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Ich hielt inne und lauschte, dann rief ich: »Ich weiß, dass Sie da sind! Kommen Sie raus!«

Du willst, dass er rauskommt ? Dieser finster dreinblickende Mann mit seinem hohen Hut?

»Das ist Privateigentum, ich fordere Sie auf, sofort rauszukommen!«

»Daddy, ist jemand drinnen?«, fragte Danny.

»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Hören kann ich niemanden. Du vielleicht?«

Danny legte eine Hand an sein Ohr. »Ich höre nur das Meer.«

Ich ging zwei oder drei Schritte in die Küche hinein. Von allen Räumen in einem Haus ist in der Küche immer am meisten los, wenn dort eine Familie lebt. Und wenn diese Familie nicht mehr da ist, dann ist es der stillste Raum. Eine Reihe von Küchenutensilien hingen an Haken, eine Schöpfkelle, ein Kartoffelstampfer, eine Vorlegegabel. Die Griffe waren abgenutzt, was darauf hindeutete, wie stark sie beansprucht worden waren. Jetzt aber waren sie nur noch kalt, sauber und unberührt. Utensilien, mit denen höchstens noch Erinnerungen verbunden waren, nicht mehr das Vergnügen einer gemeinsamen Mahlzeit.

»Wenn da jemand ist, dann sollte er besser herauskommen«, warnte ich den unsichtbaren Jemand. »Ich werde die Polizei rufen und Sie wegen Hausfriedensbruch festnehmen lassen.«

Wieder folgte Stille, eine ganze Weile, dann hörte ich plötzlich ein rasches schlurfendes Geräusch aus dem Flur, schließlich öffnete jemand die Vordertür. Ich musste in jenein Moment verrückt gewesen sein, denn ich rannte ohne zu zögern durch die Küche und riss die Tür zum Flur auf, um gerade noch zu sehen, wie eine dunkle Silhouette durch die Vordertür des Hauses verschwand und die steile Einfahrt hinaufeilte.

Ich lief hinterher, wusste aber, dass ich nicht den Mann mit dem Backenbart und dem großen Zylinder verfolgte. Als ich die Straße erreicht hatte, die hinauf nach Bonchurch führte, sah ich, dass ich einer zierlichen jungen Frau folgte — mit strähnig blondem Haar, einem schwarzen Sweatshirt und Baumwollshorts, mit einem randvollen Wäschebeutel über der Schulter. »Stopp«, rief ich außer Atem. »Um Himmels willen, bleib stehen. Ich werde nicht die Polizei rufen.«

Die junge Frau blieb stehen, beugte sich vor, stützte ihre Hände auf die Knie und rang nach Luft. »Tut mir Leid«, japste sie. »Ich wusste nicht, dass in diesem Haus jemand lebt.«

Seite an Seite standen wir in dem Schatten der Ulmen, beide versuchten wir, zu Atem zu kommen. Danny kam durch die Vordertür gelaufen und blieb stehen, um uns zu beobachten.

»Tut mir Leid«, wiederholte die junge Frau. Sie strich mit einer Hand ihre Haare nach hinten und hob den Kopf. »Ich wusste nicht, dass jemand dort wohnt.«

Ich betrachtete sie von oben bis unten. Sie war vielleicht neunzehn oder zwanzig, kaum älter, ihr Gesicht war oval mit sehr großen Augen, deren Farbe sich irgendwo zwischen Blau und Violett bewegte. Sie trug den billigen Silberschmuck, wie ihn vor allem Studenten tragen: Ohrringe mit Halbedelsteinen. Sie sprach in einem recht gebildeten Englisch mit einem Hauch Hampshire-oder Mid-Sussex-Akzent. Auf eine unvollendete Weise war sie ausgesprochen hübsch, jedenfalls unvollendet für einen Mann, der selbst 33 Jahre zählte und einen siebenjährigen Sohn hatte und dessen Ehe ein Scherbenhaufen war. Und sie war recht klein, was ich nicht gewöhnt war, nicht größer als 1,60 Meter, während ihr schwarzes Sweatshirt erkennen ließ, wie vollbusig sie war.

»Was suchen Sie hier?«, fragte ich sie.

»Ich suche gar nichts. Ein Freund hat mir gesagt, das Haus würde leer stehen.«

»Und?«

»Und ich wollte hier für den Sommer unterkommen. Ich kann mir kein Zimmer leisten. Na ja, ich könnte mir ein Zimmer leisten, aber wenn ich Miete bezahlen müsste, dann würde mein ganzes Geld dafür draufgehen.«

»Aha«, sagte ich und sah mich um. »Sie haben nicht zufällig einen Mann im Haus gesehen?«

»Wie? Was für einen Mann?«

»Ein Mann war im Haus, er trug eine dunkle Jacke und einen hohen schwarzen Hut. Er sah ziemlich altmodisch aus.«

Sie schniefte und schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe niemanden gesehen.«

»Tut mir Leid, dass ich Sie gejagt habe. Ich hatte einen Mann im Garten gesehen und gedacht, Sie wären er. Ich soll mich um das Haus kümmern und es auf Vordermann bringen.«

»Oh, ich verstehe«, sagte sie.

