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»Vielleicht«, stimmte ich ihm zu, dann wunderte ich mich: »Wie kommst du auf >rauskommen<?«

»Na ja, das ist zu hoch. Reinkommen kann da keiner«, sagte Danny.

Ich nickte.

Es beeindruckte mich immer wieder aufs Neue, wie analytisch Kinder denken. Sie wischen all die Vorwände und Kompromisse beiseite, die Erwachsene bereitwillig akzeptieren, und sie sehen alles klar und unverfälscht, wie in einem Bilderbuch. Und sie besitzen noch etwas. Einen sechsten Sinn, eine Verbundenheit mit der Natur. Sie können zu den Bäumen und Tieren und Fröschen reden und bekommen manchmal sogar eine Antwort.

»Ich frage mich«, sagte Danny, »wer da in dem Zimmer gelebt hat.«

»Wie meinst du das?«

»Ich meine, wen sie da nicht rauslassen wollten.«

»Ach so. Hmm, irgendjemanden.«

Wir gingen zurück zur Veranda; jeder von uns hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt, Vater und Sohn einträchtig nebeneinander.

»Kommt Mom uns hier besuchen?«

»Ich weiß nicht. Wohl eher nicht. Jedenfalls nicht in nächster Zeit. Sie hat viel zu tun, oben in Durham, mit Raymond.«

»Du könntest wieder heiraten«, schlug Danny vor.

Ich sah zu ihm hinunter, lächelte und schüttelte dann den Kopf. »Daran habe ich nicht mal gedacht. Noch nicht.«

»Aber du wirst einsam sein.«

»Wie könnte ich einsam sein, ich habe doch dich.«

Danny griff nach meiner Hand.

»Wollen wir uns den Friedhof ansehen?«, fragte ich. Alles war mir lieber, als um Fortyfoot House herumzuspazieren, dieses Haus mit seinen beunruhigenden Winkeln und dem außergewöhnlichen Eindruck, dass es sich nicht nur hier, sondern auch noch woanders befand. Es war wie bei einem Stock, den man ins Wasser taucht und der dann geknickt zu sein scheint. Welcher Winkel ist der richtige? Welche Welt ist die richtige?

Wir durchquerten den Garten und näherten uns dem kleinen Bach, der unter den überhängenden Farnen viel schneller floss als ich erwartet hatte. Außerdem war er laut und sehr kalt. Danny und ich balancierten über die Steine, die vom Wasser und Moos rutschig waren, dann kletterten wir den steilen Hügel hinauf, der zur Friedhofsmauer führte. Der Wind trug den intensiven Geruch von wildem Thymian mit sich, der mich an irgendetwas erinnerte, was ich vor sehr langer Zeit einmal gekannt hatte. Ein sonderbares Gefühl, kaum zu bestimmen. Und je mehr ich versuchte, mich zu erinnern, umso mehr entglitt mir das Gefühl.

Danny stieg über die eingestürzte Mauer, während ich um sie herumging und das quietschende Eisentor öffnete.

Auf dem Friedhof wehte der Wind nicht mehr und es war deutlich wärmer. Seite an Seite gingen wir durch das hohe trockene Gras. Schmetterlinge tanzten um uns herum, und die riesige Zeder knarrte und stöhnte monoton. Ich verspürte ein überwältigendes Gefühl von Frieden und Zeitlosigkeit. Wir hätten hier an einem beliebigen Sommertag entlanggehen können - oder an allen Sommertagen gleichzeitig. Hier existierte kein Kalender, die Vergangenheit lag hier direkt neben der Zukunft.

Wir erreichten das ersten Grabmal, einen umgestürzten weißen Stein mit einem blinden Engelsgesicht.

>Gerald Williams, im Alter von sieben Jahren von Gott zu sich berufen, 7. November 1886<.

Danny strich mit seinen Fingern über die Buchstaben. »Er ist nicht sehr alt geworden, oder?«

»Nein, er war so alt wie du. Aber früher sind Kinder an Krankheiten gestorben, die heute nicht mehr tödlich sind. So wie Mumps oder Scharlach oder Keuchhusten. Die Leute hatten nicht die Medikamente, um sie zu heilen.«

»Armer Gerald Williams«, sagte Danny gerührt.

Ich legte meinen Arm um seine Schulter, und gemeinsam gingen wir zum nächsten Grab. Der Stein war aus Marmor und hatte die Form einer aufgeschlagenen Bibel.

>Hier ruht in Frieden Susanna Gosling. Gestorben am 11. November 1886 im Alter von fünf Jahren«.

