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Liz war schon im Bett, als ich zurückkam. Sie saß da und las Narziss und Goldmund von Hermann Hesse. Ich legte mich zu ihr und sah ihr eine Weile zu.

»Liest du das wirklich mit Vergnügen?«, fragte ich schließlich.

Sie lächelte, ohne aufzublicken. »Hör dir das an: >Glaub mir, ich würde zehntausendmal lieber deinen Fuß streicheln als ihren. Dein Fuß hat mich nie unter dem Tisch gefragt, ob ich lieben könnte.< Weißt du, wovon er redet? Fußfetischismus!«

»Die Kinder sind noch wach«, sagte ich. »Sie reden. Sie scheinen sich gut zu verstehen.«

Eine Zeit lang schwieg Liz, dann klappte sie ihr Buch zu.

Was wirst du machen, David? Du wirst doch nicht länger hier bleiben, oder? Wenn dieser Brown Jenkin Menschen Töten kann ...«

»Keine Sorge«, erwiderte ich. »Ich habe mich schon entschieden.«

»Das ist ja mal was anderes.«

»Ich habe mir deine Kritik zu Herzen genommen, darum. Du hattest völlig Recht, ich habe die Dinge vor mir herge-s< hoben. Ich nehme an, dass ich geglaubt habe, durch eine positive Entscheidung mich immer weiter von der Zeit mit Janie zu entfernen. Inzwischen ist mir klar, dass diese Zeit schon hinter mir liegt, auch wenn ich keinen Entschluss lasse. Auch wenn ich den ganzen Tag im Bett liege und gar nichts mache.«

»Und was wirst du machen?«

»Ich bringe Danny und Charity zu meiner Mutter nach Horley, und dann komme ich zurück und brenne dieses Haus nieder.«

Liz starrte mich fassungslos an: »Du willst was machen? Das kannst du nicht!«

»Das kann ich und das werde ich. Dieses Haus ist besessen oder verflucht. Ich weiß nicht, was der junge Mr. Billings und Kezia Mason vorhatten, ich weiß nicht, wer oder was Brown Jenkin ist oder wer Mazurewicz war. Ich weiß nicht, was dem alten Mr. Billings zugestoßen ist, außer dass er vom Blitz getroffen wurde. Aber dieser Ort steckt voller Geister und Unrast und Geräuschen und Gott weiß was noch alles. Jetzt ist Reverend Pickering tot, und jetzt reicht es. Es muss Schluss sein.«

»Und wenn man dich schnappt?«

»Man wird mich nicht schnappen. Ich werde nicht mal meine Bezahlung einbüßen. Ich werde einfach sagen, dass meine Lötlampe einen Fensterrahmen in Brand gesetzt hat und dann das ganze Haus abgebrannt ist. Großer Gott, das hätte man schon Vorjahren machen sollen.«

»David, das ist ein historisches Bauwerk - du kannst es doch nicht einfach niederbrennen.«

»Das Leben von Menschen ist wichtiger als ein historisches Haus. Und Leute, die tot sein sollten, aber nicht tot sind ... die sind auch wichtiger als dieses Haus.«

Liz legte ihr Buch auf die Decke und ließ sich nach hinten auf ihr Kissen sinken. Ich fand sie mit jedem Augenblick, der verstrich, immer attraktiver. Ich liebte die Art, wie sie aussah, ihre üppigen Brüste, ihren sauberen, seifigen Geruch. Das Einzige, was mir noch immer nicht ganz klar war, betraf die Frage, wie sie wirklich über mich dachte und warum sie hier blieb. Manchmal war sie unnahbar und ungeduldig, dann wieder rücksichtslos kritisch, mal witzig, mal leidenschaftlich. Aber stets kam es mir so vor, als würde sie über einen Witz lachen, den ich nicht richtig verstanden hatte. Und als würde sie Sex nur in ihrem eigenen Kopf erleben, ohne ihre Gefühle mit mir zu teilen.

Sie hatte mir inzwischen einmal einen geblasen, als ich noch im Halbschlaf war. Sie hatte dabei den Kopf weggedreht und alles geschluckt, ohne eine Spur von Lust oder wenigstens Vergnügen zu zeigen.

»Denk morgen drüber nach«, sagte sie.

»Ich habe darüber nachgedacht, und außerdem ist es bereits morgen.«

»Und was wird aus mir?«

»Ich finde schon eine Unterkunft für dich.«

»Und aus uns?«

»Ich weiß nicht. Wir sollten uns damit beschäftigen, wenn es so weit ist. Ich möchte erst Fortyfoot House hinter mich bringen.«

Sie drehte sich um und sah mich ohne zu blinzeln an. In der Iris ihres linken Auges bemerkte ich einen winzigen orangenen Funken. »Ich bin nicht sicher, dass ich das so gemeint habe, als ich dir gesagt habe, du solltest entschlussfreudiger sein.«

»Unangenehme Probleme machen unangenehme Lösungen notwendig.«

»Hmm«, sagte sie und wandte mir demonstrativ den Rücken zu.

