»Und?«, sagte Charity mit ausdruckslosen Augen.
»Nun ... meine Bedenken sind, dass ich Liz das nicht erleiden lassen möchte. Ich möchte nicht, dass Liz in Stücke gerissen wird.«
Charity schwieg lange, dann sagte sie: »Sie kennen das Risiko, das Sie eingehen, wenn Sie dieses Hexen-Wesen nicht vernichten. Sie wissen, dass die Alten so lange in der Lage sein werden, zurückzukehren, wie noch ein Hexen-Wesen existiert.«
»Ich habe das Ding mit meinen eigenen Augen gesehen, ja. Yog-Sothoth. Aber wenn die Welt wirklich so vor die Hunde geht, dass die Luft uns ersticken wird und dass die Meere voller Chemikalien sind, dann verdienen wir das vielleicht.«
»Interessiert es Sie, was mit Liz geschieht?«
»Natürlich interessiert es mich. Ich mag sie. Ich mochte sie jedenfalls. Ich glaube, ich hätte sie sogar lieben können.«
»Dann gibt es natürlich einen anderen Weg«, sagte Charity. »Sie können an den Moment zurückkehren, an dem sie zum ersten Mal herkam, und den Dingen einen anderen Lauf geben.«
»Und wie anders?«
»So anders, wie Sie es wollen. Es liegt in Ihrer Hand. Aber wenn sie nicht hier bleibt und so nicht von dem Hexen-Wesen übernommen werden kann, das Kezia in seiner Gewalt hatte, und wenn Sie sie nicht mit der Unseligen Dreifaltigkeit von Yog-Sothoth befruchten, dann wird sie auch dann gerettet, wenn das Hexen-Wesen überlebt.«
»Können wir nicht dieses Haus niederbrennen? Wenn die Hexe im Haus steckt und wir brennen es nieder ...«
»Sie überlebt dennoch, in der Asche, in der Erde. Man kann sie nur zerstören, wenn sie ihre drei Söhne zur Welt bringt. In diesem Moment hat sie ihre ganze Kraft den Kindern gegeben und ist schwach.«
»Und wie zerstört man sie?«, fragte ich. »Mit irgendeinem Zauberspruch? «
Charity lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein ... Man gestattet ihr, von einem Besitz zu ergreifen. Dann ...«, sie machte eine Handbewegung, als würde sie sich die Kehle durchschneiden. »Man stirbt und nimmt das Hexen-Wesen mit sich in den Tod.«
Ich starrte sie an. »Das hast du vor? Du willst dich umbringen?«
»Es geht nicht anders.«
»Dann vergiss es. Ich werde nicht zusehen, wie Liz in Stücke gerissen wird und du dich umbringst. Keine Chance. Vergiss es einfach.«
»Ich bin dazu bereit«, versicherte Charity.
»Du vielleicht, aber ich nicht.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja, ich bin sicher.«
»In diesem Fall«, sagte sie, »müssen wir den anderen Weg versuchen.«
Sie führte Danny und mich in den Garten, über den Rasen und über den Bach. Wir kletterten über die Friedhofsmauer und gingen zwischen den Grabsteinen umher. »Gerald Williams, Im Alter von sieben Jahren von Gott zu sich berufen, 7. November 1886<. Ich konnte kaum hinsehen. Gerald Williams war in die Zukunft gebracht, geschlachtet und geröstet worden - ein unschuldiges Opfer für einen bösartigen Gott. >Susanna Gosling, sie ruht in Friedens Wir zwängten uns durch die Tür ins Innere der Kapelle.
Unter unseren Schuhen zerbrachen die zertrümmerten Dachziegel in noch kleinere Stücke. Ich sah mich um. Das Wandgemälde von Kezia Mason grinste mich immer noch an, doch auf das kommende Blutbad gab es noch keinen Hinweis. Der Himmel war strahlend blau, Schmetterlinge flatterten durch das glaslose Fenster.
»Sehen Sie«, sagte Charity, die auf die Fensterbank geklettert war und auf den Garten zeigte.
Ich folgte ihr und sah hinaus. Das Gras war ordentlich gemäht, Geranien blühten in kreisrunden Beeten. Von den Grabsteinen war nichts zu sehen. »Es ist Morgen«, sagte ich irritiert.
Danny kam zu mir. »Sieh doch, Daddy«, sagte er und zeigte aufs Meer. »Da ist wieder das Fischerboot.«
In diesem Moment sah ich jemanden aus der Küchentür des Fortyfoot House kommen und selbstsicher und ruhig über die sonnenbeschienene Veranda gehen. Es war ein Mann in einem schwarzen Frack, er trug einen hohen schwarzen Hut. Während er ging, hielt er seine Revers fest und blickte nach rechts und links, als wolle er etwas inspizieren.