»Noch ein Kind.«

»Vielleicht eine Epidemie«, überlegte ich. »Weißt du, wenn in einer ganzen Stadl oder einem Dorf jeder krank wird.«

Wir gingen weiter zu den nächsten Gräbern. Ein Engel hielt einen Olivenzweig in der Hand. Ein großes keltisches Kreuz. Ein einfaches Rechteck. Wieder lagen dort Kinder begraben. Henry Pierce, zwölf Jahre. Jocasta Warren, sechs Jahre. George Herbert, neun Jahre.

Insgesamt fanden wir auf dem von Unkraut überwucherten Friedhof siebenundsechzig Kindergräber. Keines der Kinder war jünger als vier Jahre oder älter als dreizehn Jahre. Und sie alle waren im November 1886 in einem Zeitraum von zwei Wochen gestorben.

Ich stand neben der halb in sich zusammengefallenen Mauer der Kapelle unter dem leeren gotischen Fenster und sah mich um. »Hier muss irgendetwas wirklich Sonderbares

geschehen sein, dass diese Kinder alle fast zur gleichen Zeit gestorben sind.«

Danny nickte ernst. »Eine Epidemie, hast du doch gesagt.«

»Aber es gibt keine Erwachsenen, die in dieser Zeit gestorben sind. Nicht einen einzigen. Wenn alle diese Kinder an einer Krankheit gestorben wären, dann hätte es zumindest auch einen Erwachsenen treffen müssen.«

»Vielleicht ein Feuer«, sagte Danny. »Bei Lawrence hat es auf einer Geburtstagsparty auch mal gebrannt. Seine Mama hat den Kuchen reingebracht und dabei die Vorhänge in Brand gesteckt. Das wären auch alles Kinder gewesen.«

»Das könnte sein. Aber wenn es wirklich ein Feuer oder irgendeine andere Katastrophe war, dann hätte es doch wenigstens auf einigen Grabsteinen stehen müssen.«

»Wenn ich vom Bus überfahren werde, möchte ich aber nicht, dass das auf meinem Grabstein steht. >Hier liegt Danny, vom Bus platt gemacht<.«

»Das ist was anderes.«

»Ist es nicht.«

»Na gut, dann ist es nichts anderes. Komm, wir sehen uns mal die Kapelle von innen an.«

»Ich dachte, das ist eine Kirche.«

»Ist es auch. So eine Art jedenfalls. Eine Kapelle ist eine kleine Kirche.«

Die von Wind und Wetter ausgeblichenen Türen zur Kapelle waren aus ihren verrosteten Scharnieren gefallen und hatten sich verkantet. Ich drückte meine Schulter gegen den rechten Türflügel und konnte ihn mit etwas Mühe so weit bewegen, dass Danny und ich uns hindurchzwängen konnten.

»Pass auf, dass du nicht mit deinem T-Shirt an dem Nagel da hängen bleibst.«

Es gab kein Dach mehr, seine Überreste lagen auf dem Boden verstreut, Hunderte von zerbrochenen Dachziegeln, die von Gras, Huflattich und Disteln überwuchert wurden. Die Mauern waren noch immer gekalkt, wiesen aber schwarze Flecken auf, die von der Feuchtigkeit herrührten.

Efeu hatte den größten Teil der westlichen Mauer erobert. Wir gingen weiter, und die Dachziegel zerbrachen unter unseren Füßen. Erst als wir den hohen Sandsteinaltar erreicht hatten, sahen wir uns in Ruhe um. Die Kapelle wirkte nicht mehr besonders heilig, nur verfallen. Vögel waren die einzige Kirchengemeinde, und das Stöhnen der Zeder war der einzige Psalm, der zu hören war.

»Hier ist es unheimlich«, fand Danny.

»Das kommt dir nur so vor, weil alles verlassen ist.«

Wir bahnten uns unseren Weg zurück zum Eingang, als Danny plötzlich sagte: »Sieh mal da. Fußabdrücke.«

»Fußabdrücke? Wovon redest du?«

»Sieh doch, hier.«

Er ging hinüber zur westlichen Mauer und zeigte auf den Boden, dicht unter dem überhängenden Efeu. Tatsächlich war dort ein Paar nackter Füße aufgemalt worden.«

»Das ist ein Wandgemälde«, erklärte ich ihm. »Vermutlich eine Station auf dem Kreuzweg.«

»Was ist das?«

»Ich werd's dir zeigen.« Ich nahm den Efeu in beide Hände und schob ihn Stück für Stück zur Seite. Er gab ein Geräusch wie zerreißendes Leinen von sich und klammerte sich so hartnäckig am Mauerwerk fest, als besäße er Finger, mit denen er Halt fand. Schließlich legte ich aber das Wandgemälde schrittweise frei, zuerst ein paar in Weiß gekleidete Beine, dann eine Hand, eine Schärpe und noch eine Hand.