Ich kletterte auf den Dachboden, wo ich wieder den schwachen Schein von Tageslicht bemerkte. Aus der Ferne hörte ich Danny rufen: »Daddy? Daddy? Wo bist du? Daddy!«
Der junge Mr. Billings lächelte schwach, aber humorlos. Jetzt waren wir nicht nur mehr als ein Jahrhundert voneinander entfernt, uns trennten Welten. Er hob eine Hand zum Abschied.
»Sagen Sie mir, wofür Sie Ihre Seele verkauft haben«, wollte ich wissen, während ich die Klapptür aufstieß.
Er sah mich nur an, und einen Moment lang glaubte ich, dass er mir gar nicht antworten werde. Dann erwiderte er: »Wofür würden Sie Ihre Seele verkaufen?«
»Ich weiß nicht. Ewige Jugend vielleicht. Oder zehn Millionen Pfund. Um ehrlich zu sein, könnte mir ein anständiges Frühstück schon genügen.«
Billings schüttelte den Kopf. »Ich habe meine Seele für etwas völlig anderes verkauft, Sir. Wenn wir uns wiedersehen sollten, werde ich es Ihnen sagen. Es geschah nicht für dreißig Silberlinge, aber es war nicht sehr weit davon entfernt. Denken Sie in der Zwischenzeit an meine Warnung. Achten Sie auf Liz und bringen Sie die Kinder weg von Fortyfoot House.«
»Kann ich Ihnen vertrauen?«, fragte ich ihn.
Wieder schüttelte er den Kopf. »Nein, das können Sie nicht.«
17. Illusionen
Danny und Charity saßen am Küchentisch, aßen ihre gekochten Eier und ihren Toast, während ich gegen die Spüle gelehnt dastand und aus dem Fenster sah. Die Sonne schien durch die Tür ins Zimmer, der Wind war warm und roch nach Meer. Ich konnte fast nicht glauben, dass ich vor gerade einmal einer halben Stunde durch das eiskalte Meer im November 1886 gewatet war, um den zerfetzten Leichnam von Reverend Pickering den Wellen zu übergeben.
Etwas unter dem Poloshirt juckte mich, und ich begann zu kratzen. Ich hoffte, dass ich mir nicht von Brown Jenkin irgendwelches Ungeziefer eingefangen hatte.
»Danny«, sagte ich schließlich, »es tut mir Leid, aber wir müssen fort von hier.«
»Du sagst immer, dass wir fort müssen, aber dann bleiben wir doch.«
»Diesmal muss es wirklich sein.«
»Warum? Was ist. los?«
»Es ist dieses Haus. Es ist auf eine böse Art verzaubert, und ich bin besorgt, dass dir und Charity etwas zustoßen könnte.«
»Und Liz?«
»Ja, ja, um sie mache ich mir auch Sorgen.«
»Wann müssen wir los?«
Ich blickte auf meine Uhr. »Sobald ihr mit dem Frühstück fertig seid. Wir brauchen nur einen Koffer, den Rest holen wir später.«
»Und was ist mit mir?«, fragte Charity.
»Oh, du kommst natürlich auch mit. Das heißt, falls du das möchtest.«
Charity nickte. Ich hatte sie inzwischen richtig gern. Vielleicht war es ihre formelle viktorianische Art oder wie sie sich anbot, bei absolut allem zu helfen. Heutzutage wünscht man sich Kinder wie Charity, wenn man gerade mal in der Lage ist, sie vom Fernseher an den Küchentisch zu locken, damit sie wenigstens etwas zu sich nehmen.
Ich ging nach oben ins Schlafzimmer, holte unseren alten Koffer unter dem Bett hervor und öffnete die rostigen Schlösser. Während ich Hemden und Hosen so ordentlich wie möglich faltete und in den Koffer legte, fiel mein Blick auf das grüne T-Shirt und die Nylonstrumpfhose, die Liz auf ihrer Seite des Bettes hatte liegen lassen. Ich wusste nicht, was ich mit Liz machen sollte. Die Erscheinung, die sich in ihren Körper geschleust hatte, konnte ich nicht leugnen, ich hatte sie mit meinen eigenen Augen gesehen. Aber hatte Billings wirklich die Wahrheit gesagt? Konnte das wirklich eine vormenschliche Kreatur namens Sothoth gewesen sein? Oder hatte ich einfach nur eine optische Täuschung erlebt -eine Folge von zu viel Wein, zu wenig Geld und zu wenig ausgewogenem Essen?
