Dennis Pickering beugte sich vor und betrachtete das Foto aufmerksam. »Ja«, sagte er, »das ist Billings der Jüngere. Ohne Zweifel.«
»Seit gestern hat er ständig seine Position gewechselt.«
Pickering sah mich fragend an. »Bitte? Sie meinen, das Foto hing woanders?«
»Nein, nein, der junge Mr. Billings hat seine Position verändert. Er bewegt sich in dem Foto hin und her. Gestern ging er da hinten über den Rasen und hielt die Hand oder Klaue von irgendetwas, das wie Brown Jenkin aussah.«
Pickering sah sich noch einmal das Foto an. »Sind Sie da ganz sicher?«
»Ganz sicher.«
»Und was ist mit Ihnen, Liz?«, wollte er wissen. »Haben Sie das auch gesehen?«
»Ich bin nicht sicher«, antwortete sie.
Ich warf ihr einen ärgerlichen Blick zu: »Du bist nicht sicher ?«
Sie sah fort. »Mir fällt es sehr schwer, das alles zu verstehen. Ich weiß nicht, ob ich meinen Augen glauben kann oder nicht.«
»Aber er war doch fast völlig aus dem Bild verschwunden!«, protestierte ich.
»Ich weiß nicht, mir kommt das alles wie ein böser Traum vor«, sagte Liz.
»Schon gut, schon gut, wir brauchen nicht noch mehr Unruhe«, sagte Pickering beschwichtigend. »Ich schlage vor, dass wir nach oben gehen und uns umsehen.«
Ich versuchte, Liz' Hand zu nehmen, während wir durch den Flur zurückgingen, doch sie entzog sich meinem Griff.
»Stimmt was nicht?«, flüsterte ich.
»Nein«, beteuerte sie.
»Irgendetwas stimmt doch nicht.«
»Es ist nichts. Ich möchte bloß nichts mehr mit all diesen Dingen zu tun haben. Und ich weiß auch nicht, warum du dich damit beschäftigen sollst. Es ist nicht dein Haus und damit nicht dein Problem.«
Ich blieb stehen. »Bist du sicher, dass du heute Abend das Haus nicht verlassen hast?«
»Da bin ich verdammt sicher. Warum fängst du damit schon wieder an?«
»Können wir?«, fragte Pickering ein wenig ungeduldig.
Wir stiegen die Stufen bis zum Treppenabsatz hinauf, dann öffnete ich die Tür zum Speicher. Wieder schlug mir dieser hartnäckige abgestandene Luftzug entgegen. Ich schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete nach oben, als ich bemerkte, dass der Dachboden bereits in ein schwaches gräuliches Licht getaucht war. Ich sah zu Liz und sagte: »Sieh dir das an, da oben ist Licht. Vielleicht haben die elektrischen Leitungen beschlossen, sich selbst zu reparieren.«
Pickering ging vor mir die kurze Treppe hinauf, dann blieb er abrupt stehen, ohne etwas zu sagen und ohne sich zu bewegen. Schließlich sagte er: »Ich komme wieder nach unten.« Im nächsten Moment stand er neben mir auf dem Absatz und sah bleich aus.
»Was ist los? Was ...«
»Da oben ist ein Licht«, antwortete er, während sich seine Stimme fast überschlug.
»Und?« »Ich befürchte, es ist Tageslicht.«
»Wieso Tageslicht? Draußen ist es stockfinster.«
»Es ist Tageslicht, glauben Sie mir. Sie sollten besser diese Tür verschließen. Ich werde mich sofort mit Stiftsherr Earwaker in Verbindung setzen.«
»Sie müssen sich irren. Da oben kann kein Tageslicht sein. Es gibt keine Fenster da oben, von dem Dachfenster abgesehen. Und das ist zugeklebt.«
Ich nahm die erste Stufe der Treppe, aber Pickering packte mich am Ärmel und schrie mich fast an: »Nein! Das dürfen Sie nicht!«
»Mr. Pickering, um Himmels willen. Da oben kann es kein Tageslicht geben!«
»Es ist Tageslicht«, wiederholte er nahezu außer sich, während er noch stärker an meinem Ärmel zerrte. »Das ist Teufelswerk, glauben Sie mir doch. Gehen Sie um keinen Preis nach oben.«
»Tut mir Leid, aber das muss ich machen.«
»David!«, mischte sich Liz ein. »Geh nicht!«
Diesen Gesichtsausdruck hatte ich bei ihr noch nicht gesehen. Er war sehr merkwürdig, und auch ihr Tonfall war ungewöhnlich. Sie hatte sich angehört, als habe sie eine sehr gute Vorstellung von dem, was Pickering solche Angst eingejagt hatte. Als wisse sie, warum der Speicher so aussah, als sei er in Tageslicht getaucht.
