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»Brown Jenkin? Brown Jenkin hat etwas gemacht? Was denn?«

»Brown Jenkin hat sie mitgenommen.«

»Oh mein Gott«, sagte Liz. »Ich glaube, wir sollten die Polizei anrufen.«

»Augenblick«, hielt ich sie zurück. »Wohin hat er sie denn mitgenommen?«

Das Mädchen bedeckte mit der linken Hand seine Augen, während es mit den Fingern der rechten Hand eine sonderbare Bewegung andeutete, so als würden die sich auf einer Treppe nach oben bewegen.

»Brown Jenkin hat sie mit nach oben genommen?« Das Mädchen nickte wieder, hielt sich aber immer noch die Augen zu.

»Also gut. Und was hat Brown Jenkin dann gemacht?«

»Sein Gebet gesprochen.«

»Ich verstehe.«

»Er hat sein Gebet gesprochen, dann ist er mit Sweet Emmeline nach oben gegangen, dann dort entlang, da durch und da runter.« Das Mädchen beschrieb etwas, das es vor seinem geistigen Auge sehen, das ich aber nicht nachvoll-ziehen konnte.

»Mit »nach oben<, meinst du da den Dachboden?«

Wieder nickte das Kind.

»Und wohin dann?«

Es atmete rasch durch. »Dort entlang, da durch und da runter.«

»Ich verstehe«, sagte ich, obwohl ich es nicht tat. >Dort entlang, da durch und da runter« konnte so ziemlich alles bedeuten, vor allem, da Brown Jenkin offenbar die Fähigkeit besaß, ohne Mühe von einem Jahr in ein anderes zu wechseln.

»Weißt du, warum er sie mitgenommen hat?«, wollte ich wissen.

»Er hat sie zum Picknick mitgenommen.«

»Er wollte dich auch zum Picknick mitnehmen, richtig?«

Das Mädchen nickte.

»Hast du ihm das nicht geglaubt?«

»Ich weiß nicht. Edmond hat gesagt, dass Brown Jenkin einen mitnimmt und da versteckt, wo einen die Zeit nicht linden kann.«

Emmeline ... hat seit über einer Woche niemand gesehen ...

»Und wo ist das?«

»Ich weiß es nicht.«

»Liebe Güte, David, wir sollten Sergeant Miller anrufen«, sagte Liz. »Ich weiß nicht, was diese Leute machen, aber wir können das nicht allein in die Hand nehmen.«

»Leute?«, fragte ich und drehte mich zu ihr um.

»Geister, Ratten, was immer sie sind.«

Mit einem Mal sah ich wieder vor mir, wie Brown Jenkin Pickerings Bauch aufschlitzte. Ich glaubte nicht, dass das Mädchen davon etwas mitbekommen hatte. Und wenn doch, dann hatte es vielleicht nicht wirklich verstanden, was geschehen war. Es war zu plötzlich geschehen; in einem Moment sah man Pickerings plumpen weißen Bauch, im nächsten war daraus eine herausquellende Masse seiner Eingeweide geworden.

Ich sagte mir, dass er tot war. Er musste tot sein. Aber wann? Wenn er noch im Jahr 1886 war, dann war er lange vor seiner Geburt gestorben, während dieses kleine Mädchen lebte, obwohl es schon längst hätte tot sein müssen. Als ich noch zur Schule ging, hatte ich in Science-Fiction-Geschichten davon gelesen, dass die Zeitreise voller Paradoxa steckte, wenn Menschen in die Vergangenheit reisten und ihr jüngeres Ich trafen. Oder wenn sie ihre eigenen Eltern umbrachten oder an ihrem eigenen Grab standen. Doch bis zu diesem Augenblick hatte ich nie begriffen, wie verwirrend diese Dinge in Wirklichkeit waren.

Vom Dachboden hörte ich ein leises Kratzen, gefolgt von einem leisen Schleifen, dann wieder ein Kratzen. »Wir sollten besser nach unten gehen«, sagte ich, da mich der Gedanke an einen über den Speicherboden schleichenden Brown Jenkin mit Angst erfüllte.

Auf dem Weg in die Küche warf ich einen kurzen Blick auf das Foto, das wieder so aussah wie zuvor. Vorausgesetzt, es hatte sich überhaupt verändert. Alkohol und Stress können die seltsamsten Dinge hervorrufen.

Ich öffnete den Kühlschrank, nahm die Weinflasche und zog den Korken heraus. Erst als ich ein Glas eingoss, bemerkte ich, wie sehr meine Hände zitterten.

»Und dem Vikar geht es gut, meinst du?«, fragte Liz.

