»Was geschieht, wenn diese drei Kreaturen geboren werden?«, fragte ich mit einem flauen Gefühl im Magen.
»Sie schließen sich zusammen. Jedenfalls hat Kezia mir das gesagt. Sie bilden die große Unselige Dreifaltigkeit, sie werden zu einem allmächtigen Hermaphroditen, der mit einer Ameisenkönigin verglichen werden kann und der Tausende und Abertausende neue Wesen aller drei Spezies der Alten zeugt und für Jahrtausende beherrscht.«
»Aber Sie sagten, dass sie möglicherweise nicht überleben würden ...«
»Das ist riskant. Nicht einmal in Ihrer Zeit sind die klimatischen Bedingungen für sie geeignet. Die Alten benötigen Luft, die reich an Schwefelgasen ist, der Himmel muss frei von Insekten und Vögeln sein, in den Ozeanen darf es weder Fische noch Korallen noch Plankton geben. Sie benötigen eine Welt, wie sie in der Zeit vor den Menschen war. Ohne tierisches und pflanzliches Leben, nur giftig und öd. Seit die Alten ausgestorben sind, versuchen die wenigen überlebenden Hexen, die Rasse wiederzubeleben. Sie hoffen, dass irgendwann einmal die Welt so sehr verschmutzt ist, dass ihre Lebensbedingungen erfüllt werden. Die Luftverschmutzung und die wachsende Sterilität des Meeres in Ihrer Zeit ist für sie da sogar sehr ermutigend. Wie Kezia immer wieder zu mir sagt, begehrt sie den Atem der Hölle.«
»Das heißt, dass diese Wesen zwar Liz umbringen werden, dass sie aber selbst nicht überleben werden.«
Billings nickte zustimmend. »Jedenfalls nicht lange. Vielleicht ein paar Minuten, dann lösen sie sich auf. Aber zwanzig oder dreißig Jahre später kann die Welt schon wieder völlig anders aussehen. Wenn die Menschen die Luft fast nicht mehr atmen können, wird sie für die Alten der reine Nektar sein.«
Ich wollte Mr. Billings fragen, ob es Sinn ergab, Liz in eine Abtreibungsklinik zu bringen, als ich im Gebüsch ein leises aufgeregtes Rascheln hörte.
Billings hatte es auch gehört und hob die Hand. Einen Moment lang lauschten wir intensiv, dann sagte er. »Nichts. Jedenfalls nicht Brown Jenkin.«
»Was genau ist Brown Jenkin eigentlich?«, wollte ich wissen.
»Er ist Kezias familiar«, antwortete Billings. »Hexen haben einen Nachteil. Weil sie bereits in der Zeit deplatziert sind, können sie nicht die Durchgänge der Sumerer benutzen, um von einer Zeit in die andere zu wechseln, wie Menschen wie Sie und ich das können. Wenn sie einen sumerischen Durchgang durchschreiten würden, fänden sie sich in der vormenschlichen Zeit wieder, in die sie eigentlich auch gehören. Darum bringen Hexen immer einen Angehörigen zur Welt, der für sie Dinge erledigt und von einer Zeit in die andere wechselt. Manchmal sind es Katzen, meist aber Hunde oder Zwerge. In Kezias Fall ist es Brown Jenkin. Sie ist eine sehr perverse Hexe, sie ist sehr seltsam und sehr mächtig. Sie hat mir einmal ihren vormenschlichen Namen genannt, aber ich habe ihn mir nicht ganz merken können. Irgendetwas wie-Sothoth.«
Ich dachte an den alten Mr. Billings, der um die Sonnenuhr gewirbelt wurde und N'gaaa nngggg sothoth n'ggggaaAAA geschrien hatte.
Ich bekam eine Gänsehaut.
»Brown Jenkin ist immer in der Zeit vorausgereist«, erklärte Billings weiter, »um die nächste Erneuerung vorzubereiten, bis die Alten schließlich siegreich sein werden und die Welt so beherrschen können, wie es ihrer Meinung nach immer hätte sein sollen. Nicht mal die sumerischen Durchgänge können Sie weiter als in diese Zeit bringen. Es ist der äußerste Punkt der Evolution dieser Welt. Die Grenze der Zeit, wenn Sie so wollen. Nach Ihren Maßstäben, Sir, würden Sie sie als sehr düster betrachten. Die Luft ist gelb, die Meere sind schwarz. Und alle Männer und Frauen sind unfruchtbar, was durch Strahlung und rasch um sich greifenden Krebs verursacht wird.«
Er machte eine Pause. »Es wird keine Kinder geben«, sagte er dann. Es klang auch so dramatisch genug, ohne dass er es noch betonen musste.
Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. »Das ist schrecklich, aber warum sagen Sie das mit den Kindern so nachdrücklich?«
»Kennen Sie nicht die Märchen der Gebrüder Grimm?«, fragte er mich. »Kinder sind ein unverzichtbarer Bestandteil eines Märchens. Sie sind notwendig, damit die Hexen überleben können, sie sind die wichtigste Nahrung einer Hexe.«
»Das müssen Sie mir erklären«, sagte ich. »Wollen Sie sagen, dass Brown Jenkin zwischen jetzt und der fernen Zukunft hin-und herreist, um entführte Kinder in die Zukunft zu bringen, damit sie dort als Nahrung zur Verfügung stehen?«
Billings blieb ganz ruhig. Seine Stimme war sanft und beherrscht. »Ohne lebende Kinder würde die vormenschliche Kreatur in Kezia Mason sterben. Sie sieht aus wie eine junge Frau, aber sie ist eine unbeschreibliche Abscheulichkeit, die keine irdische Gestalt besitzt. Erst wenn die Alten erneuert sind, können sie von Gasen und Mineralien leben. In dieser Form benötigen sie Fleisch.«
»Und das hat Kezia Ihnen alles erzählt?«
»Sie musste es. Sie benötigte meine Hilfe. Brown Jenkin hatte herausgefunden, dass sie zur Zeit der nächsten Erneuerung die einzige noch lebende Hexe sein wird. Alle anderen sind verhungert oder an neuen Krankheiten ums Leben gekommen. Ihr zukünftiges Ich ist eine Frau hier aus dem Ort. Sie heißt Vanessa Charles, und sie ist schwanger und wartet auf den großen Augenblick. Aber ihr zukünftiges Ich muss ernährt werden. Sie muss für vier essen, wenn man es so ausdrücken will.«
Er schluckte trocken, dann fuhr er fort. »Mein Vater hatte sich geweigert, ihr auch nur eines der Kinder aus Fortyfoot House zu geben, also hat sie ihn getötet, wie ich später herausgefunden habe. Bevor ich verstand, was sie wirklich ist, war ich genauso von ihr fasziniert wie vor mir mein Vater. Wie Sie wissen, heirateten wir sogar. Körperlich war nichts an ihr, womit sie sich verraten hätte. Mit ihr zu schlafen war besser als mit jeder anderen Frau, die ich vor ihr gekannt hatte. Sie machte mich vermögend und erfolgreich, sie schaffte es, dass ich mich unglaublich euphorisch fühlte. Dann, eines Tages, verschwand eines unserer Kinder, der kleine Robert Philips. Er war gerade mal sechs Jahre alt. Gott steh mir bei. Ich fand seine Überreste im Wald zwischen Bonchurch und Old Shanklin Village. Seine zerstückelten, verbrannten, angefressenen Überreste. Ich werde nie den Anblick von menschlichen Gebissspuren an seinem abgenagten Hüftknochen vergessen. Am nächsten Tag entdeckte ich seine Pfeife und ein blutverschmiertes Taschentuch zwischen Kezias Sachen. In dem Moment wusste ich, dass ich etwas sehr Bösartiges geheiratet hatte.«
Der junge Mr. Billings schwieg so lange, dass ich bereits befürchtete, er wolle nicht weitersprechen. Dann endlich sagte er: »Sie versprach mir Geld, wenn ich den Mund hielt. Sie drohte, mich zu verstümmeln oder sogar umzubringen. Dann erzählte sie mir alles. Ihr ging es darum, dass Fortyfoot House so lange wie möglich geöffnet blieb, damit die Kinder frisch waren, wenn sie sie benötigte. Wenn es auch nur einen winzigen Hinweis darauf gegeben hätte, dass im Fortyfoot House Kinder missbraucht oder sogar getötet wurden, wären alle Kinder abgeholt und das Waisenhaus geschlossen worden. Um es ganz drastisch zu sagen, Sir, ist Fortyfoot House nichts weiter als ein Vorratslager für die unheimlichste und grässlichste Kreatur, die jemals auf dieser Erde existiert hat. Es ist ein Vorratsschrank voll mit lebenden Kindern.«