Wenn Danny es nicht auch gesehen hätte, wäre ich Überzeugt gewesen, einer Halluzination erlegen zu sein. Müdigkeit, Stress, der plötzliche Ortswechsel. Aber Danny hatte es auch gesehen. Fortyfoot House, wie es vor über einhundert Jahren einmal ausgesehen hatte.
»Daddy, kommst du?«, rief Danny.
Ich sah mir das Foto ein letztes Mal an, dann ging ich zurück in die Küche. Im selben Moment hörte ich ein Kratzen, so als laufe etwas hinter den Fußleisten entlang. Ich blieb stehen und lauschte.
»Daddy! Komm schon!«, drängte Danny.
»Sekunde noch«, rief ich zurück und horchte«- wieder.
Es befand sich noch immer im Haus. Irgendwo Ich konnte es hören und fühlen. Es rannte durch Hohlräume, Gänge und Tunnels. Ich hatte das schreckliche Gefühl, dass diesem Etwas das Haus gehörte und Danny und ich nichts weiter waren als lästige Eindringlinge.
Und ich hatte das schreckliche Gefühl, dass es sich nicht um eine Ratte handelte, sondern um etwas viel, viel Furcht erregenderes.
3. Das Strandcafe
Wir spazierten durch den Garten, zwischen den Bäumen hindurch, über eine behelfsmäßige Brücke, die den Bach überspannte, und durch das hintere Gartentor hinaus. Von dort erreichten wir den Trampelpfad, der hinter den zur See gelegenen Cottages verlief. Die Türen der Cottages standen offen, sodass man sehen konnte, dass sie alle mit dunklen Eichenmöbeln eingerichtet waren, die mit glänzenden Messingbeschlägen verziert waren. Auf den Tischen lagen sorgfältig gebügelte Decken. Ein rot getigerter Kater hatte sich müde gegen einige Geranientöpfe gelehnt und blinzelte in die Sonne.
In der letzten steilen Kurve führte der Weg hinab zur Küste, und Danny stürmte nach unten, und seine Sandalen verursachten auf dem heißen Teer ein klatschendes Geräusch. Der Strand eignete sich kaum zum Schwimmen, da er mit Steinen und mit grünlich braunem Seetang übersät war. Aber wenn sich die Flut zurückzog, konnte sich Danny mit den zahlreichen zurückbleibenden Pfützen beschäftigen und Heerscharen kleiner grüner Taschenkrebse fangen.
Wir spazierten bis zum Strandcafe und suchten uns einen Platz in einem kleinen von einer Mauer umgebenen Garten unter einer rot und weiß gestreiften Markise.
Eine mütterliche Frau mit einer weißen Schürze brachte uns zwei Bier und ein Eis für Danny.
»In dieser Saison ist es schrecklich ruhig gewesen«, sagte sie. »Schön, mal ein paar neue Gesichter zu sehen.«
»Ich schätze, dass die Pauschalreisenden in diesem Jahr nach Korfu geflogen sind«, sagte ich. »Machen Sie sich keine Sorgen, nächstes Jahr sind die alle wieder hier. Warten Sie nur ab, bis sie gemerkt haben, wie schlimm es da ist. Souvlaki und Fritten und so viel Tequila, wie man trinken kann.«
»Wie lange werden Sie bleiben?«
»Den ganzen Sommer«, erwiderte ich. »Ich repariere das Fortyfoot House.«
»Tatsächlich? Fortyfoot House? Die Tarrants wollen doch nicht wieder da einziehen, oder?«
»Oh, nein, sie wollen es verkaufen.«
»Na ja, es wird ja auch Zeit, das da mal irgendjemand einzieht. Solange ich das nicht bin.«
»Ach?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie erinnerte mich an die Oma der Waltons aus der Fernsehserie.
»Ich würde ja nach Einbruch der Dunkelheit nicht mal den Garten betreten.«
Liz lachte. »Sie glauben doch nicht an Geister, oder?«
»Nein«, entgegnete die Frau. »Aber es gibt da Lichter und Geräusche, und so etwas mag ich nicht.«
»Lichter und Geräusche? Welcher Art?«, wollte ich wissen. Liz lachte noch immer.
