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»Mrs. Kemble?«, rief ich, erhielt aber keine Antwort. »Mrs. Kemble?« Wieder nichts. Ich lief wieder nach draußen, wo Liz auf der Mauer saß und Danny von den Papageien im Tropical Bird Park erzählte. »Du hättest die Aras sehen müssen, die sind schrecklich. Und ein Papagei sagt immer: >Benimm dich.< Der kann einen wirklich verrückt machen.«

»Kann ich morgen mitkommen?«, fragte Danny.

»Es ist niemand hier«, sagte ich zu Liz. »Sie hat ihr Geld auf dem Tisch liegen lassen, aber von ihr selbst fehlt jede Spur.«

»Vielleicht musste sie noch irgendetwas einkaufen gehen«, überlegte Liz. »Brot. Oder Salatdressing. Oder irgendwas anderes.«

»Kann ich denn morgen mit zu den Vögeln gehen?«, nervte Danny noch immer.

»Vielleicht am Freitag«, antwortete ich, während ich den Strand absuchte. Niemand war zu sehen, von einem einsamen

Fischer in einem kleinen Boot weit draußen auf dem Meer abgesehen.

»Das ist sehr seltsam«, sagte ich.

Liz sah mich an. »Was sollen wir machen? Bis nach Ventnor zum nächsten Pub gehen?«

»Ich schätze, wir müssen uns aus Mrs. Kembles Kühlschrank selbst bedienen und ihr das Geld hinlegen.«

»Eine gute Idee.« Sie zog einen der roten Plastikstühle nach hinten, setzte sich und zog ihre Schuhe aus. »Sieh dir das an. Doppelt so groß wie normal. Ich hätte die Schuhe in der nächstkleineren Größe nehmen sollen.«

Ich ging zum Kühlschrank und holte zwei Harp Lager und eine Coca-Cola heraus, öffnete sie und nahm sie mit nach draußen. Von unserem Tisch aus beobachteten wir die Möwen, wie sie ihre Kreise zogen, und sahen zu, wie die Sonne sich allmählich dem Horizont näherte. In der Ferne konnte ich einen Öltanker ausmachen, der nach Westen in Richtung Kanal fuhr. Die See stimmte mich immer nostalgisch, obwohl ich als kleiner Junge keine besonders schönen Erlebnisse mit ihr verband.

Danny hatte seine Coke ausgetrunken und begann zu zappeln. »Möchtest du an den Strand gehen?«, fragte ich. »Du kannst doch noch ein Krebsrennen veranstalten. Der schnellste Krebs kommt in den Eimer und geht morgen wieder an den Start.«

Wir sahen zu, wie er auf die Felsen kletterte und bis zum Wasser balancierte, das fast hundert Meter entfernt war. Ich lehnte mich zurück und trank einen Schluck Lager.

»Wann kommt denn der Exorzist vorbei?«, fragte Liz.

»Du meinst Reverend Pickering? Er kommt nur vorbei, um sich umzusehen.«

»Glaubst du wirklich, dass er irgendetwas machen kann?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Er hat selbst gesagt, dass echte Geister nichts mit den Geistern im Kino zu tun haben. Sie verschwinden nicht einfach, nur weil jemand es ihnen befiehlt. Ich meine, wir haben es hier nicht mit Linda

Blair oder Patrick Swayze zu tun.« Ich musste wieder an diese massige schwarze Gestalt denken, die sich langsam um die Sonnenuhr drehte, mit rauchendem Haar, das Gesicht schmerzverzerrt. N'gciaa nngggaa sothoth nggaaa. Es war eine Täuschung gewesen. Es musste eine gewesen sein. Aber was wäre geschehen, wenn ich nach ihm gegriffen hätte, während er an mir vorbeikam? Hätte ich ihn wirklich spüren können? Oder wären seine Beine einfach durch mich hindurchgegangen?

»Ich meine immer noch, dass wir ausziehen sollten«, sagte Liz. »Wir könnten uns einen Wohnwagen auf dem Shanklin Caravan Park mieten. Das kostet nicht viel, und du könntest trotzdem deine Arbeit hier erledigen, oder?«

»Ich glaube schon«, antwortete ich. Aber da nun Dennis Pickering vorbeikommen wollte, war ich zuversichtlicher, dass wir die Geister im Fortyfoot House zur Ruhe kommen lassen konnten. Die Erscheinungen waren wirklich beängstigend gewesen, vor allem in der Nacht. Doch abgesehen von Harry Martin - und, mal ehrlich, das musste doch wirklich ein Unfall gewesen sein - war niemandem etwas zugestoßen.

