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»Ich sagte zwölf in den Tagen von Queen Dick.«

»Kezia, du kannst nicht noch mehr nehmen. Was wird Barnardo sagen?«

»Wir lassen Mazurewicz kommen. Er wird bestätigen, dass sie alle an der Reihe waren.«

»Verdammt, Kezia, du kannst sie nicht alle haben!«

»Der Alte Freund nimmt, was er braucht«, erwiderte Kezia. Das Kind schrie unterdessen, ohne Luft zu holen.

Ich flüsterte Pickering zu: »Klingt so, als ob sie auf uns zukommen. Ich schnappe mir das Kind, und Sie brüllen ihnen etwas entgegen, irgendwas, Gebete, Flüche, einfach gentig, um sie aus der Fassung zu bringen.«

Uberraschend griff der Reverend nach meiner Hand: »Wenn wir sie mit auf den Speicher nehmen ... in unsere Zeit ... glauben Sie, dass sie überleben wird?«

»Wie meinen Sie das?«

»Wir befinden uns im Jahr 1886, das Kind ist jetzt und hier zehn oder elfjahre alt. Wenn wir es mit ins Jahr 1992 nehmen, wäre es dort über hundert Jahre alt. Vielleicht bringen wir es im Grunde ebenso um, wie Kezia Mason es macht! Vielleicht sogar auf noch grausamere Weise!«

Das Kind schrie inzwischen noch lauter, und ich wusste, dass wir irgendetwas unternehmen mussten. »Um Himmels willen, Dennis. Wir haben es hierher geschafft in eine Zeit, in der wir noch nicht auf der Welt sind! Dann wird das umgekehrt genauso funktionieren!«

Reverend Pickering legte kurz die Hände aneinander und sprach das schnellste Gebet in der Geschichte des Christentums. Dann öffnete er die Augen und sagte: »Also gut, David, wir werden es wenigstens versuchen. Möge Gott mit uns sein!«

Das Mädchen schrie und schrie. Ich gab Pickering mit der flachen Hand einen Stoß, und dann stürmten wir zusammen durch die Tür ins Wohnzimmer.

12. Der Teufelsdaumen

 Niemals werde ich den albtraumhaften Anblick, der sich uns bot, als wir in das Zimmer stürzten, vergessen - vieles erinnert mich daran: meine Träume, Schatten, Spiegelbilder, die man nur flüchtig sieht, ein kaum hörbares Flüstern. Es genügt der Blick auf einen viktorianischen Stuhl mit hoher Rückenlehne bei einem Antiquitätenhändler, ein bestimmter grau getönter Herbsthimmel, ein brauner Teppich, der Geruch von Staub und Möbelpolitur aus Bienenwachs. In dem Moment, in dem Dennis Pickering und ich das Wohnzimmer betraten, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass wir in eine Zeit zurückgereist waren, in die wir nicht gehörten. Und ich erkannte, dass das Grauen, dem wir gegenüberstanden, keine Geister oder sich bewegende Fotos waren oder Produkte unserer überanstrengten Fantasie, sondern reale Personen, die lebten und atmeten und die vom Geruch der Hölle umgeben waren.

Der junge Mr. Billings stand am weitesten von uns entfernt, seinen Arm hatte er halb erhoben. Er war viel größer, als ich ihn mir vorgestellt hatte, und sein schwarzer Hut und sein schwarzer Frack waren viel besser gearbeitet. Doch seine Wangen waren faltig, seine Augen waren blutunterlaufen, und er sah aus wie ein Mann, dessen innerer Zusammenbruch sich unerbittlich auf seinem Gesicht manifestiert hatte.

Kezia Masons Bild an der Wand der Fortyfoot-Kapelle wurde ihr nicht gerecht. Sie war zierlich und zart, fast schon hübsch. Vielleicht sogar mehr als hübsch, auch wenn sich in ihren Augen eine sonderbare, deplatziert wirkende Wildheit zeigte, die sogar den forschesten Mann erschreckt hätte. Auf jeden Fall erschreckte sie mich. Ihre Haare waren unglaublich. Sie waren von einem leuchtenden Rot, und sie standen so ab, als wären sie elektrisch geladen. Um ihre Schultern hatte sie ein locker gewebtes Tuch aus ungebleichter Wolle gelegt, und sie trug ein weites Kleid aus sehr feinem weißen Schleier, der hier und da mit Augen, Händen und Sternen bestickt war. Das Kleid war so durchsichtig, dass ich ihren dünnen, fast schon magersüchtigen Körper sehen konnte, der stramm in Schnüre und Bandagen gewickelt war. Ihre Füße waren nackt und schmutzig, blaue Adern hoben sich deutlich von der fahlen Haut ab.