»Ach, Sie wollen mich doch jetzt bloß auf den Arm nehmen, was?«, gab die Frau zurück.
»Nein, überhaupt nicht«, sagte ich. »Entschuldigen Sie meine Begleiterin. Sie kommt von der Essex University und ist eine von den skeptischen Intellektuellen.«
»Und Sie?«, fragte mich die Frau.
Ich war es nicht gewohnt, so direkt gefragt zu werden. »Ich bin ... ich weiß nicht, ich mache Gelegenheitsarbeiten. Hier ein Verputz, da ein Anstrich. Das ist alles.«
»Und Sie haben eine Nacht im Fortyfoot House verbrach!?«
»J-a-a«, antwortete ich gedehnt und neugierig.
»Und Sie haben keine Geräusche gehört?«
»Kommt drauf an, was Sie meinen. In jedem alten Haus gibt es Geräusche.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Kein altes I laus ... kein altes Haus auf der ganzen Welt... überhaupt kein alles I laus macht solche Geräusche wie Fortyfoot House.« »Also«, räumte ich ein, »es gab Geräusche. Vor allem auf dem Dachboden. Aber die stammten von Schwalben oder von Eichhörnchen.«
»Hörten Sie ein Kratzen, wie von einer Ratte? Oder Geräusche, für die Sie keine Erklärung hatten?« Die Frau starrte mich durch ihre Brillengläser an. Ihre Augen sahen aus, als würden sie in einem Goldfischglas umherschwimmen. Es war offensichtlich, dass sie mich auf eine zurückhaltende Weise zu provozieren versuchte.
»Nein, es waren eigentlich keine unheimlichen Geräusch. Ich glaube, wir reden aneinander vorbei.«
»Oh«, sagte die Frau. »Haben Sie denn die Lichter gesehen?«
»Keine Lichter. Ich habe nur Geräusche gehört.«
»Wie haben sich die angehört?«, bohrte sie weiter.
»Geräusche von Tieren. Keine Ahnung. Ratten oder Eichhörnchen oder so.«
Sie betrachtete mich eindringlich. »Sie haben niemanden schreien gehört?«
Ich war fast schon entsetzt: »Natürlich nicht!«
»Hört auf, ich zittere ja schon«, sagte Liz mit gespieltem Entsetzen.
»Und Sie sagen, dass Sie auch keine Lichter gesehen haben?«, fragte die Frau, während sie Liz völlig ignorierte.
Ich schüttelte den Kopf.
»Na gut. Vielleicht kommt das erst noch.«
Sie sammelte Gläser ein und war im Begriff, in die Küche zurückzukehren, doch ich rief ihr nach: »Augenblick noch.«
»Ja?«, fragte sie, als sie sich mir wieder zuwandte.
»Erzählen Sie mir was über die Schreie.«
Sie hielt kurz inne, dann schüttelte sie den Kopf. »War nur so eine Idee«, sagte sie dann.
»Erzählen Sie«, beharrte ich. Aber wieder schüttelte sie den Kopf, und ich wusste, dass ich aus ihr nichts herausbekommen würde.
»Das war etwas sonderbar, findest du nicht?«, meinte Liz,
die ihren Bierkrug mit ihren blassen Fingern fest umschlossen hielt.
»Wenn du mich fragst, will sie damit die Touristen unterhalten«, sagte ich. »Eine gute Geistergeschichte gefällt schließlich jedem.«
»Aber du hast doch etwas gehört.«
Ich nickte. »Ja. Ich habe sogar etwas gesehen. Vielleicht ein Eichhörnchen oder eine Ratte. Ich werde nachher mal im Telefonbuch den Kammerjäger heraussuchen, vielleicht kann man mir ja jemanden nach Hause schicken.«
Im gleißenden Licht des Morgens erschien mir das Ding, das auf dem Dachboden an mir vorbeigehuscht war, nicht mehr so Furcht erregend. Immerhin war es da oben stockfinster gewesen. Ich hätte einen Mantel oder einen Vorhangstoff berühren können, das hätte sich mindestens genauso unangenehm angefühlt. Wenn man in Panik gerät, dann kann es sein, dass man sich alle möglichen entsetzlichen Dinge einbildet.