»Ja, ja, natürlich.«

»Aber was macht er eigentlich genau dort? Ich meine, wie ist es dort überhaupt?«

Ich füllte ein Glas bis zur Hälfte und trank es aus, während meine Hände wie verrückt zitterten. »Eigentlich so wie hier. Nicht richtig anders. Andere Möbel, der Garten sieht gepfleg-ler aus. Die Wände sind getäfelt, aber das ist es auch schon.«

»Bist du irgendjemandem begegnet außer dem Mädchen? Und natürlich außer Brown Jenkin.«

»Dem jungen Mr. Billings.«

»Du hast ihn getroffen? Hast du dich mit ihm unterhalten?«

»Nur kurz. Er schien ... in Gedanken. Weißt du, nicht so ganz bei der Sache.«

»Aber du hast mit ihm gesprochen. Das ist unglaublich.«

»Ja, es ist unglaublich. Ich kann es selbst kaum glauben.«

Liz fragte das Mädchen, ob es Milch und ein paar Kekse haben wolle. Das Mädchen nickte, und Danny half ihm, am l isch Platz zu nehmen.

»Was hast du gemacht, um Brown Jenkin so zu verärgern?«, fragte Liz, während sie zwei Gläser Milch eingoss. Das Mädchen schien fasziniert von der Milch im Karton, und der Kühlschrank begeisterte es offenbar restlos. Mir wurde plötzlich klar, dass ich ein Kind aus einer Zeit mitgebracht hatte, in der Radio, Fernsehen, Autos, Flugzeuge, Plastik, umfassende elektrische Beleuchtung und all die anderen Dinge nicht existierten, die für uns selbstverständlich waren.

Ich saß am Küchentisch und sah dem Mädchen zu, wie es aß und trank. Der Schock über Pickerings Tod begann mir ein taubes, dumpfes Gefühl zu geben, als wäre ich überhaupt nicht hier. Liz hörte sich an, als spreche sie aus einem anderen Zimmer zu mir.

»Ich möchte im Augenblick wirklich nicht über Brown Jenkin reden«, sagte ich. »Er ist nicht gerade der Typ, der für schöne Träume sorgt.«

»Ist er eine Ratte?«, fragte Danny.

Ich schüttelte den Kopf und wünschte mir, mich nicht so taub zu fühlen. »Er sieht aus wie eine Ratte, aber er ist wie ein Junge angezogen. Er ist schmutzig, er stinkt, und er ist ziemlich abscheulich. Ich bin nicht sicher, was er ist. Aber er redet ein Mischmasch aus Englisch, Französisch und Deutsch. Also muss er ein Mensch sein.«

»Ich wollte nicht zum Picknick gehen«, sagte das Mädchen nachdrücklich.

»Warum nicht?«, fragte Danny. »Ich mag Picknicks.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Wenn du mit Brown Jenkin zum Picknick gehst, kommst du niemals zurück. Und dann schaufeln sie dir ein Grab aus.«

»Ich habe doch gesagt, dass wir mit dem Sergeant reden sollten«, sagte Liz. »Wenn sie Kinder entführen, dann müssen wir sie aufhalten.«

»Stimmt«, sagte ich. »Stimmt vollkommen. Aber wann entführen sie die Kinder? Heute? Gestern? Morgen? Vor hundert Jahren?«

»Was ist mit dem kleinen Mädchen, das in Ryde verschwunden ist? Was ist mit dem Bruder von Harry Martin?«

»Und was ist damit, Detective Sergeant Miller davon zu überzeugen, dass ich nicht völlig übergeschnappt bin? Es gibt keinen Beweis, oder? Und solange wir keinen Beweis haben, wird die Polizei als Erstes glauben, dass ich diese Kinder entführt habe. Ich habe hier ja schon ein unbekanntes Mädchen. Ich kann nicht erklären, woher es kommt und was es hier macht. Ich weiß ja nicht mal, wie es heißt.«

»Charity«, sagte das Mädchen laut und deutlich. »Charity Welbeck.«

»Na, das ist ja schon mal was«, sagte ich. »Hallo und willkommen, Charity Welbeck. Darf ich dich mit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bekannt machen?«

»Bleibt sie bei uns?«, fragte Danny.

»Ich weiß nicht. Ich glaube schon, ich wüsste nicht, wo sie hin sollte.«

»Ich kann ihr beibringen, wie man fischt. Wir könnten Taschenkrebsrennen veranstalten.«

»Warum denken wir darüber nicht morgen früh nach?«, schlug ich vor. »Es ist jetzt Zeit, ins Bett zu gehen.«