»Da wartet verdammt viel Arbeit auf mich«, sagte ich ihr.

»Es ist aber ein schönes altes Haus, nicht wahr?«, erwiderte sie.

Ich nickte, und dann zuckte ich mit den Schultern. Im Augenblick wusste ich nicht, was ich von Fortyfoot House halten sollte. Nachdem ich dem Ding auf dem Dachboden begegnet war und den schwarz gekleideten Mann im Garten gesehen hatte, war ich gar nicht so sicher, dass ich hier bleiben wollte.

Die junge Frau warfsich den Wäschebeutel über die Schulter. »Also, ich mache mich dann auf den Weg.«

»Wohin wollen Sie gehen?«

»Oh, in Ventnor gibt es ein leer stehendes Wollgeschäft. Da werde ich mein Glück versuchen.«

»Hören Sie...«, sagte ich, während Danny näher kam. »Wir wollten zum Strand gehen, um was zu trinken. Möchten Sie mitkommen? Ihre Tasche können Sie so lange hier lassen.«

»Das wäre toll«, sagte sie. »Wenn Ihre Frau nichts dagegen hat.«

»Ich lebe getrennt. Danny und ich sind jetzt allein.«

Die Frau lächelte Danny freundlich an. »Hallo, Danny, ich bin Elizabeth. Du kannst mich auch Liz nennen, aber nicht Lizzie. Das hasse ich nämlich.«

»Hallo«, sagte Danny argwöhnisch. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Danny, wenn er statt Augen Maschinengewehre gehabt hätte, jede Frau, mit der ich mich unterhielt, in dem Moment niedergemäht hätte, als sie den Mund öffnete. Seine Mom war fort, doch er stellte sich immer noch schützend vor sie.

»Elizabeth kommt auf einen Drink mit uns«, eröffnete ich ihm. »Möchtest du ein Eis?«

Danny nickte.

»Ich habe für den Sommer einen Job im Tropical Bird Park. Ihr könnt mich dort besuchen, ich kann euch sogar umsonst reinlasssen. Und...« - zu mir gewandt - »... sag Liz zu mir.«

»Einverstanden«, sagte Danny.

»Gib her«, sagte ich und nahm den Wäschesack, und dann gingen wir gemeinsam zurück zum Haus. »Arbeitest du professionell mit Vögeln?«, fragte ich sie. »Ornithologin oder so

was?«

»Nein, ich studiere Sozialwissenschaften in Essex im dritten Jahr. Ich werde mich nicht mit Vögeln befassen. Ich hasse Vögel, ich kann ihre kleinen Augen nicht ertragen. Ich schmeiße Hamburger auf den Grill.«

Wir gingen ins Haus. Danny lief voraus bis in die Küche.

»Gibt es irgendeinen bestimmten Grund, warum du ausgerechnet zur Isle ofWight gekommen bist?«, fragte ich Liz.

»Ich weiß nicht, es ist eine Insel, weiter nichts. Inseln sind immer anders. Sie sind irgendwie in der Zeit stecken geblieben, weißt du, was ich meine?«

»Ja«, antwortete ich. »Das weiß ich.« Aus irgendeinem Grund munterte sie mich auf. »Du kannst deine Tasche hier abstellen, das Café sollte inzwischen geöffnet sein.«

Sie sah sich um. »Hier hätte ich mich gerne einquartiert. Ziemlich luxuriös im Gegensatz zu dem, was ich sonst gewohnt bin.«

Sie folgte Danny auf die Veranda. Ich blieb in der Küche und sah zu, wie die beiden dort im Sonnenschein standen. Danny sagte etwas, Liz nickte, dann begann sie, ihm irgendwas zu erklären. Sie gestikulierte viel, während Danny sie aufmerksam ansah. In dem Moment wusste ich, dass die beiden sich verstehen würden. Liz war jung und aufgeschlossen, und Danny brauchte unbedingt eine Frau in seinem Leben. Was ich dagegen brauchte, war ein wenig Ausgeglichenheit.

Von der Stelle aus, an der ich stand, konnte ich das Foto des Fortyfoot House sehen, das im Flur an der Wand hing. Ich zögerte einen Moment, dann ging ich hinüber und studierte es genauer.

Es war eines von vielen Bildern, die man dort aufgehängt hatte. Da war ein Ölgemälde des Kashmir-Gebirges, das ein Offizier der indischen Armee aus dem Gedächtnis gemalt hatte. Jedenfalls hatte Mrs. Tarrant das erzählt. Es gab einen Stich, der die Regent Street in London zeigte, und ein Foto von »Master Denis Lithgow<, dem ersten Jungen, der nach Ägypten flog, bei der Ankunft in Alexandria. Und da war >Fortyfoot House, 1888*. Exakt das Haus mit demselben Mann im Garten, in seinem schwarzen Frack und seinem hohen schwarzen Zylinder. Ich betrachtete es sorgfältig. Es gab keinen Zweifel, dass der Garten haargenau so aussah wie durch das glaslose Fenster der Kapelle.