»Ach, merde«, murrte Brown Jenkin und zog mich mit einer Klaue zur Seite.
Billings begann wieder zu singen. »Tekeli-li! Tekeli-li!« Die Erde bebte so heftig, dass sich große Teile Putz von den Wänden der Kapelle lösten und auf die Ziegel stürzten. »Tekeli-li! Tekeli-li!«
Sogar Brown Jenkin wich zurück, als Mazurewicz einen Arm hob und schrie: »Es ist so weit! Es ist endlich so weit! Die Erneuerung, Billings! Die Erneuerung!«
Donner grollte über unsere Köpfe hinweg. Die Naturgewalten, die diese Erneuerung auslösten, waren verheerend. Aber das überraschte nicht weiter, wenn man überlegte, dass diese unglaublich aufgeblähte Vanessa Charles jeden Augenblick Kreaturen zur Welt bringen würde, die einst über Raum und Zeit geherrscht hatten.
Mazurewicz tanzte wie eine schlecht gewickelte Vogelscheuche umher und hob das Messer, mit dem er zuvor das Fleisch geschnitten hatte. Er wirbelte umher, und dann stieß er die Klinge tief in Vanessas Bauch, der sanft glänzte.
Vanessas Augen weiteten sich vor Schmerz. Einer ihrer fetten Arme schoss hilflos nach oben, doch sie musste von Anfang an gewusst haben, dass sie sterben würde. Mazurewicz bewegte das Messer nach oben und öffnete sie mit einem grotesken Kaiserschnitt, als das Ding, das in ihr herangewachsen war, beschloss, sich den Weg nach draußen mit Gewalt zu bahnen.
»Oh Gott«, sagte Miller.
Die gesamte Kapelle erzitterte, der Himmel wurde ringsum von Blitzen zerrissen.
Vanessas Bauch riss auf, und in der entstandenen Öffnung kamen Tentakel zum Vorschein, die an einen Tintenfisch erinnerten. Immer mehr Arme drängten nach draußen, bis ihr ganzer Bauch von zappelnden Tentakeln überzogen war.
»Der Sohn des Speichels«, rief Billings. »Der Sohn des Speichels! Ja! Ja!«
Entsetzt sah ich in Vanessas Gesicht. Sie lebte immer noch und fühlte alles. Welche Schmerzen sie dabei aushielt, vermochte Gott allein zu sagen. Einen Augenblick später hörte ich ihre Rippen brechen, und die tentakelbewehrte Bestie erhob sich und gewann an Größe.
Vanessa riss die Augen auf, und gleißende Lichtstrahlen schössen aus ihrem Inneren heraus. Auch ihr Mund öffnete sich weit, aus ihm trat ebenfalls ein Lichtstrahl. Dann explodierte ihr Kopf, und eine zuckende Kugel aus strahlendem Protoplasma kam zum Vorschein, gefolgt von drei oder vier weiteren, die alle wie schimmernde gasförmige Quallen aussahen.
»Der Sohn des Samens!«, verkündete Billings.
Dann folgte eine weitere blutige Explosion, die Vanessa in tausend Stücke zerriss. Aus ihren Überresten erhob sich ein riesiger schwarzer formloser Schatten, der von einer Aura völliger Kälte und unendlicher Bösartigkeit umgeben war.
»Der Sohn des Blutes! Tekeli-li! Tekeli-li!«
Die drei abscheulichen Söhne der Alten schwebten in der Luft über dem, was von Vanessa Charles übrig geblieben war. Nach Tausenden von Jahren im Verborgenen waren sie endlich zurückgekehrt, um wieder über eine öde und vergiftete Welt zu herrschen. Ich verstand nicht wirklich, wer sie waren oder woher sie eigentlich kamen. Aber ich hatte das Gefühl, dass sie glaubten, die Erde gehöre ihnen, nicht uns, und dass sie keine Gnade walten lassen würden, um sie wieder für sich zu beanspruchen.
Mazurewicz wischte das Messer an seinem Mantel ab und trat mit gesenktem Haupt zurück. Billings ging zur gleichen Zeit mit ausgestreckten Armen auf die drei schwebenden Wesen zu und begrüßte sie wie Götter.