Sie zischte, als sie uns sah.

Was mich aber regelrecht erstarren ließ, war mein erster ungehinderter Blick auf Brown Jenkin. Er war das Rattending von unbekannter Herkunft, das in den Straßen der Londoner Docklands zur Welt gekommen sein konnte. Oder das ein verheerender genetischer Unfall von Billings und Kezia Mason war. Oder einfach nur aus einer Ratte entstanden, und das jetzt als Monstrosität vor mir stand, bucklig, eine Parodie auf einen menschlichen Knaben, auf ein Tier, das ein wenig süßlich, aber nach Verwesung roch.

Brown Jenkin maß kaum 1,20 Meter, sein Kopf war schmal und lief spitz zu, so wie bei einem Nagetier, glich aber mehr einem grotesk in die Länge gezogenen menschlichen Gesicht als dem einer Ratte. Die Augen waren weiß, sogar die Iris war weiß. Die Nase war gespalten wie bei einer Ratte, doch ihre großen Nasenlöcher, die die Schleimhäute freilegten, machten sie einem Menschen ähnlicher als einem Tier. Sein Mund war geschlossen, die Lippen hatten eine gräulichschwarze Färbung, und ich konnte zwei scharfe Zahnspitzen erkennen, die unter der Oberlippe hervorlugten.

Er trug ein schmutziges weißes Halsband, sein Hals war mit ebenso verdreckten Bandagen umwickelt. Sein missgestalteter Körper war in einen langen Mantel oder eine Jacke aus abgewetztem braunen Samt gekleidet, dessen Vorderseite mit Suppe und Ei und unzähligen anderen Essensresten übersät war. Aus den viel zu langen Ärmeln ragten weiße Hände mit langen Fingern heraus, die zwar menschlich aussahen, deren Nägel aber schwarz und gekrümmt waren, so wie die Klauen einer Ratte. Unter dem Saum des Mantels, der auf dem

Teppich hing, konnte ich ein Paar schmale Füße erkennen, die wie der Hals der Kreatur mit schmutzigen weißen Bandagen umwickelt waren.

Brown Jenkin hatte seine Klauen durch den Latz des kleinen Mädchens gebohrt und hielt es an seinem ausgestreckten Arm so in die Höhe, dass ihre Füße in der Luft baumelten. Das Mädchen selbst war starr vor Schreck, ihre Fäuste zusammengeballt, der Kopf eingezogen und das Gesicht bleich. Ihr kupferbraunes Haar war ordentlich geflochten worden, aber mittlerweile war einer der Zöpfe aufgegangen und bedeckte halb ihr Gesicht, was sie noch verrückter und verzweifelter aussehen ließ.

Einen Augenblick lang erstarrte die Szenerie und wirkte wie ein Foto, auf dem wir alle dastanden und uns einfach nur überrascht anstarrten.

Kezia Mason wich einen Schritt nach hinten und zischte weiter. Der junge Mr. Billings brüllte: »Kezia! Wer sind diese Leute? Welches Spiel treibst du mit mir?« Er eilte quer durch das Zimmer und griff nach einem schwarzen Stock mit silbernem Griff, der an einen der Sessel gelehnt war. Im gleichen Augenblick hob Pickering seine Hände und schrie: »Im Namen des Herrn!«

»Ein Priester!«, zischte Kezia Mason, als könne sie riechen, dass er ein Priester war.

»Im Namen des Herrn, lassen Sie das junge Mädchen in Ruhe!«, herrschte Pickering sie an. Er ging mit erhobenen Händen einen Schritt nach vorn.

Der junge Mr. Billings ließ seinen Stock irritiert sinken, und sogar Kezia Mason schien zurückzuweichen.

»Derjenige, der diesem jungen Menschen auch nur ein Haar krümmt, wird sich vor mir rechtfertigen müssen, sagt der Herr!«, rief Dennis so voller Eifer, dass er ein paar Speicheltropfen spuckte.

Ich war fest davon überzeugt, dass wir sie durch die schiere Autorität eingeschüchtert hatten, als Kezia Mason vortrat, den durchscheinenden Stoff ihres Kleids anhob und Dennis

Pickering einen herausfordernden, stechenden Blick zuwarf.

»Vor dem Herrn rechtfertigen, was, Trottel?«, äffte sie ihn nach. »Also, an deiner Stelle würde ich daran denken, dass mein Alter Freund Gevatter Tod das nicht so einfach hinnimmt. An deiner Stelle würde ich zum Haus des Heiligen Geistes zurückkehren!«