Выбрать главу

Ich erwartete fast, dass er sich jeden Augenblick vor meinen Augen in Luft auflöste, aber nichts geschah. Er redete und lächelte und war völlig real. Ich hatte gesehen, wie ihm die Augen aus dem Kopf gerissen und die Eingeweide aus dem Leib gezerrt worden waren. Ich hatte es genau gesehen. Ich war hinaus ins Meer gewatet und hatte gehört, wie sich seine aufgeschlitzte Bauchhöhle gurgelnd mit Seewasser gefüllt hatte. Und hier stand er vor mir und lächelte mich an.

»Ich glaube, dass sich alles als natürliches Phänomen entpuppen wird, was Sie hier erlebt haben«, sagte er. »Die Menschen können ja so abergläubisch sein, nicht wahr? Wir glauben lieber an eine übernatürliche Erklärung als an eine wissenschaftliche. Dabei sind wissenschaftliche Erklärungen auf ihre Weise ebenso wundervoll. Sie sind schließlich Gottes Werk.«

»Ja«, sagte ich. »Das nehme ich an.«

»Tja«, erklärte er strahlend und rieb sich die Hände. »Ich will Sie nicht länger aufhalten, Sie haben bestimmt entsetzlich viel zu tun. Streichen, tapezieren. Aber Fortyfoot House kann das auch gut gebrauchen.«

Er ging zu seinem Renault und stieg ein. Ich beobachtete, wie er sich zur Seite lehnte und in seinen Hosentaschen nach dem Wagenschlüssel suchte. Schließlich stieg er wieder aus.

»Stimmt was nicht?«, fragte ich.

»Ja, ich ... ich glaube, ich habe meinen Schlüssel verloren.«

Ich sah mich in der Einfahrt um. »Ich kann sie nirgends sehen, aber weit weg können sie nicht sein. Vielleicht sind sie Ihnen im Wagen runtergefallen.«

Er warf einen Blick in den Wagen. »Nein ... sieht nicht so aus. Am besten gehe ich zurück zum Vikariat und hole den Ersatzsch 1 üssel.«

Ich ging zu ihm. »Sie könnten unter den Sitz gerutscht sein«, überlegte ich. Ich öffnete die Fahrertür und sah unter die Vordersitze, konnte aber nirgends die Schlüssel entdecken.

»Na, das ist nicht so schlimm«, sagte er dann. »Der Weg zurück ist ja nicht so weit.«

»Ich würde Sie ja fahren, aber ...« Ich deutete auf meinen zertrümmerten Audi, dann sah ich ihm nach, wie er in Richtung Straße ging, wo er sich noch einmal umdrehte und mir zuwinkte.

Es konnte ein optische Täuschung sein, doch für den Bruchteil einer Sekunde kam es mir so vor, als sei Pickering jemand anderes - jemand, der kleiner, dunkler, gebeugter war. Doch er war schon aus meinem Blickfeld, bevor ich sicher sein konnte.

Ich lief bis zur Straße und sah ihm nach. Er sah immer noch aus wie Dennis Pickering, aber er schien in den wenigen Sekunden ein außergewöhnlich großes Stück Weg zurückgelegt zu haben. Er befand sich fast auf der Höhe des Ladens.

Etwas stimmte nicht, es passte nicht zusammen. Ich konnte nicht derart unter Stress gestanden haben, dass ich mir den Ausflug vom gestrigen Abend nur eingebildet hatte. Jemand täuschte mich, ob es nun Liz war oder das Ding, das in Liz lebte, oder der junge Mr. Billings oder Kezia oder Dennis Pickering oder Brown Jenkin. Oder sie alle gemeinsam.

Ich ging zurück zu Pickerings Wagen und suchte noch einmal nach den Schlüsseln. Wenn er heute Morgen hierher gefahren war und den Wagen vor dem Haus geparkt hatte, wie sollte er auf den wenigen Metern bis zur Tür den Schlüssel verlieren? Ich stützte meine Hand auf die Motorhaube, um Halt zu haben, während ich unter den Wagen sah. Das Blech war zwar von der Sonne aufgeheizt, aber es roch nicht nach einem heißen Motor. Ich öffnete die Haube und berührte vorsichtig den Zylinderkopf. Er war völlig kalt. Der Wagen war heute Morgen keinen Meter gefahren worden, vielmehr hatte er hier gestanden, seil Pickering am Abend zuvor angekommen war.

In dem Moment rief Liz mir zu: »Telefon.«

Ich nahm im Wohnzimmer den Hörer ab. Draußen spielte Danny noch immer mit dem Wasserball.

