Liz sah mich fragend an.
»Deine Magenschmerzen, meine ich. Irgendeine Ahnung, woher sie kommen?«
Ich wartete darauf, einen Hinweis in ihrem Gesicht zu entdecken, dass sie nicht sie selbst war.
Aber sie zuckte nur mit den Schultern und sagte: »Vielleicht sind meine Tage zu früh dran. Vielleicht habe ich auch nicht richtig gegessen. Davon bekomme ich immer Magenschmerzen.«
»Kann ich dir etwas holen?«
Sie grinste verführerisch. »Ein wenig von Dr. Williams' Spezialmedizin wäre vielleicht nicht schlecht.«
»Ich ... wir reisen ab«, sagte ich knapp. Ich kam mir vor wie eine Figur in einem Stück von Noël Coward. »Ich bringe die Kinder nach Brighton, danach müssen wir einfach weitersehen.«
»Kann ich nicht mitkommen?«
Ich setzte mich neben sie an den Küchentisch. »Ich bin gerade eben durch die Klapptür zurückgekommen.«
Es folgte eine sehr lange Pause, dann sagte Liz: »Du bist noch mal hingegangen?«
»Ich musste. Die Polizei kam her, um nach Pickering zu suchen. Nachdem Brown Jenkin ihn umgebracht hat, wurde er unter dem Fußboden beerdigt. Ich hatte den Boden aufgemacht, und er war noch immer da. Darum bin ich heute Morgen zurückgekehrt. Ich bin ins Jahr 1886 zurückgekehrt und habe ihn beerdigt. Na ja, es war mehr eine Art Seebestattung.«
»Was willst du mir damit erzählen, David? Stimmt irgendetwas nicht, ist es das?«
»Ich weiß nicht, ich bin mir nicht sicher. Ich bin dem jungen Mr. Billings begegnet. Er hat mir alles über seinen Vater, über Kezia Mason und über Fortyfoot House erzählt.« Wie sollte ich ihr bloß sagen, dass sie mit zwei parasitären Kreaturen schwanger war? Ich konnte es nicht. Aber was, wenn ich es nicht machte und sie getötet wurde, ohne zu wissen, was mit ihr geschah?
»Der junge Mr. Billings hat dir das alles erzählt?«
»Ja, ich habe ihn getroffen, unten am Gartentor. Ich bin auch Kezia Mason und Brown Jenkin begegnet.«
Sie legte ihre Hand auf meine. »David, hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, dass du nicht gerade normal klingst?«
»Was soll das heißen? Ich war dort. Ich habe mit ihm gesprochen. Ich war im November 1886. Der junge Mr. Billings erklärte mir, dass Kezia Mason gar keine Waise war, sondern besessen von einem urzeitlichen Wesen, das nicht menschlich war. Er sagte, Hexen seien ganz normale Frauen, die von vormenschlichen Kreaturen besessen sind.«
Ich hielt inne, als ich Liz' Gesichtsausdruck bemerkte. Voller Erstaunen und Zuneigung und noch immer mit diesem roten Glimmen in ihren Augen, das möglicherweise natürlichen Ursprungs war.
»Erzähl weiter«, forderte sie mich auf. »Was hat er sonst noch gesagt?«
Nach und nach erzählte ich von den sumerischen Zikkurats, von Mazurewicz, Brown Jenkin und Dr. Barnardo. Und
schließlich berichtete ich ihr auch von den Alten und von den drei Söhnen in ihr, die die Unselige Dreifaltigkeit bilden und die Welt beherrschen würden.
Als ich geendet hatte, sah sie mich eine Weile stumm an, dann strich sie mir über die Wange. »Verstehst du, was mit dir geschehen ist?«, fragte sie sanft.
»Ich verstehe, was mit dir geschehen wird. Und mit diesen Kindern.«
»David, seit dem ersten Tag hast du dir immer sonderbarere Dinge eingebildet. Du stehst unter Stress, deine Ehe ist gescheitert, du hast jeglichen Halt verloren. Du bist nicht wirklich in der Zeit zurückgereist, niemand kann das.«
Ich war sprachlos. »Was willst du damit sagen? Dass ich mir das alles einbilde? Dass ich alles nur geträumt habe? Komm schon, Liz. Du hast Mr. Billings selbst gesehen, und Sweet Emmeline und Brown Jenkin! Himmel, ich habe mir das nicht eingebildet!«
Sie strich mit der gleichen Hartnäckigkeit über meine Hand, mit der sie zuvor ihren Kaffee eingerührt halte. »David, dieses Haus ist voller Geräusche und elektrischer Defekte und allem Möglichen anderen. Es hat eine gewisse Atmosphäre, das gebe ich ja zu. Aber es ist nicht verflucht. Jedenfalls nicht wirklich. Und all die Dinge, die du mir über den jungen Mr. Billings und über Brown Jenkin erzählt hast ... du lässt dich von diesen Dingen mitreißen.«
»Großer Gott, Liz! Sieh dir meine Schuhe und meine Hose an! Ich bin durch das verdammte Wasser gewatet!«
»Und? Was soll das beweisen? Ich kann auf der Stelle genau das Gleiche machen.«
»Also gut«, sagte ich wütend. »Wenn sich das alles hier nur in meinem Kopf abspielt, wer ist sie dann?«
Ich stand auf, ging zur Küchentür und deutete nach draußen, wo Danny ganz alleine mit dem Wasserball spielte.