Ich griff nach ihrem Buch und las laut vor: »Eines Tages zeigte sie ihm ihre Brüste. Schüchtern öffnete sie ihr Mieder, um ihn die kleine weiße Frucht sehen zu lassen, die darunter verborgen war.«

»Ich wusste, dass du die versauten Stellen sofort finden würdest«, sagte Liz.

Sie drehte sich wieder um zu mir. Der orangene Punkt in ihrer Iris funkelte wie ein Feuer. »Überstürz nichts, David. Ich mache mir etwas aus dir.«

»Wenn das so ist, dann wirst du mir helfen.«

Ich träumte einen finsteren, anziehenden Traum, in dem ich wie ein Drache über einen abfallenden Strand glitt. Das Meer unter mir war schwarz und gallertartig, eher ein Sirup als ein Meer. Ich wusste, dass das Meer voller Taschenkrebse war, Millionen und Abermillionen, die unablässig umherkrabbelten. Der Himmel war schwarzbraun, und ein dröhnender Gong ließ mich fast taub werden.

Die Welt, wie sie war; die Welt, wie sie ist; die Welt, wie sie sein wird.

Ich war noch nicht allzu weit auf die offene See geweht worden, als ich erkannte, dass ich allmählich an Höhe verlor. Ich versuchte, die Beine anzuziehen, damit meine Füße nicht das Wasser berührten, aber der Wind wurde immer schwächer, während ich ständig tiefer sank. Schließlich tauchten meine Füße ins Wasser ein, dann meine Beine, bis ich bis zu meiner Leistengegend eingetaucht war. Das Wasser war eisig kalt, und ich konnte die Taschenkrebse spüren, die auf meinen Füßen, meinen Beinen und meinem Bauch umherkrabbelten.

Ich schrie auf, und im nächsten Moment war ich wach. Mir wurde plötzlich klar, dass ich mir in meine Pyjamahose gemacht hatte, aber zum Glück nicht ins Bett. Schwitzend und zitternd kletterte ich aus dem Bett, um ins Badezimmer zu gehen, wo ich mich auszog und wusch. Im Spiegel sah mein Gesicht verzerrt und hager aus, als habe jemand das Glas zerschlagen.

Während ich mich abtrocknete, vernahm ich wieder das schlurfende, kratzende Geräusch in den Wänden und dann über den Boden des Speichers. Ich hielt inne, um das Geräusch genauer hören zu können, doch im gleichen Augenblick war es schon wieder verstummt. Nur noch das leise Pfeifen des Windes, das Rascheln der Bäume und das mürrische Rauschen der See waren zu hören.

Ich trank zwei Gläser kaltes Wasser und verließ das Badezimmer. Danny und Charity waren inzwischen wohl eingeschlafen, jedenfalls konnte ich sie nicht reden hören. Ich wollte eigentlich nach ihnen sehen, doch die Tür zu ihrem

Zimmer knarrte so laut, dass ich sie vermutlich aufgeweckt hätte.

Gerade wollte ich die Tür zu meinem Schlafzimmer öffnen, als ich bemerkte, dass unter dem Türspalt ein bläuliches Licht flackerte. Ich blieb stehen und wunderte mich. Es war ganz sicher nicht die Nachttischlampe, sondern wirkte mehr wie das Flackern eines Fernsehers in einem ansonsten völlig dunklen Zimmer. Bloß ... im Schlafzimmer stand kein Fernseher. Vielleicht waren es Blitze, die durch die Vorhänge leuchteten. Das Wetter war in den letzten Tagen ungewöhnlich unbeständig gewesen, und wiederholt hatte ich fernes Donnergrollen gehört, das vom Kanal herüberkam. Es hatte mich an die Berichte erinnert, die besagten, dass die Urlauber an der Südküste Englands im Ersten Weltkrieg das Artilleriefeuer aus Frankreich hatten hören können. Das hatte ich immer als sehr beunruhigend empfunden.

Wieder hörte ich ein Kratzen und Schlurfen, woraufhin mir ein Schauder über den nackten Rücken lief, der mir wie ein leichter Stromschlag vorkam.

Anstatt ins Schlafzimmer zu gehen, kniete ich mich vor die Tür und warf einen Blick durch das Schlüsselloch. Der Luftzug ließ mein Auge tränen, aber trotzdem konnte ich die dunklen Umrisse des Betts erkennen, Liz' Kopf auf dem Kissen und einen Teil des Fensters.