»Hier ist Detective Sergeant Miller«, hörte ich Miller sagen. »Ich habe gerade einen Anruf von Mrs. Pickering erhalten, der Frau des guten Vikars.«

»Sagen Sie nichts. Er ist wieder aufgetaucht.«

»Stimmt, aber woher wissen Sie das?«

»Er ist auch hier gewesen. Zumindest jemand, der so aussah wie er.«

Es folgte ein kurze Pause. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen wirklich folgen kann.«

»Machen Sie sich keine Gedanken. Hier herrscht die Meinung vor, dass ich den Verstand verliere.«

»Oh, ich verstehe.«

»Nein, das glaube ich nicht. Ich habe Pickering vor einigen

Minuten gesehen, aber ich bin nicht davon überzeugt, dass er es auch ist.«

»Warum sollte er nicht Pickering sein?«

»Weil Pickering vermisst wird.«

»Nein, seine Frau hat ja gerade angerufen und gesagt, dass er zu Hause ist.«

»Ist sie sicher, dass er es ist?«

»Also, wenn seine eigene Frau ihn nicht identifizieren kann, dann wüsste ich nicht, wer es sonst könnte.«

»Ich mache mir Sorgen um seine Frau«, sagte ich.

»Warum das?«, fragte Miller.

»Wenn er nicht Dennis Pickering ist - wovon ich überzeugt bin dann ist er etwas anderes.«

Wieder folgte eine kurze Pause. »Ich würde sagen, dass dahinter eine gewisse Logik steckt, wenn auch eine sehr verdrehte Logik. Aber wenn er etwas anderes ist, was ist er dann?«

»Er könnte Brown Jenkin sein.«

»Brown Jenkin?«, wiederholte Miller tonlos. »Sie meinen, er ist in Wahrheit eine riesige Ratte, die sich als er verkleidet hat?«

»Sie glauben mir nicht.«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich überlege nur, wie Mrs. Pickering ihren Mann mit einer Ratte verwechseln kann. Ich meine, es gibt eine Menge Frauen, bei denen ich mir das gut vorstellen kann, aber nicht Mrs. Pickering.«

»Sie haben doch heute Morgen seinen Wagen vor dem Haus stehen sehen.«

»Ja.«

»Also musste er doch gestern Abend hergekommen sein, oder?«

»Das sollte man daraus schließen, ja. Es sei denn, jemand hätte den Wagen ohne sein Wissen dort abgestellt.«

»Dazu hat er sich aber nicht geäußert. Er hat nicht gesagt: >Oh, sehen Sie doch, hier ist ja mein Wagen. Ich habe ihn schon überall gesucht.< Stattdessen hat er gesagt, dass er gestern Abend nicht hier war.«

»Warum sollte er das sagen?«

»Um mich glauben zu lassen, dass ich unter Halluzinationen leide. Aber das ist nicht der Fall, der Motor seines Wagens war kalt. Der Wagen ist seit gestern Abend nicht bewegt worden, also muss er gestern Abend hier gewesen sein. Außerdem hatte er den Wagenschlüssel nicht bei sich. Er hat so getan, als habe er den Schlüssel verloren. Aber wie kann er auf einer Strecke von fünf oder sechs Metern einen Schlüssel verlieren und nicht wiederfinden?«

»Das ist alles sehr interessant, Mr. Williams. Aber das sind keine handfesten Beweise dafür, dass Reverend Pickering in Wahrheit eine riesige Ratte ist. Außerdem: Warum sollte er Sie glauben machen, dass Sie unter Halluzinationen leiden?«

»Das macht nicht er.«

»Wer dann?«

In dem Moment wurde mir bewusst, wie lächerlich ich mich anhören musste. Ich hätte mir gewünscht, dass Miller mir glaubte. Aber sein Tonfall ließ mich erkennen, dass ich seine Bereitschaft, an das Übersinnliche zu glauben, viel zu sehr strapazierte. Er begann offensichtlich zu denken, dass ich tatsächlich unter Wahnvorstellungen litt:. Das Schlimmste daran war, dass ich langsam bereit war, selbst daran zu glauben.

Alles, was ich seit dem ersten Tag in Fortyfoot House erlebt hatte, schien so real zu sein wie ein Horrorfilm. Miller sagte: »Also gut. Reverend Pickering ist wieder da, zumindest jemand, der so aussieht. Das heißt, wir müssen Ihnen nun doch nicht den Fußboden im Wohnzimmer aufreißen. Das wär's dann für heute.«

»Tut mir Leid«, sagte ich. Während ich den Hörer auflegte, wunderte ich mich, was genau mir eigentlich Leid tat. Mein Blick fiel auf die Buntstiftzeichnung, die Danny an die Wand gehängt hatte. Sweet Emmeline mit roten Würmern in den Haaren. Und der Mann mit dem Schornsteinhut. Ich hatte das Gefühl, dem Wahnsinn ganz nahe zu sein.