»Warum hören wir uns nicht erst an, was der Vikar zu sagen hat, und entscheiden dann?«, schlug ich vor. »Es sind nur Geister, im Grunde sind es nur Bilder. Und dazu noch von Menschen, die vor über hundert Jahren gestorben sind. Sie sind ... ich weiß nicht ... so etwas wie lebende Fotografien. Wie sollen die uns etwas antun?«

»Ich glaube kaum, dass ich das herausfinden möchte«, sagte Liz. Sie klang überraschend entschlossen.

Ich sah sie aufmerksam an: »Du meinst, du willst nicht mal heute Nacht bleiben?«

»David, es tut mir wirklich Leid. Aber mir fällt es ohnehin schwer genug, meine Gedanken zusammenzuhalten, da brauche ich nicht noch Lichter und Geräusche in der Nacht.«

»Was ist los mit dir?« Ich wusste, dass ihre Stimmung ständig schwankte, aber das hatte ich auf ihr Alter geschoben oder auf ihre Monatsblutung oder auf den puren Schrecken der Ereignisse um uns herum.

Geistesabwesend streichelte sie mein Knie. »Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, ich bin nicht besser als du. Ich kann mich auch nicht entscheiden, was ich sein will. Ich kann mich ja nicht mal entscheiden, wer ich sein will. Und dass ich hierher gekommen bin, hat die Antwort nicht leichter gemacht. Eigentlich ist es jetzt nur noch schlimmer.«

»Ich verstehe nicht.«

Sie lächelte mich an. »Ich glaube, ich habe ein Identitätskrise«, sagte sie schließlich. »In der einen Minute fühle ich mich stark und unabhängig, und dann fühle ich mich wieder so schwach wie ein kleines Kätzchen. Einmal glaube ich, dass ich mein Leben völlig unter Kontrolle habe, dann wieder scheint alles in die Brüche zu gehen. Mal glücklich, mal traurig. Heute Morgen habe ich meine Augen geöffnet und ich kam mir so vor, als sei ich jemand anderes. Ich kann es nicht beschreiben. Aber es hilft mir nicht, wenn ich hier bleibe.«

»Du willst wirklich abreisen?«

Sie nickte. Sie sah zwar müde aus, aber auch sehr hübsch. Ich legte meine Hand auf ihre.

»Allen Ernstes«, sprach sie weiter. »Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, sind seltsame Geräusche, riesige Ratten und arme alte Männer, denen der Kopf abgerissen wird.«

»Da haben wir ja was gemeinsam«, sagte ich.

»Ja«, stimmte sie mir zu. »Aber ich brauche keinen Mann, der sich ebenfalls nicht entscheiden kann.«

»Da muss ich dir wohl beipflichten.«

Ich sah mich um. Von Mrs. Kemble war noch immer nichts zu sehen. Eine dünne Gestalt kam aus Richtung Ventnor am Strand entlanggelaufen. Etwa eine halbe Meile entfernt. Bauz! Da geht die Türe auf, Und herein in schnellem Lauf... Aber als ich eine Hand über meine Augen hielt, konnte ich sehen, dass es sich nur um einen alten Mann handelte, der mit seinem schwarzweiß gefleckten Hund spazieren ging.

Die Sonne stand noch immer recht hoch, aber die Schatten wurden allmählich länger, und die Brise von der See her war ungewöhnlich frisch. Ich konnte nicht verstehen, warum Mrs. Kemble so spät am Nachmittag ihr Café verließ, ohne zu schließen.

In dem Moment hörte ich ein hohes, pfeifendes Geräusch vom Strand her. Zunächst konnte ich es nicht definieren; es klang wie eine Flöte oder eine Pfeife. Ich kniff die Augen zusammen und konzentrierte mich auf den Bereich nahe am Wasser, wo die Möwen hartnäckig kreisten. Ich sah Danny zwischen den Felsen und winkte ihm zu, aber er winkte nicht zurück. Stattdessen stand er in einer sonderbar gebückten Haltung da, wie erstarrt, die Fäuste geballt. Allmählich wurde mir klar, dass er dieses Geräusch verursachte. Er schrie!

»Danny!« Ich hechtete über die Mauer, die das Café umgab, und landete im Sand. Mit meinem Knöchel stieß ich gegen einen schlüpfrigen Felsen, fand dann aber mein Gleichgewicht wieder und sprang einer Gemse gleich von einem Fels zum nächsten. Zwischendurch glitt ich aus und trat in eine Wasserlache. Einmal fiel ich hin und zog mir eine Abschürfung an der Hand zu, aber dann hatte ich endlich ein ebenes Stück Strand erreicht und rannte in Richtung Meer. Das Wasser spritzte an mir hoch, während mein Herz raste und der Wind in meinen Ohren donnerte.