Ich schob Dennis Pickering behutsam zurück. »Es tut mir Leid«, wiederholte ich, »aber ich muss da einfach raufgehen. Ich kann hier in Fortyfoot House nichts tun, wenn ich nicht ein für allemal diesen Lichtern und Geräuschen auf den Grund gehe.«
»Dann komme ich mit Ihnen«, beharrte Pickering, auch wenn er aufgeregt atmete und seine Hände zitterten.
»Sie müssen nicht, wenn es Ihnen Angst einjagt«, sagte ich.
»Es ist meine priesterliche Pflicht. Und es ist meine Pflicht als Mensch.«
»Glauben Sie wirklich, dass da oben der Teufel lauert?«
»Sie können es nennen, wie Sie wollen. Aber es ist dort. Und es ist so real wie Sie und ich. Können Sie nicht das Böse riechen? Es ist die Essenz des Bösen!«
Ich schnupperte.
»Ich kann einen schwefeligen Geruch feststellen, ein wenig verbrannt. Weiter nichts.«
»Die Essenz des Bösen«, sagte Pickering, während er mit dem Kopf nickte. »Der Gestank der Hölle.«
»Egal«, entschied ich. »Ich gehe jetzt trotzdem nach oben.«
Liz warf mir einen geringschätzigen Blick zu, obwohl sie der Hauptgrund dafür war, dass ich auf den Speicher steigen wollte. Wenn ich nicht klärte, was es mit den Geräuschen und Lichtern im Fortyfoot House auf sich hatte, konnte ich nicht von ihr erwarten, dass sie blieb. Und außerdem hatte ich bei unserem Gespräch am Nachmittag, bevor wir Doris Kemble gefunden hatten, gemerkt, wie sehr ich wollte, dass sie blieb, und wie sehr ich sie brauchte.
Obwohl die Treppe von dem Licht auf dem Dachboden erhellt wurde, nahm ich die Taschenlampe mit. Wenn die Lampen sich aus eigener Kraft reparieren konnten, dann konnten sie auch wieder ausfallen, und ich wollte nicht noch einmal in völliger Dunkelheit auf dem Dachboden stehen. Früher hatte ich in der Dunkelheit keine Angst gehabt, aber Fortyfoot House hatte das grundlegend geändert.
Ich erreichte die oberste Stufe und sah mich um. Langsam wurde mir klar, dass Dennis Pickering Recht hatte, so wenig ich das auch glauben wollte. Der Speicher war tatsächlich in Tageslicht getaucht. Kaltes, graues, herbstliches Licht, als hätten wir nicht Juli, sondern Mitte November. Aber nicht nur das - der Speicher war auch so gut wie leer. Kein Schaukelpferd, keine Möbel, keine zusammengerollten Teppiche, keine Bilder, über die man Tücher geworfen hatte. Nur ein paar staubige Bastkörbe und Hutschachteln, und eine altmodische Nähmaschine.
Das Dachfenster war nicht abgedeckt, zudem stand es offen. Daher kam also der modrige Luftzug, der sich auf dem Dachboden breitmachte - obwohl ich keine Ahnung hatte, wie der Zug hereinkommen sollte, wenn das Dachfenster doch eigentlich verschlossen und das Dach nach außen hin versiegelt worden war.
»Gleicher Ort, andere Zeit«, sagte ich. Es war Furcht erregend und verwirrend, aber der Gedanke, dass wir über die Treppe zum Speicher ins Fortyfoot House des Jahres 1880 gelangt waren, hatte auch etwas Aufregendes.
»Ich glaube nicht, dass wir noch weiter gehen sollten«, warnte Pickering mit düsterem Gesichtsausdruck, während er sich am Treppengeländer festhielt.
»Ich will nur aus dem Dachfenster sehen«, rief ich ihm zu. Ich bemerkte Wolken, die vorüberzogen, ich hörte die See und das leise Rascheln von trockenem Laub. Nicht nur das Jähr und die Tageszeit hatten sich geändert, es war auch eine andere Jahreszeit.