Doch dann hörte ich ein ganz leises Geräusch, das eigentlich mehr nach einem kleinen Kätzchen als nach einem Kind klang. Doch man erkennt immer die Stimme des eigenen Kindes, ganz egal, wie leise oder verzerrt sie auch sein mag.
»Was ist das?«, fragte Miller, doch ich hatte schon die Hälfte der Stufen zurückgelegt und rief: »Danny! Danny, hier ist Daddy!«
Die Tür zum Speicher stand offen, übel riechender Rauch wurde mit dem Luftzug ins Haus geweht. Es war der stechende Gestank, den ich schon zuvor wahrgenommen hatte und der mich an Tränengas oder brennende Reifen erinnerte.
Ich presste mir ein Taschentuch vor Mund und Nase, als ich hinter mir Miller hörte: »Um Gottes willen, David, passen Sie auf! Im Wagen gibt es Atemschutzgeräte!«
In diesem Moment hörte ich wieder das leise, gedämpfte Jammern, und diesmal war ich sicher, dass es sich um Danny handelte. Ich würde nicht zulassen, dass Brown Jenkin ihn in seine Klauen bekam, ob mit oder ohne Atemschutzgerät.
Ich eilte die Stufen hinauf zum Speicher und sah mich um.
Der gesamte Dachboden war mit grauem durchdringenden Licht gefüllt und mit Rauch, der in den Augen stach. Das Dachfenster war offen, und eine Trittleiter war darunter gestellt worden. Brown Jenkin befand sich auf halber Höhe auf dieser Leiter, und ganz oben stand Danny, der bereits Kopf und Schultern durch den Rahmen gesteckt hatte.
Am Fuß der Leiter stand Liz, ihr Gesicht war weiß, sie wirkte schockiert. Ihre Hände ruhten auf den Schultern des Kindes, das sie mir als Produkt meiner überanstrengten Fantasie hatte einreden wollen: Charity.
»Jenkin!«, brüllte ich. »Verdammter Brown Jenkin!«
Er wirbelte seinen Kopf herum und sah mich mit seinen gelben kranken Augen an. Seine Kleidung wirkte wie eine Parodie auf die eines Geistlichen, ein schmutziger, ehemals weißer Kragen, ein angestaubtes Jackett, eine schwarze Weste, die mit Suppenflecken übersät war. Eine Klaue war erhoben und drängte Danny, durch das Dachfenster zu klettern. Mit der anderen hielt er sich an der Leiter fest.
»Jenkin, lass ihn in Ruhe!«, schrie ich. Doch als ich auf ihn zustürmte, hob Liz eine Hand und richtete sie direkt auf meine Brust. Ein Gefühl, als werde mein Herz auf eine heiße Herdplatte gepresst, ergriff von mir Besitz. Ich blieb stehen und fasste mir an die Brust. Ich hatte das Gefühl, dass der Rauch meines schmorenden Herzens aus meinem Mund entweichen musste. Obwohl der Schmerz so entsetzlich war, konnte ich nicht mal Luft holen, um zu schreien. Ich fiel auf die Knie und hustete. Mein Herz brannte, und obwohl ich wusste, dass es nicht wirklich so war, dass Liz einfach nur ihre Hexenkraft spielen ließ, um mich von Brown Jenkin fern zu halten, hatte ich das Gefühl, auf der Stelle sterben zu müssen.
Brown Jenkin bekam Dannys Beine zu fassen und schob ihn so nach oben, dass er den Halt verlor und schreiend aus dem Fenster fiel. Dann folgte Brown Jenkin ihm mit einem kräftigen Satz.
»Jenkin!«, keuchte ich, aber ich schaffte es nicht, mich aufzurichten und ihm zu folgen. Er spähte durch das Dachfenster auf den Dachboden und lachte mich aus.
»Idiot-fucker, du kannst mich niemals fangen! Adieu bastard cet fois for always! Merci pour ton fils! Was für ein schmackhafter Knabe, nicht wahr, fucker?«
»Jenkin, ich bringe dich um!«, drohte ich ihm. Meine Stimme war aber so belegt, dass ich nicht annahm, von ihm gehört zu werden.
»Und nun zu dir, Charity, rauf mit dir!«, sagte Liz und schob sie auf die Trittleiter zu. Brown Jenkin streckte ihr vom Dachfenster mit dem boshaftesten Grinsen, zu dem er in der Lage war, seine Klauen entgegen. Charity starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
Auf der Treppe zum Dachboden hustete jemand. Noch immer vor Schmerz gekrümmt, drehte ich mich um und sah, dass sich Detective Sergeant Miller einen Weg durch den Rauch bahnte.