Ich sah nach links und nach rechts. Ich spähte über den Rasen, konnte aber nur ein Eichhörnchen ausmachen, das durch das Gras eilte.
»Danny, wo ist Charity?«
Danny tat so, als sei er Paul Gascoigne, der gerade ein Tor gegen die Italiener erzielt hatte. »Wer?«, fragte er.
»Charity, das kleine Mädchen.«
Er hörte auf zu spielen und sah mich ratlos an. »Welches kleine Mädchen?«
»Das kleine Mädchen, mit dem du Fußball gespielt hast. Das kleine Mädchen, mit dem du gefrühstückt hast. Das kleine Mädchen, das heute Nacht hier geschlafen hat. Das kleine Mädchen, mit dem du die ganze Nacht Witze getauscht hast. Das kleine Mädchen meine ich.«
Danny sah mich so verständnislos an, dass mir klar wurde, dass er tatsächlich nicht wusste, was ich meinte. Das konnte nur bedeuten, dass entweder ich den Verstand zu verlieren begann oder Liz - oder besser gesagt: die Hexe, von der sie besessen war - eine unglaublich überzeugende visuelle und geistige Täuschung erschaffen hatte. Ich wusste, welche der beiden Möglichkeiten eher der Wahrheit entsprach. Ich kam in die Küche zurück und sagte: »Okay, ich werde es beweisen. Jeder von beiden hatte zwei Eier, hier sind die Eierschalen ...«
Ich öffnete den Treteimer und sah zwei Eierschalen.
Ich sah in die Spüle: zwei Eierbecher, ein Teller, ein Löffel. Im Schrank standen die beiden Eierbecher, die ich Charity gegeben hatte. Sie waren sauber und unbenutzt. Liz saß da und musterte mich, die Hände in den Schoß gelegt. Ich sah sie wütend an, doch nichts an ihr verriet, dass sie diejenige war, die mich täuschte. Sie sah mich ruhig und geduldig an. Ich schloss den Schrank.
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, sagte ich.
»David, das ist nicht wahr. Das glaubst du alles nur.«
»Das kann nicht sein. Ich war dort ... ich war im Jahr 1886, heute Morgen erst. Ich sprach mit dem jungen Mr. Billings. Bestimmt zehn Minuten lang. Er war so zum Greifen nah wie du jetzt. Und sieh dir an, was Kezia Mason mit: meinem Gesicht veranstaltet hat.«
»Du hast dich gekratzt, sonst nichts.«
»Dann werde ich wohl verrückt.«
»David, du wirst nicht verrückt. Du stehst unter Stress, sonst nichts. Du hast so viel über Brown Jenkin und den jungen Mr. Billings gehört, dass du an nichts anderes mehr denken kannst. Das ist eine Realitätsflucht, ein ganz normales Symptom bei Stress.«
In dem Moment klingelte es an der Tür. »Das wird Sergeant Miller sein. Mal sehen, was er sagt.«
Als ich die Tür öffnete, stand aber nicht Miller vor mir, sondern ... Dennis Pickering. Er lebte, er war unversehrt, und er war so real wie ich. Die Sonne ließ die Haare in seinen Ohren erstrahlen. Aufseiner Weste waren Reste von Porridge zu sehen.
»Oh, guten Morgen, David«, sagte er gut gelaunt. »Ich wollte mich nur für gestern Abend entschuldigen.«
Ich öffnete den Mund und schloss ihn im nächsten Augenblick wieder. Ich hatte das Gefühl, Fieber zu haben.
»Wissen Sie, meine Damen haben wegen der Kirchendekoration ein solches Theater gemacht, dass ich nicht dort wegkam. Als ich dann mit dem Abendessen fertig war, fühlte ich mich zu müde, um noch auf Geisterjagd zu gehen. Aber ich könnte heute Abend vorbeikommen, wenn es Ihnen recht ist.«