»Ich habe euch zurückgeholt!«, rief er. »Ich habe euch zurückgeholt! Sohn des Samens, Sohn des Speichels und Sohn des Blutes! Ich habe euch zurückgeholt! Jetzt könnt ihr euch vereinen, und ich kann ein Teil von euch werden!«
Ich begann, eine düstere Unruhe zwischen den drei Kreaturen zu spüren. Das tintenfischähnliche Ding rollte seine
Tentakel auf, die leuchtenden Kugeln zogen sich zusammen. Über ihnen hing der kalte schwarze Schatten in der schwefelhaltigen Luft und wirkte wie ein Vorhang zu Beginn einer fantastischen Zaubernummer.
Es hatte sogar etwas mit Zauberei zu tun - jener ursprünglich vormenschlichen Zauberei, die uns Hexen und Wunderheiler und Seher beschert hatte.
Völlig furchtlos trat Billings in die blutigen Überreste von Vanessa Charles, einen Fuß stellte er auf ihr zerschmettertes Rückgrat, dann warf er den Kopf nach hinten.
»Jetzt könnt ihr euch vereinen!«, schrie er. »Und ich kann ein Teil von euch werden!«
Mir wurde bewusst, dass ich einem genealogischen Ereignis beiwohnte, das so bedeutend war wie die erste Zellteilung oder die ersten Gehversuche eines Fisches an Land oder die ersten Laute einer affenähnlichen Kreatur beim Versuch, Worte zu bilden. Die Zukunft des gesamten Planeten hing von diesem einen entscheidenden Augenblick ab. Nicht nur die Zukunft, auch die Vergangenheit.
Hoch über mir wurde das Tentakelding von der Schwärze des Schattens aufgesogen, gefolgt von den leuchtenden Kugeln. Übrig blieb eine riesige, dunkle Wolke, die so kalt war, dass ihre Kälte abstrahlte. Yog-Sothoth, drei in einem, die Unselige Dreifaltigkeit, aus der die Alten geschaffen worden waren, die Hölle auf Erden. Und Mazurewicz, der Teufel, war der Geburtshelfer.
Die Welt hatte in meinen Augen nie wirklich Sinn ergeben. Wir befanden uns auf diesem Planeten, der durchs All flog, doch den Grund für unsere Anwesenheit konnte eigentlich niemand erklären. Jetzt aber, da der eisig kalte Schatten von Yog-Sothoth über mir schwebte, kam es mir so vor, als gebe es auf jedes Rätsel des menschlichen Lebens, auf jeden Aberglauben und auf jede Religion eine Antwort.
Die grundlegende Tatsache unserer Existenz auf diesem Planeten war, dass wir nicht die Ersten waren. Unsere Überlieferungen waren voll von Geistern und Halluzinationen,
Mythen und Aberglauben. Die >Traumzeit< hatten die Aborigines es genannt. Die Zeit davor. Die Zeit vor uns, als die Alten die Erde beherrscht hatten.
Meine Ohren wurden von einem tiefen, trommelnden Geräusch bombardiert, als sich der schwarze Schatten langsam über Billings herabsenkte. Er schrie ekstatisch, während die Wolke immer tiefer sank.
Blitze zuckten um ihn herum, Funken sprangen von seinen Haaren über. Während er schrie, schössen Funken aus seinem Mund wie Blitze von einem Schweißgerät.
»Ich werde euch alle beherrschen!«, schrie er uns an. »Ich werde ewig leben und euch alle beherrschen!«
Ohne etwas zu sagen und ohne mich anzusehen, stürmte Miller auf den Altar zu. Brown Jenkin schlug mit einer Klaue nach ihm, traute sich aber nicht, ihm zu folgen.
»Sergeant!«, rief ich. »Sergeant!«
Miller stieg aber über die Knochen, so schnell er konnte, und plötzlich verstand ich, was er vorhatte. >Ein Mann<, hatte Billings geprahlt. >Ein Mann kann euch alle verfolgen und vernichten^ Was aber, wenn dieser eine Mann nicht der junge Mr. Billings war, sondern ...?
Miller versetzte Billings einen Stoß, der ihn zu Boden schickte und mitten in den blutigen Uberresten von Vanessa Charles landen ließ. Billings schrie ihn entsetzt an, doch Miller trat ihn, nicht nur einmal, sondern wieder und wieder, bis Billings den Halt verlor und von dem Knochenberg rutschte. Auf dem Rücken liegend fand er sich an der Mauer der Kapelle wieder.
Miller nahm seinen Platz ein. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Glückseliges und zugleich Märtyrerhaftes, als habe er der Menschheit schließlich doch noch einen Dienst erwiesen, der seiner würdig war. Kein Wunder, dass er von Anfang an geglaubt hatte, dass Brown Jenkin wirklich existierte. Er war fast ein Heiliger.