»Sie da!«, schrie er Liz an. »Lassen Sie das Mädchen in Ruhe!«
»Sergeant ...«, japste ich. »Ich kann nicht ...« Ich deutete auf das Dachfenster.
Miller sah nach oben und entdeckte Brown Jenkin. Sein Mund ging auf. Er hatte von Brown Jenkin gehört, er hatte gesehen, zu welchen Dingen Brown Jenkin in der Lage war. Aber als er dieses böse, viel zu große Nagetier jetzt zum ersten Mal mit seinen eigenen Augen sah, schien er förmlich zu erstarren.
Das Brennen in meiner Brust ließ allmählich nach, und ich schaffte es unter Schmerzen, wieder aufzustehen. Liz hob Charity hoch, damit Brown Jenkin sie übernehmen konnte, doch Charity schrie und trat und strampelte. »Lass mich los! Lass mich los!« Doch Liz schien unnatürliche Kräfte zu besitzen. Sie hob Charity mühelos immer höher, egal, wie sehr das Kind sich auch zur Wehr setzte.
»Ah, ma chere petite«, sagte Brown Jenkin. »I serve you mit Kartoffeln und Sauerkraut, oui?«
Mit schriller Stimme rief Miller: »Polizei! Sie sind festgenommen, lassen Sie das Kind los!«
Brown Jenkin musste so sehr kichern, dass er sich fast übergab. Speichel lief ihm aus dem Mund, durchsetzt mit halb zerkautem Essen. »Under arrest shit-shit! Was sagst du bastard? C'est drole, n'est-cepas?«
Er öffnete seine Klauen, um nach Charity zu greifen, doch in dem Augenblick geschah etwas Außergewöhnliches. Charity hörte auf zu strampeln und erstarrte förmlich. Ihr Gesicht schien zu strahlen, auch wenn dieser Eindruck eine Kombination aus Rauch und hellem Tageslicht sein konnte. Ihr Haar umgab ihren Kopf wie ein sanfter wogender Heiligenschein, und ich hätte schwören können, dass sie helles weißes Licht ausstrahlte.
Liz, die wie ein schrumpfender Schatten aussah, ließ sie los, doch Charity verharrte in ihrer Position mitten in der Luft zwischen Boden und geneigter Decke.
Es war eigentlich unmöglich, aber ich sah es mit meinen eigenen Augen. Charitys Füße schwebten gut einen Meter über dem Boden des Speichers. Kein Trick, kein Netz, keine Fäden, nichts.
Brown Jenkin zog langsam seine Klauen zurück und betrachtete das Mädchen misstrauisch. »Was ist das?«, zischte er. »Qu'est-ce que c'est?«
Charity vollzog mitten in der Luft eine Drehung und wandte sich Liz zu. Als sie sprach, war ihre Stimme übernatürlich sanft, so als würden Tausende von Händen über Tausende von Samtvorhängen streichen. »Weiche zurück, Hexe«, flüsterte sie. Sie hob beide Arme, streckte die Finger aus und rollte die Augen nach oben, bis nur noch das Weiße zu sehen war. »Weiche zurück, Hexe«, wiederholte sie. Die Worte waren so verzerrt, dass ich sie kaum verstehen konnte.
Die Spannung war fast unerträglich, und dann geschah alles auf einmal. Mit einem gellenden Japsen brach Liz zusammen. Brown Jenkin schlug das Dachfenster zu und verschwand. Charity fiel zu Boden und landete auf wackligen
Füßen. Der Rauch wirbelte umher, die Lichter flackerten, und Miller erwachte aus seinem Schock wie ein Mann, der bemerkte, dass er seine Haltestelle verpasst hatte.
Sofort stürmte ich die Trittleiter hinauf, riss das Fenster auf und brüllte: »Jenkin! Jenkin! Ich will meinen Sohn zurück!«
Als ich aus dem Fenster sah, war ich von dem Anblick überwältigt. Ein dunkler schwefelgelber Himmel, eine Reihe kahler Bäume, ein Garten ohne Rasen, ohne Büsche und ohne Blumen. Alles war gelb oder grau. Keine Möwen schrien, kein Insekt summte, nichts. Die See war schwarz wie Ol, und ein Blick genügte, um zu wissen, dass in dieser See kein Fisch schwamm, jedenfalls kein gewöhnlicher Fisch.
Unter dem düsteren schwefeligen Himmel sah ich Brown Jenkin fortrennen, Danny in seinem Schlepptau. Beide wirkten wie winzige Figuren in einem Traum. Sie mussten über die Feuerleiter vom Dach geklettert sein. Ich schrie: »Danny!« Er versuchte, sich umzudrehen, und für einen Moment konnte ich sein ängstliches Gesicht sehen. Und dann hatte Brown Jenkin ihn schon über den Rasen in Richtung Kapelle hinter sich hergezerrt.