»Ich glaube, dein Unterbewusstsein will dir sagen, dass du nicht länger im Fortyfoot House übernachten sollst. Das glaube ich ganz sicher.«
»Und falls der Vikar das alles klären kann?«, erwiderte ich.
»David, was kümmert es dich, was er machen kann und was nicht? Das hier ist nicht dein Problem. Und mein Problem ist es auch nicht, das kannst du mir glauben.«
»Natürlich ist es mein Problem. Ich möchte nicht um jeden Preis Geld ausgeben, um woanders zu wohnen. Außerdem bin ich bereits dafür bezahlt worden, um das Haus in Schuss zu bringen.«
»Stimmt genau«, sagte Liz. »Du wirst bezahlt, um das Haus zu renovieren, nicht um es zu beschwören. Warum sagst du den Maklern nicht, dass es verflucht ist und dass du erst wieder arbeiten wirst, wenn es ... >entflucht< ist?«
»Ja, sicher, und sie werden mir natürlich glauben.«
»Jeder hier scheint zu glauben, dass Fortyfoot House verflucht ist. Ich glaube ja bald schon selbst daran, und ich glaube eigentlich überhaupt nicht an solche Dinge.«
»Liz, ich kann es ja wenigstens versuchen.«
Sie schüttelte fassungslos ihren Kopf. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass dieser Vikar irgendetwas erreichen kann, oder etwa doch?«
»Er kommt heute Abend vorbei, um zu sehen, ob er herausfinden kann, was hier nicht stimmt, weiter nichts. Vielleicht kann er uns ja auch nicht helfen. Vielleicht hat das alles überhaupt nichts mit Satan zu tun. Aber wenn es eine Chance gibt, dass hier Ruhe einkehrt, dann ist das einen Versuch wert. Für jemanden, der sich mit Geistern auskennt, könnte es ein ganz gewöhnliches Problem sein. Vielleicht sind nur die richtigen Gebete erforderlich.«
»So wie bei deiner Ehe«, sagte Liz mit ihrer Begabung, abrupt das Thema zu wechseln. Sie erwischte mich kalt.
»Meine ... was?«, fragte ich sie. »Meine Ehe? Was hat meine Ehe damit zu tun?«
»Alles und nichts. Vielleicht hat sie nichts mit Fortyfoot House zu tun, aber sie hat sehr viel mit uns beiden zu tun.«
»Um ganz ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass es jemals ein >wir beide< gegeben hat.«
»Oh ja, und ich habe wohl mit irgendeinem von diesen Geistern geschlafen, oder? Es hätte ein >wir beide< geben können. Es könnte immer noch ein >wir beide< geben. Aber du kannst dich ja nicht entscheiden. Du weißt nicht, ob du Fortyfoot House verlassen willst oder nicht. Gehen - bleiben - gehen - bleiben. Du bist wie dieser Song von Jimmy Durante. Du kannst dich nicht entscheiden, ob du dich von Janie scheiden lassen willst oder nicht. Du weißt nicht, ob du mit mir schlafen willst oder nicht. Du hast so große Angst davor, die falsche Entscheidung zu treffen, dass du dich am Ende gar nicht mehr entscheiden kannst. David, um Himmels willen, entscheide dich doch endlich mal!«
»Tut mir Leid«, sagte ich.
»Es soll dir nicht Leid tun!«, gab sie zurück. »Ich will nicht, dass es dir Leid tut! Ich will, dass du dein Leben wieder in den Griff bekommst, ob nun mit mir oder mit einer anderen. Du kannst mit keiner anderen Frau eine Beziehung eingehen, solange du nicht Janie hinter dir lässt. Du musst dich von ihr scheiden lassen, David, und dann musst du sie vergessen. Wahrscheinlich wirst du ihr dann aber trotz allem jahrelang hinterhertrauern. Du musst das mal aus meiner Sicht sehen. Es ist nicht sehr schmeichelhaft, mit einem Mann ins Bett zu gehen, der so tut, als wäre ich seine Ex, und der dann schlappmacht.«
Ich blieb stehen, mein Gesicht zur Hälfte von meiner Hand verdeckt, damit die Sonne mich nicht blendete. Wahrscheinlich sah ich aus wie das Phantom der Oper mit dieser halben Maske. Sie hatte natürlich Recht, größtenteils jedenfalls. Dass ich keine Leidenschaft empfand, hatte nicht nur mit Janie zu tun. Fortyfoot House hatte damit auch etwas zu tun. Aber in erster Linie lag es an Janie. Ich hing immer noch zu sehr an den Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit, und ich war rasend eifersüchtig auf Raymond. Die Eifersucht war schlimmer als das Nicht-loslassen-Wollen. Das kann mit der Zeit nachlassen. Aber die Eifersucht muss sofort mit einem glutroten Eisen ausgebrannt werden, so wie eine Schusswunde in einem Film mit John Wayne. Ein Zischen, ein Aufschrei, und das war's dann.