Er erreichte die Mitte des Rasens und blieb stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und er genoss offensichtlich die leichte Brise, die von der See herüberwehte.
»Hey, Sie da!«, schrie ich. »Ja, Sie da, auf dem. Rasen!«
Der Mann wandte sich um und blickte zur Kapelle. Sein Gesicht hatte einen düsteren, missbilligenden Ausdruck. Er zögerte einen Moment lang, als überlege er, ob er zur Kapelle und damit zu uns kommen solle, doch dann drehte er sich um und ging zügig zurück zum Haus.
»Hey«, rief ich ihm nach. »Hey, bleiben Sie stehen!«
Der Mann nahm aber keinerlei Notiz von mir und ging mit weit ausholenden Schritten in Richtung Haus weiter.
»Komm, Danny!«, sagte ich. »Wir müssen ihn einholen.«
Bauz! Da geht die Türe auf, Und herein in schnellem. Lauf, Springt der Schneider in die Stub´, Zu dem Daumen-Lutscher-Bub.
Wir stiegen von dem Geröllhaufen hinab und zwängten uns durch die Tür. Als wir draußen waren, stellte ich erstaunt fest, dass der Friedhof wieder überwuchert war. Und die Grabsteine standen so wie zuvor dort - umgestürzt, vernachlässigt. Aber sie waren da, sie waren real. Wir eilten den Abhang hinab, balancierten wieder über den kleinen Strom, dann liefen wir nach Luft ringend über den Rasen in Richtung Veranda. Während wir uns dem Haus näherten, sah ich, dass die Küchentür einen Spaltbreit offen stand. Ich wusste ganz sicher, dass ich sie geschlossen hatte, als wir aus dem Haus gegangen waren.
Ich bedeutete Danny, hinter mir zu bleiben, während ich mich langsam der Küchentür näherte und versuchte, dabei so wenig Geräusche wie möglich zu machen. Ich gab der Tür einen Stoß und ließ sie auffliegen, bis sie gegen die Wand schlug, erzitterte und dann in ihrer Position verharrte. »Wer ist da?«, rief ich. »Ich warne Sie, das ist Privatbesitz!«
Keine Antwort. Ich hielt inne und lauschte, dann rief ich: »Ich weiß, dass Sie da sind! Ich will, dass Sie rauskommen!«
Du willst, dass er rauskommt ? Dieser finster dreinblickende Mann mit seinem hohen Hut ?
Wieder folgte lange Zeit Stille, dann hörte ich plötzlich ein rasches schlurfendes Geräusch aus dem Flur, schließlich öffnete jemand die Vordertür. Ich musste in dem Moment verrückt gewesen sein, denn ich rannte ohne zu zögern durch die Küche und riss die Tür zum Flur auf, um gerade noch zu sehen, wie eine dunkle Silhouette durch die Vordertür des Hauses verschwand und die steile Einfahrt hinaufeilte.
Ich rannte hinterher, wusste aber, dass ich nicht den Mann mit dem Backenbart und dem großen Zylinder verfolgte. Als ich die Straße erreicht hatte, die hinauf nach Bonchurch führte, sah ich, dass ich einer zierlichen jungen Frau folgte -mit strähnig blondem Haar, einem schwarzen Sweatshirt und Baumwollshorts, mit einem randvollen Turnbeutel über der Schulter.
Liz, dachte ich. Dies ist der Augenblick, die Gelegenheit. Jetzt kann ich sie vor Fortyfoot House bewahren und vor dem entsetzlichen Schicksal, das hier auf sie wartet. Jetzt kann ich sie vor mir retten.
Es konnte andere Folgen haben, die genauso schlimm sein mochten, aber wenigstens war Liz in Sicherheit.
Ich blieb stehen, während sie weiterlief. Ich hörte, wie ihre Sandalen über den heißen Teer schlappten. Dann war sie hinter den Lorbeeren verschwunden. Sie war fort. Ich stand noch eine Zeit lang auf der Straße und sah zu der Stelle, an der ich sie zum letzten Mal gesehen hatte. Mit einem Mal wurde mir klar, dass es mir das Herz brach.
Danny kam zu mir und fragte: »Wer war das?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, irgendeine Frau. Sie hat mir nicht gesagt, was sie wollte.« Wir gingen zurück zum Haus.