Aber angenommen, er hatte die Wahrheit gesagt und Liz war jetzt von demselben Wesen besessen, das sich in Kezia Mason eingenistet hatte. Angenommen, sie trug zwei Lebensformen in sich, die ihren Körper zerreißen würden. Sollte ich ihr davon etwas sagen? Oder sollte ich den Mund halten, zumal Billings gesagt hatte, gegen die Kreaturen könne man nichts unternehmen? Sollte ich sie in ein Krankenhaus bringen? Oder sollte ich fortlaufen, sie vergessen und so tun, als sei ich ein anderer Mensch, der nie von Fortyfoot House auch nur gehört hatte?
Es gab einen Aspekt, der mich wirklich irritierte, nämlich der, dass sich Billings die Mühe gemacht hatte, mich zu warnen. Er hätte Brown Jenkin auf mich hetzen können, er hätte Kezia Mason auf mich loslassen können. Aber ich hatte das Gefühl, dass er mich aus irgendeinem unerklärlichen Grund brauchte, dass er mich ohne mein Wissen in irgendeine Verschwörung einbezogen hatte.
Er hatte den größten Verrat aller Zeiten erwähnt: die dreißig Silberlinge. Vielleicht war diese Bemerkung wichtiger, als ich zunächst geglaubt hatte.
Aber ich konnte mir darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Ich musste an Danny und an Charity denken. Mit jeder Minute wuchs die Gefahr, dass Brown Jenkin herkam. Ich machte mir keinen Illusionen darüber, was er mit den Kindern machen würde, wenn er sie erst einmal entführt hatte.
Bauz! Da geht die Türe auf, Und herein in schnellem Lauf Springt der Schneider in die Stub.
Ich packte Dannys Pyjama ein und ging dann ins Badezimmer, um die Zahnbürsten einzusammeln. Ich betrachtete im Medizinschrank mein Spiegelbild. Ausgemergelt war nicht das richtige Wort, abstoßend traf es eher. Ich hatte das Blut von meinem Kinn gewischt, aber der Riss in meiner Lippe hatte sich noch nicht geschlossen, und rings um Mund und Nase fanden sich kleine Kratzer und Druckstellen.
Als ich nach unten kam, traf ich zu meiner Überraschung auf Liz, die schon von der Arbeit zurückgekommen war und in der Küche saß, wo sie eine frische Tasse löslichen Kaffees trank. Die Kinder waren draußen auf der Veranda und traten einen luftarmen Wasserball hin und her. Liz lächelte mich merkwürdig an, während ich den Koffer an der offenen Tür abstellte.
»Du hast gepackt«, sagte sie, klang aber nicht überrascht.
»Ich ... ja, ich habe gepackt. Ich habe beschlossen abzureisen. Ich glaube, dass ich genug habe.«
»Oh«, machte sie. »Und mir wolltest du davon nichts sagen?«
»Natürlich. Ich wollte zum Vogelpark kommen und es dir sagen.«
»Aber du wolltest mich nicht fragen, ob ich dich vielleicht begleiten will?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste ja nicht mal, ob ich noch mit Liz sprach oder mit irgendeinem kalten und formlosen Wesen, das einfach nur wie Liz aussah. »Mir ist nicht der Gedanke gekommen, dass du mitkommen wolltest«, log ich. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mit einem älteren Mann zusammen sein möchtest, der kein Geld, keine Zukunft, kein Auto, aber zwei Kinder hat.«
»Darf ich das vielleicht selbst entscheiden?«
Ich sah hinaus zu den Kindern, die sich im Sonnenschein amüsierten, und musste an die Kinder denken, die vor so vielen Jahren in Fortyfoot House in der Falle gesessen hatten, ohne Hoffnung, ausgemergelt, ohne eine Chance, dem Tod zu entgehen.
»Wieso bist du so früh zu Hause?«, fragte ich Liz. »Es ist doch erst elf.«
Sie ließ den Löffel wieder und wieder in der Kaffeetasse anschlagen. »Mir war nicht gut. Ich habe merkwürdige Magenschmerzen.«
Ich nickte. »Aha.«
»Einer der Kassierer hat mich hergebracht. Er ist nett. Er heißt Brian.«
»Dein Alter?«
» Eifersüchtig? «
Für einen Moment glaubte ich, wieder dieses rötliche Funkeln in ihren Augen zu entdecken. Mir war, als würde mich jemand durch Liz' Augen hindurch ansehen, so wie bei einem Porträt, bei dem die Augen ausgeschnitten worden waren. »Weißt du, was es ist?«, fragte ich sie.