»Tut mir Leid«, wiederholte ich. Und weil es mir wirklich Leid tat, sagte ich noch einmaclass="underline" »Tut mir Leid.«
Liz trat vor mich, vergrub ihre Finger in meinen Haaren und küsste mich. Sie war ziemlich klein, viel kleiner als Janie, und auch viel sanfter und klüger als Janie. Sie drückte ihr Gesicht gegen meine Schulter, und ich nahm sie in die Arme. Danny stand auf der kleinen Holzbrücke, die den Bach überspannte, die Wolken zogen gemächlich vorüber, als ...
... als ich mich zur Sonnenuhr umdrehte und sah, wie eine massige in einen schwarzen Anzug gekleidete Gestalt langsam um sie herumwirbelte, in der Horizontalen, als sei sie ein riesiger Propeller. Eine Hand war schmerzhaft zur Spitze des Zeigers ausgestreckt. Ihre Haare waren steil aufgerichtet und rauchten, ihre Rockschöße flatterten wild umher.
»Jesus! Siehst du auch, was ich ...« Ich versuchte, Liz' Kopf anzuheben, damit sie sehen konnte, was ich sah ...
Tausende Volt Elektrizität bahnten sich ihren Weg aus dem Zeiger der Sonnenuhr. In einem wilden Funkenregen bohrten sie sich unter die bebenden Fingernägel des Mannes. Ich konnte den Geruch von Ozon und verbrannten Nägeln wahrnehmen. Ich konnte riechen, wie das Blut kochte. Ich konnte hören, wie der Mann unverständliche Worte schrie. N'ggaaa nngggaa sothoth nyaa - völlig ungewöhnliche, erstickte, gutturale Laute, die meine Nackenhaare sich steil aufrichten ließen. Dann brüllte er: »Lass mich sterben, du Miststück. Lass mich sterben. Oh, verdammt, verdammt, lass mich sterben.«
»Liz, sieh doch!«, sagte ich. Sie blickte zu mir auf und legte die Stirn in Falten, als könne sie mich nicht verstehen. Als sie sich endlich zur Sonnenuhr umdrehte, war die Gestalt verschwunden. Zurückgeblieben waren nur ein paar Schwaden dünnen blauen Rauchs, die sich rasch entwirrten und von der steifen Seebrise fortgeweht wurden.
»Was ist los?«, fragte sie. »Stimmt was nicht?«
»Ich dachte, ich ...« Ich presste meine Fingerspitzen gegen die Stirn. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen. Ich weiß nicht, was. Wahrscheinlich bin ich nur übermüdet.«
»Dir geht es so wie mir. Ich wäre heute fast eingeschlafen, als ich den Tee aufbrühen sollte. Die Chefin meinte, sie werde mich feuern, wenn ich mich nicht zusammenreiße. Es geht doch nichts darüber, gleich am ersten Tag die Kündigung zu erhalten, was?«
Ich sah wieder zur Sonnenuhr. Was hatte Reverend Dennis Pickering gesagt? Der alte Mr. Billings war von einem Blitz getroffen worden? Vielleicht hatte ich soeben den Tod des alten Mr. Billings mit angesehen, so als wäre ich tatsächlich Zeuge davon geworden, wie er auf diesem Grund und Boden ums Leben kam, der jetzt und damals gleichzeitig zu existieren schien.
»Komm, wir gehen jetzt was trinken«, sagte ich.
Wir überquerten die Brücke und gingen an den Bäumen entlang und durch das Gartentor hinaus. Wie üblich lief
Danny auf dem Weg zur See voraus. Es herrschte Ebbe, und der Strand war geprägt von zahllosen Wasserlachen und angespültem Seetang, der sich an den Felsen festklammerte. Der Geruch des Seetangs war sehr intensiv, und Dutzende von Möwen zogen an der Küste ihre Kreise, um sich auf die winzigen grünen Taschenkrebse und die durchscheinenden Krabben zu stürzen.
Wir erreichten das Strandcafé und nahmen Platz. Erstaunlicherweise war Doris Kemble nirgends zu sehen. Genau genommen war überhaupt niemand zu sehen. Im Garten gleich neben dem Café schaukelten riesige Sonnenblumen gemächlich in der leichten Brise, und eine kleine hölzerne Windmühle quietschte unablässig vor sich hin.
Ich ging ins Café und sah den Tisch, an dem Mrs. Kemble sonst saß und ihr Geld zählte. Die verschiedenen Münzen waren ordentlich aufgetürmt worden. Es waren insgesamt wohl rund dreißig oder vierzig Pfund, an denen sich jeder hätte bedienen können. Eine Tasse mit kaltem Tee stand außerdem auf dem Tisch.