich glaube, du hast es bald hinter dir.«

»Das ist von A. A. Milne«, erklärte ich ihr. »Du weißt schon, der Kerl, der auch Winnie Puh geschrieben hat. Emmeline ... hat seit über einer Woche niemand gesehen ... sie verschwand zwischen. ... den beiden großen Bäumen am Ende des Rasens ... wir haben sie alle gesucht. >Emmeline!< Dieses Gedicht hat mir früher immer Angst eingejagt. Es gab eine Zeichnung, zwei Bäume, die an einem Zaun standen. Ich dachte immer, dass niemand zwischen diesen Bäumen verschwinden könne, es sei denn ...«

»Es sei denn was, David? Allmählich mache ich mir Sorgen um dich.«

»Es sei denn ... keine Ahnung. Es sei denn, dass sich Emmeline am selben Ort aufhielt, aber in einer anderen Zeit. Sie war eine Woche lang weg? Ohne etwas zu essen? Ohne zu schlafen? Und wo ist sie gewesen? Das hat mir immer Angst eingejagt.«

»Himmel, David! Das ist ein Kinderbuch.«

»Vielleicht. Aber irgendetwas hat mich daran erinnert. Vielleicht will mir mein Unterbewusstsein irgendetwas sagen. Emmeline ... am selben Ort, in einer anderen Zeit.«